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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr.

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Das bürgerliche Gesetzbuch und die Zukunft der deutschen Rechtsprechung.

Rheinland? ihr französisches Recht, das die rheinischen Juristen auch heute noch
wie einen Fetisch verehren und das allerdings von manchen Schwächen des da¬
maligen altländischen Rechtes frei war, sich zu erhalten. Auch Baden behielt
die unter dem Namen "Badisches Landrecht" veröffentlichte Bearbeitung des Code
bei. Die altpreußischen Provinzen hatten ihr Landrecht, das auch in den neuen Er¬
werbungen Preußens, mit Ausnahme der Rheinlande, eingeführt wurde. Österreich
hatte sein Gesetzbuch. In den übrigen deutschen Landen (in welchen der Code, wo er
gegolten hatte, wieder beseitigt wurde) galt gemeines Recht. Bei dieser Sach¬
lage regte im Jahre 1814 Professor Thibaut in Heidelberg den Gedanken an,
ein gemeinsames Gesetzbuch für ganz Deutschland zu schaffen. Er vertrat sein
Streben mit großer Wärme und erfreute sich lebhafter Zustimmung in den
Kreisen der Vaterlandsfreunde. Ihm trat damals Savigny in seiner bekannten
Schrift "Vom Berufe unsrer Zeit für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft"
entgegen. Savigny erachtete die Zeit nicht für reif zu einer Kodifikation. Er
verlangte vor allem erst größere Vertiefung der Rechtswissenschaft auf dem Wege
historischer Forschung.

Es mag sein, daß in diesem bedeutungsvollen geistigen Kampfe Savigny
nicht bloß deßhalb den Erfolg für sich hatte, weil man seine juristischen Be¬
denken für überwiegend hielt, sondern auch deshalb, weil bereits die traurige
Periode begonnen hatte, die jedem Streben des deutschen Volkes nach einheit¬
lichen Institutionen sich feindlich erwies. Auch läßt sich mit vollem Rechte
bezweifeln, ob die historische Rechtsschule, wie sie aus Savignys Bestrebungen
hervorgegangen ist, wesentlich zur Verbesserung der deutschen Rechtszustände
beigetragen hat. Aber man kann doch wohl heute die Frage stellen: Wäre
denn, wenn man damals nach Thibauts Rat ein Gesetzbuch geschaffen Hütte,
daraus ein guter Rechtszustand für Deutschland hervorgegangen? Schwerlich
dürften Urteilsfähige den Mut haben, diese Frage zu bejahen.

Savigny war damals schon in der Lage, auf die Mißerfolge der be¬
stehenden drei Kodifikationen hinzuweisen. Der Code und das österreichische
Gesetzbuch sind Werke, die jeder wissenschaftlichen Tiefe entbehren. Aber auch
das preußische Landrecht, auf das so viel Geist und pflichttreue Arbeit ver¬
wendet worden war, hatte, wie man schon damals nach zwanzigjährigen Bestände
deutlich erkannte, nicht den gehofften Erfolg. Bereits im Jahre 1817 wurde
in Preußen ein "Revisionsminister" ernannt, der sich mit der Revision der
großen Gesetzbücher des vorigen Jahrhunderts befassen sollte. Diese Stelle hat
mit Unterbrechungen bis zum Jahre 1843 fortbestanden. Im Jahre 1842
wurde Savigny selbst Revisiousminister. Sein damaliges Ministerprogramm,
das erst seit kurzem öffentlich bekannt geworden ist,*) begann mit folgender
charakteristischen Schilderung: "Nachdem vor etwa fünfzig Jahren unsre neue



*) Vergl. Stölzel, Brandenburg-Preußens Rechtsverwaltung ?c. Bd. 2, S. 733 f.
Das bürgerliche Gesetzbuch und die Zukunft der deutschen Rechtsprechung.

Rheinland? ihr französisches Recht, das die rheinischen Juristen auch heute noch
wie einen Fetisch verehren und das allerdings von manchen Schwächen des da¬
maligen altländischen Rechtes frei war, sich zu erhalten. Auch Baden behielt
die unter dem Namen „Badisches Landrecht" veröffentlichte Bearbeitung des Code
bei. Die altpreußischen Provinzen hatten ihr Landrecht, das auch in den neuen Er¬
werbungen Preußens, mit Ausnahme der Rheinlande, eingeführt wurde. Österreich
hatte sein Gesetzbuch. In den übrigen deutschen Landen (in welchen der Code, wo er
gegolten hatte, wieder beseitigt wurde) galt gemeines Recht. Bei dieser Sach¬
lage regte im Jahre 1814 Professor Thibaut in Heidelberg den Gedanken an,
ein gemeinsames Gesetzbuch für ganz Deutschland zu schaffen. Er vertrat sein
Streben mit großer Wärme und erfreute sich lebhafter Zustimmung in den
Kreisen der Vaterlandsfreunde. Ihm trat damals Savigny in seiner bekannten
Schrift „Vom Berufe unsrer Zeit für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft"
entgegen. Savigny erachtete die Zeit nicht für reif zu einer Kodifikation. Er
verlangte vor allem erst größere Vertiefung der Rechtswissenschaft auf dem Wege
historischer Forschung.

Es mag sein, daß in diesem bedeutungsvollen geistigen Kampfe Savigny
nicht bloß deßhalb den Erfolg für sich hatte, weil man seine juristischen Be¬
denken für überwiegend hielt, sondern auch deshalb, weil bereits die traurige
Periode begonnen hatte, die jedem Streben des deutschen Volkes nach einheit¬
lichen Institutionen sich feindlich erwies. Auch läßt sich mit vollem Rechte
bezweifeln, ob die historische Rechtsschule, wie sie aus Savignys Bestrebungen
hervorgegangen ist, wesentlich zur Verbesserung der deutschen Rechtszustände
beigetragen hat. Aber man kann doch wohl heute die Frage stellen: Wäre
denn, wenn man damals nach Thibauts Rat ein Gesetzbuch geschaffen Hütte,
daraus ein guter Rechtszustand für Deutschland hervorgegangen? Schwerlich
dürften Urteilsfähige den Mut haben, diese Frage zu bejahen.

Savigny war damals schon in der Lage, auf die Mißerfolge der be¬
stehenden drei Kodifikationen hinzuweisen. Der Code und das österreichische
Gesetzbuch sind Werke, die jeder wissenschaftlichen Tiefe entbehren. Aber auch
das preußische Landrecht, auf das so viel Geist und pflichttreue Arbeit ver¬
wendet worden war, hatte, wie man schon damals nach zwanzigjährigen Bestände
deutlich erkannte, nicht den gehofften Erfolg. Bereits im Jahre 1817 wurde
in Preußen ein „Revisionsminister" ernannt, der sich mit der Revision der
großen Gesetzbücher des vorigen Jahrhunderts befassen sollte. Diese Stelle hat
mit Unterbrechungen bis zum Jahre 1843 fortbestanden. Im Jahre 1842
wurde Savigny selbst Revisiousminister. Sein damaliges Ministerprogramm,
das erst seit kurzem öffentlich bekannt geworden ist,*) begann mit folgender
charakteristischen Schilderung: „Nachdem vor etwa fünfzig Jahren unsre neue



*) Vergl. Stölzel, Brandenburg-Preußens Rechtsverwaltung ?c. Bd. 2, S. 733 f.
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[0402] Das bürgerliche Gesetzbuch und die Zukunft der deutschen Rechtsprechung. Rheinland? ihr französisches Recht, das die rheinischen Juristen auch heute noch wie einen Fetisch verehren und das allerdings von manchen Schwächen des da¬ maligen altländischen Rechtes frei war, sich zu erhalten. Auch Baden behielt die unter dem Namen „Badisches Landrecht" veröffentlichte Bearbeitung des Code bei. Die altpreußischen Provinzen hatten ihr Landrecht, das auch in den neuen Er¬ werbungen Preußens, mit Ausnahme der Rheinlande, eingeführt wurde. Österreich hatte sein Gesetzbuch. In den übrigen deutschen Landen (in welchen der Code, wo er gegolten hatte, wieder beseitigt wurde) galt gemeines Recht. Bei dieser Sach¬ lage regte im Jahre 1814 Professor Thibaut in Heidelberg den Gedanken an, ein gemeinsames Gesetzbuch für ganz Deutschland zu schaffen. Er vertrat sein Streben mit großer Wärme und erfreute sich lebhafter Zustimmung in den Kreisen der Vaterlandsfreunde. Ihm trat damals Savigny in seiner bekannten Schrift „Vom Berufe unsrer Zeit für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft" entgegen. Savigny erachtete die Zeit nicht für reif zu einer Kodifikation. Er verlangte vor allem erst größere Vertiefung der Rechtswissenschaft auf dem Wege historischer Forschung. Es mag sein, daß in diesem bedeutungsvollen geistigen Kampfe Savigny nicht bloß deßhalb den Erfolg für sich hatte, weil man seine juristischen Be¬ denken für überwiegend hielt, sondern auch deshalb, weil bereits die traurige Periode begonnen hatte, die jedem Streben des deutschen Volkes nach einheit¬ lichen Institutionen sich feindlich erwies. Auch läßt sich mit vollem Rechte bezweifeln, ob die historische Rechtsschule, wie sie aus Savignys Bestrebungen hervorgegangen ist, wesentlich zur Verbesserung der deutschen Rechtszustände beigetragen hat. Aber man kann doch wohl heute die Frage stellen: Wäre denn, wenn man damals nach Thibauts Rat ein Gesetzbuch geschaffen Hütte, daraus ein guter Rechtszustand für Deutschland hervorgegangen? Schwerlich dürften Urteilsfähige den Mut haben, diese Frage zu bejahen. Savigny war damals schon in der Lage, auf die Mißerfolge der be¬ stehenden drei Kodifikationen hinzuweisen. Der Code und das österreichische Gesetzbuch sind Werke, die jeder wissenschaftlichen Tiefe entbehren. Aber auch das preußische Landrecht, auf das so viel Geist und pflichttreue Arbeit ver¬ wendet worden war, hatte, wie man schon damals nach zwanzigjährigen Bestände deutlich erkannte, nicht den gehofften Erfolg. Bereits im Jahre 1817 wurde in Preußen ein „Revisionsminister" ernannt, der sich mit der Revision der großen Gesetzbücher des vorigen Jahrhunderts befassen sollte. Diese Stelle hat mit Unterbrechungen bis zum Jahre 1843 fortbestanden. Im Jahre 1842 wurde Savigny selbst Revisiousminister. Sein damaliges Ministerprogramm, das erst seit kurzem öffentlich bekannt geworden ist,*) begann mit folgender charakteristischen Schilderung: „Nachdem vor etwa fünfzig Jahren unsre neue *) Vergl. Stölzel, Brandenburg-Preußens Rechtsverwaltung ?c. Bd. 2, S. 733 f.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_289122/402>, abgerufen am 24.08.2024.