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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr.

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Das bürgerliche Gesetzbuch und die Zukunft der deutschen Rechtsprechung.

Werden könne. Man nennt solche Gesetzbücher, die nicht bloß einzelne Rechts-
lehrer, sondern das Recht in seiner Gesamtheit umfassen sollen, Kodifikationen.
Der Gedanke, eine solche Kodifikation zu schaffen, trat zunächst in Preußen und
dann auch in Österreich auf, ward aber in Preußen unter der Regierung Friedrichs
des Großen eifriger gefördert. Es ist charakteristisch, welche Anschauung dieser
hochragende Geist von dem hatte, was sich mittels eines solchen Gesetzbuches
erreichen lasse. "Wenn ich meinen Endzweck erlange -- schrieb er im Jahre
1780 --, so werden freilich viele Rechtsgelehrten bei der Simplifikation der
Sache ihr geheimnisvolles Ansehen verlieren, um ihren ganzen Subtilitätenkram
gebracht und das ganze Korps der bisherigen Advokaten unnütz werden."
Anderseits aber glaubte er, daß, um dieses Ziel zu erreichen, verhältnismäßig
geringe Mittel nötig seien. Als im März 1785 ihm ein Teil des von Svarez
entworfenen Gesetzbuches vorgelegt wurde, schrieb er darauf: "Es ist aber Sehr
Dicke und gesetze müssen kurtz und nicht Weitläuftig seindt." Er meinte also,
mit einem Gesetzbuch von mäßigem Umfange ließe sich alles so ordnen, daß
das Recht für jedermann leicht verständlich sei und Prozesse nicht mehr vor¬
kommen würden. Die Männer, die an dem Gesetzbuche arbeiteten, waren nicht
ganz dieser Meinung. Zwar glaubten auch sie, ein Recht schaffen zu können,
das für jedermann verständlich sein würde und das der Richter ohne viel
Nachdenken anwenden könne. Sie hielten dazu aber eine große Anzahl bis ins
einzelne gehender Vorschriften für notwendig. So entstand das preußische
Landrecht mit seinen etwa 19 000 Paragraphen. Es trat am I.Juni 1794
in Kraft -- ein damals vielbewundertes und hochgepriesenes Werk.

In Frankreich hatte die Revolution so unendlich vieles geändert, daß, als
auf den Trümmern des alten Rechtszustandes Napoleon zur Herrschaft gelangte,
er das Bedürfnis empfand, auch durch ein neues Zivilgesetzbuch seine Herrschaft
zu befestigen. So entstand unter seinen Auspizien der Qoäs vivit, ein flüch¬
tiges Machwerk, wenn auch mit dem den Franzosen eigentümlichen Geschick
bearbeitet. Er wurde nicht allein in ganz Frankreich, einschließlich der mit
demselben vereinigten Rheinlande, Gesetz, sondern er wurde auch in das Herz
Deutschlands hineingetragen, indem er im Königreich Westfalen eingeführt
wurde. Wie wenig er aber hier in das Blut des Volkes drang, dafür mag
folgende Thatsache zeugen. Der Code weiß nichts von einem Gutsansatzver-
trage. Trotzdem wurden während der westfälischen Herrschaft von den hessischen
Bauern Gutsansatzverträge nach wie vor abgeschlossen, als ob es keinen Code
in der Welt gäbe.

Während dieser Periode kam endlich auch (1812) in Österreich das "all¬
gemeine bürgerliche Gesetzbuch" zu stände. "In der ganzen Form und Anlage
ist das Werk einem etwas ausführlichen Jnstitutionenkompendium sehr ähnlich"
(Savigny).

Als die französische Herrschaft in Deutschland gestürzt war, wußten die


Grenzboten M. 1838. so
Das bürgerliche Gesetzbuch und die Zukunft der deutschen Rechtsprechung.

Werden könne. Man nennt solche Gesetzbücher, die nicht bloß einzelne Rechts-
lehrer, sondern das Recht in seiner Gesamtheit umfassen sollen, Kodifikationen.
Der Gedanke, eine solche Kodifikation zu schaffen, trat zunächst in Preußen und
dann auch in Österreich auf, ward aber in Preußen unter der Regierung Friedrichs
des Großen eifriger gefördert. Es ist charakteristisch, welche Anschauung dieser
hochragende Geist von dem hatte, was sich mittels eines solchen Gesetzbuches
erreichen lasse. „Wenn ich meinen Endzweck erlange — schrieb er im Jahre
1780 —, so werden freilich viele Rechtsgelehrten bei der Simplifikation der
Sache ihr geheimnisvolles Ansehen verlieren, um ihren ganzen Subtilitätenkram
gebracht und das ganze Korps der bisherigen Advokaten unnütz werden."
Anderseits aber glaubte er, daß, um dieses Ziel zu erreichen, verhältnismäßig
geringe Mittel nötig seien. Als im März 1785 ihm ein Teil des von Svarez
entworfenen Gesetzbuches vorgelegt wurde, schrieb er darauf: „Es ist aber Sehr
Dicke und gesetze müssen kurtz und nicht Weitläuftig seindt." Er meinte also,
mit einem Gesetzbuch von mäßigem Umfange ließe sich alles so ordnen, daß
das Recht für jedermann leicht verständlich sei und Prozesse nicht mehr vor¬
kommen würden. Die Männer, die an dem Gesetzbuche arbeiteten, waren nicht
ganz dieser Meinung. Zwar glaubten auch sie, ein Recht schaffen zu können,
das für jedermann verständlich sein würde und das der Richter ohne viel
Nachdenken anwenden könne. Sie hielten dazu aber eine große Anzahl bis ins
einzelne gehender Vorschriften für notwendig. So entstand das preußische
Landrecht mit seinen etwa 19 000 Paragraphen. Es trat am I.Juni 1794
in Kraft — ein damals vielbewundertes und hochgepriesenes Werk.

In Frankreich hatte die Revolution so unendlich vieles geändert, daß, als
auf den Trümmern des alten Rechtszustandes Napoleon zur Herrschaft gelangte,
er das Bedürfnis empfand, auch durch ein neues Zivilgesetzbuch seine Herrschaft
zu befestigen. So entstand unter seinen Auspizien der Qoäs vivit, ein flüch¬
tiges Machwerk, wenn auch mit dem den Franzosen eigentümlichen Geschick
bearbeitet. Er wurde nicht allein in ganz Frankreich, einschließlich der mit
demselben vereinigten Rheinlande, Gesetz, sondern er wurde auch in das Herz
Deutschlands hineingetragen, indem er im Königreich Westfalen eingeführt
wurde. Wie wenig er aber hier in das Blut des Volkes drang, dafür mag
folgende Thatsache zeugen. Der Code weiß nichts von einem Gutsansatzver-
trage. Trotzdem wurden während der westfälischen Herrschaft von den hessischen
Bauern Gutsansatzverträge nach wie vor abgeschlossen, als ob es keinen Code
in der Welt gäbe.

Während dieser Periode kam endlich auch (1812) in Österreich das „all¬
gemeine bürgerliche Gesetzbuch" zu stände. „In der ganzen Form und Anlage
ist das Werk einem etwas ausführlichen Jnstitutionenkompendium sehr ähnlich"
(Savigny).

Als die französische Herrschaft in Deutschland gestürzt war, wußten die


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[0401] Das bürgerliche Gesetzbuch und die Zukunft der deutschen Rechtsprechung. Werden könne. Man nennt solche Gesetzbücher, die nicht bloß einzelne Rechts- lehrer, sondern das Recht in seiner Gesamtheit umfassen sollen, Kodifikationen. Der Gedanke, eine solche Kodifikation zu schaffen, trat zunächst in Preußen und dann auch in Österreich auf, ward aber in Preußen unter der Regierung Friedrichs des Großen eifriger gefördert. Es ist charakteristisch, welche Anschauung dieser hochragende Geist von dem hatte, was sich mittels eines solchen Gesetzbuches erreichen lasse. „Wenn ich meinen Endzweck erlange — schrieb er im Jahre 1780 —, so werden freilich viele Rechtsgelehrten bei der Simplifikation der Sache ihr geheimnisvolles Ansehen verlieren, um ihren ganzen Subtilitätenkram gebracht und das ganze Korps der bisherigen Advokaten unnütz werden." Anderseits aber glaubte er, daß, um dieses Ziel zu erreichen, verhältnismäßig geringe Mittel nötig seien. Als im März 1785 ihm ein Teil des von Svarez entworfenen Gesetzbuches vorgelegt wurde, schrieb er darauf: „Es ist aber Sehr Dicke und gesetze müssen kurtz und nicht Weitläuftig seindt." Er meinte also, mit einem Gesetzbuch von mäßigem Umfange ließe sich alles so ordnen, daß das Recht für jedermann leicht verständlich sei und Prozesse nicht mehr vor¬ kommen würden. Die Männer, die an dem Gesetzbuche arbeiteten, waren nicht ganz dieser Meinung. Zwar glaubten auch sie, ein Recht schaffen zu können, das für jedermann verständlich sein würde und das der Richter ohne viel Nachdenken anwenden könne. Sie hielten dazu aber eine große Anzahl bis ins einzelne gehender Vorschriften für notwendig. So entstand das preußische Landrecht mit seinen etwa 19 000 Paragraphen. Es trat am I.Juni 1794 in Kraft — ein damals vielbewundertes und hochgepriesenes Werk. In Frankreich hatte die Revolution so unendlich vieles geändert, daß, als auf den Trümmern des alten Rechtszustandes Napoleon zur Herrschaft gelangte, er das Bedürfnis empfand, auch durch ein neues Zivilgesetzbuch seine Herrschaft zu befestigen. So entstand unter seinen Auspizien der Qoäs vivit, ein flüch¬ tiges Machwerk, wenn auch mit dem den Franzosen eigentümlichen Geschick bearbeitet. Er wurde nicht allein in ganz Frankreich, einschließlich der mit demselben vereinigten Rheinlande, Gesetz, sondern er wurde auch in das Herz Deutschlands hineingetragen, indem er im Königreich Westfalen eingeführt wurde. Wie wenig er aber hier in das Blut des Volkes drang, dafür mag folgende Thatsache zeugen. Der Code weiß nichts von einem Gutsansatzver- trage. Trotzdem wurden während der westfälischen Herrschaft von den hessischen Bauern Gutsansatzverträge nach wie vor abgeschlossen, als ob es keinen Code in der Welt gäbe. Während dieser Periode kam endlich auch (1812) in Österreich das „all¬ gemeine bürgerliche Gesetzbuch" zu stände. „In der ganzen Form und Anlage ist das Werk einem etwas ausführlichen Jnstitutionenkompendium sehr ähnlich" (Savigny). Als die französische Herrschaft in Deutschland gestürzt war, wußten die Grenzboten M. 1838. so

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_289122/401>, abgerufen am 22.07.2024.