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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr.

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Der Reichskanzler und die Parteien.

Ehre erworben. Man kann nicht sagen, daß die Regierung einen parlamen¬
tarischen Sieg in den letztverflossenen Jahren ihr allein zu danken hätte. Aber
es ist der Partei zu statten gekommen, daß sie mit einer Regierung zu gehen
beschloß, die fähig war, zu leisten, was die Partei zu vollbringen außer stände
war." Für die unheilbare Verblendung und den steifnackigen Dünkel der Kreuz¬
zeitungspolitiker war diese auch später und noch heute giltige Wahrheit eine
Predigt in den Wind. Man erinnert sich, wie sie zur Zeit der großen Ver¬
leumdungen in ihrem Blatte auf ähnliche Weise Sturm gegen den Kanzler
läutete wie Joachim Gehlsens Reichsglocke, wo ebenfalls frondirendc Junker den
Strang zogen, man denkt an die Kundgebung der Deklaranten, die das
billigte, man weiß, wie dieser Flügel der Konservativen sich wiederholt mit
Windthorsts Schwarzen zur Bekämpfung Bismarcks und seiner das Reichswohl
bezweckenden Politik verbündete, weil er ihnen nicht den Willen thun, d. h. keine
Reaktion in Szene setzen wollte.

Beinahe ganz dasselbe, was hier vom rechten Flügel der Konservativen
gesagt wurde, gilt vom linken der Nationalliberalen, der vor seinem Ausscheiden
aus der Partei so häufig der leitende war, daß es zeitweilig von der gesamten
Genossenschaft galt. Auch die Nationalliberalen haben sich bei der Neugestaltung
der deutschen Verhältnisse unzweifelhafte Verdienste erworben, aber ebenfalls nur
insofern, als sie sich der Politik des Reichskanzlers entschieden fügten. Sie
mußten, wie gesagt, als der innere Ausbau des neuen Hauses begann, dem
Baumeister nach den zunächst in Betracht kommenden Zügen ihres politischen
Charakters als besonders geeignete Arbeiter erscheinen, und sollte das Werk
rasch vollendet werden, so mußte er sie neben dem Teile der Konservativen, der
seine Pläne und Bestrebungen begriff und zu fördern gewillt war, und im
Einvernehmen mit ihm verwenden, sowie bei ihrer Arbeit festhalten und ihr
Interesse daran verstärken. Sie verfolgten gleich ihm sein zweites Hauptziel,
sie waren national und reichstreu gesinnt, aber zugleich in einem Grade liberal,
der sich damit nicht immer und mit dem ersten seiner Hauptziele, der Wahrung
des verfassungsmäßigen Rechtes des Monarchen, noch weniger vertragen wollte.
Es befand sich ein starker Prozentsatz "gesinnungstüchtiger" und infolgedessen
schwer belehrbarer Geister unter ihnen, die sich nur zögernd mit der Regierung
zu gehen entschlossen, weil das wider den Komment und Katechismus der libe¬
ralen Partei verstieß, der es für mindestens unschicklich erachtete und UnVer¬
söhnlichkeit und Opposition unter allen Umständen für das dem Genossen der¬
selben allein wohl zu Gesichte stehende Benehmen erklärte. Der Kanzler gewann
sie durch Entgegenkommen, durch möglichst schonende Behandlung ihrer Vor¬
urteile wirklich, einige ganz und für immer, andre bis zu einem gewissen Grade
und nur vorübergehend. Er erwarb sich unter ihnen Freunde durch formelle
Zugeständnisse an einige ihrer Lieblingsneigungen, die vorläufig als harmlos
betrachtet werden konnten. Aber so sehr er sich ihnen, seines höhern nationalen


Der Reichskanzler und die Parteien.

Ehre erworben. Man kann nicht sagen, daß die Regierung einen parlamen¬
tarischen Sieg in den letztverflossenen Jahren ihr allein zu danken hätte. Aber
es ist der Partei zu statten gekommen, daß sie mit einer Regierung zu gehen
beschloß, die fähig war, zu leisten, was die Partei zu vollbringen außer stände
war." Für die unheilbare Verblendung und den steifnackigen Dünkel der Kreuz¬
zeitungspolitiker war diese auch später und noch heute giltige Wahrheit eine
Predigt in den Wind. Man erinnert sich, wie sie zur Zeit der großen Ver¬
leumdungen in ihrem Blatte auf ähnliche Weise Sturm gegen den Kanzler
läutete wie Joachim Gehlsens Reichsglocke, wo ebenfalls frondirendc Junker den
Strang zogen, man denkt an die Kundgebung der Deklaranten, die das
billigte, man weiß, wie dieser Flügel der Konservativen sich wiederholt mit
Windthorsts Schwarzen zur Bekämpfung Bismarcks und seiner das Reichswohl
bezweckenden Politik verbündete, weil er ihnen nicht den Willen thun, d. h. keine
Reaktion in Szene setzen wollte.

Beinahe ganz dasselbe, was hier vom rechten Flügel der Konservativen
gesagt wurde, gilt vom linken der Nationalliberalen, der vor seinem Ausscheiden
aus der Partei so häufig der leitende war, daß es zeitweilig von der gesamten
Genossenschaft galt. Auch die Nationalliberalen haben sich bei der Neugestaltung
der deutschen Verhältnisse unzweifelhafte Verdienste erworben, aber ebenfalls nur
insofern, als sie sich der Politik des Reichskanzlers entschieden fügten. Sie
mußten, wie gesagt, als der innere Ausbau des neuen Hauses begann, dem
Baumeister nach den zunächst in Betracht kommenden Zügen ihres politischen
Charakters als besonders geeignete Arbeiter erscheinen, und sollte das Werk
rasch vollendet werden, so mußte er sie neben dem Teile der Konservativen, der
seine Pläne und Bestrebungen begriff und zu fördern gewillt war, und im
Einvernehmen mit ihm verwenden, sowie bei ihrer Arbeit festhalten und ihr
Interesse daran verstärken. Sie verfolgten gleich ihm sein zweites Hauptziel,
sie waren national und reichstreu gesinnt, aber zugleich in einem Grade liberal,
der sich damit nicht immer und mit dem ersten seiner Hauptziele, der Wahrung
des verfassungsmäßigen Rechtes des Monarchen, noch weniger vertragen wollte.
Es befand sich ein starker Prozentsatz „gesinnungstüchtiger" und infolgedessen
schwer belehrbarer Geister unter ihnen, die sich nur zögernd mit der Regierung
zu gehen entschlossen, weil das wider den Komment und Katechismus der libe¬
ralen Partei verstieß, der es für mindestens unschicklich erachtete und UnVer¬
söhnlichkeit und Opposition unter allen Umständen für das dem Genossen der¬
selben allein wohl zu Gesichte stehende Benehmen erklärte. Der Kanzler gewann
sie durch Entgegenkommen, durch möglichst schonende Behandlung ihrer Vor¬
urteile wirklich, einige ganz und für immer, andre bis zu einem gewissen Grade
und nur vorübergehend. Er erwarb sich unter ihnen Freunde durch formelle
Zugeständnisse an einige ihrer Lieblingsneigungen, die vorläufig als harmlos
betrachtet werden konnten. Aber so sehr er sich ihnen, seines höhern nationalen


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[0347] Der Reichskanzler und die Parteien. Ehre erworben. Man kann nicht sagen, daß die Regierung einen parlamen¬ tarischen Sieg in den letztverflossenen Jahren ihr allein zu danken hätte. Aber es ist der Partei zu statten gekommen, daß sie mit einer Regierung zu gehen beschloß, die fähig war, zu leisten, was die Partei zu vollbringen außer stände war." Für die unheilbare Verblendung und den steifnackigen Dünkel der Kreuz¬ zeitungspolitiker war diese auch später und noch heute giltige Wahrheit eine Predigt in den Wind. Man erinnert sich, wie sie zur Zeit der großen Ver¬ leumdungen in ihrem Blatte auf ähnliche Weise Sturm gegen den Kanzler läutete wie Joachim Gehlsens Reichsglocke, wo ebenfalls frondirendc Junker den Strang zogen, man denkt an die Kundgebung der Deklaranten, die das billigte, man weiß, wie dieser Flügel der Konservativen sich wiederholt mit Windthorsts Schwarzen zur Bekämpfung Bismarcks und seiner das Reichswohl bezweckenden Politik verbündete, weil er ihnen nicht den Willen thun, d. h. keine Reaktion in Szene setzen wollte. Beinahe ganz dasselbe, was hier vom rechten Flügel der Konservativen gesagt wurde, gilt vom linken der Nationalliberalen, der vor seinem Ausscheiden aus der Partei so häufig der leitende war, daß es zeitweilig von der gesamten Genossenschaft galt. Auch die Nationalliberalen haben sich bei der Neugestaltung der deutschen Verhältnisse unzweifelhafte Verdienste erworben, aber ebenfalls nur insofern, als sie sich der Politik des Reichskanzlers entschieden fügten. Sie mußten, wie gesagt, als der innere Ausbau des neuen Hauses begann, dem Baumeister nach den zunächst in Betracht kommenden Zügen ihres politischen Charakters als besonders geeignete Arbeiter erscheinen, und sollte das Werk rasch vollendet werden, so mußte er sie neben dem Teile der Konservativen, der seine Pläne und Bestrebungen begriff und zu fördern gewillt war, und im Einvernehmen mit ihm verwenden, sowie bei ihrer Arbeit festhalten und ihr Interesse daran verstärken. Sie verfolgten gleich ihm sein zweites Hauptziel, sie waren national und reichstreu gesinnt, aber zugleich in einem Grade liberal, der sich damit nicht immer und mit dem ersten seiner Hauptziele, der Wahrung des verfassungsmäßigen Rechtes des Monarchen, noch weniger vertragen wollte. Es befand sich ein starker Prozentsatz „gesinnungstüchtiger" und infolgedessen schwer belehrbarer Geister unter ihnen, die sich nur zögernd mit der Regierung zu gehen entschlossen, weil das wider den Komment und Katechismus der libe¬ ralen Partei verstieß, der es für mindestens unschicklich erachtete und UnVer¬ söhnlichkeit und Opposition unter allen Umständen für das dem Genossen der¬ selben allein wohl zu Gesichte stehende Benehmen erklärte. Der Kanzler gewann sie durch Entgegenkommen, durch möglichst schonende Behandlung ihrer Vor¬ urteile wirklich, einige ganz und für immer, andre bis zu einem gewissen Grade und nur vorübergehend. Er erwarb sich unter ihnen Freunde durch formelle Zugeständnisse an einige ihrer Lieblingsneigungen, die vorläufig als harmlos betrachtet werden konnten. Aber so sehr er sich ihnen, seines höhern nationalen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_289122/347>, abgerufen am 22.07.2024.