Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Der Reichskanzler und die Parteien.

es zu verschiednen Vereinbarungen, die einen Teil der Konservativen, die Junker
und die Hochkirchlichen, welche ihr Organ in der Kreuzzeitung haben, verstimmten
und dem Kanzler zuletzt entfremdeten. Zuerst grollte, dann zürnte man dem
"liberal gewordenen Ministerpräsidenten," und 1872 kam es über der Frage des
Schulaufsichtsgesetzes zwischen ihm und jener Clique, die damals viel stärker als
jetzt war, zu offnem Bruche. Die Herren näherten sich sogar dem reichsfeindlichen
Zentrum und machten mit ihm Front gegen den Minister, indem sie in dem
Bedürfnisse gesinnungsvoller Opposition mit Windthorst die "Vindikation des
monarchischen Prinzips gegen parlamentarische Majoritätswirtschaft" und die
"Verteidigung des christlichen Charakters unsers Staates" besorgen zu müssen
erklärten. Bismarck hatte am 30. Januar in einer Rede gesagt: "Wie die
Sachen augenblicklich liegen ... bedürfen wir Minister einer Majorität, die
unsre Richtung im ganzen unterstützt." Das sollte nach der Kreuzzeitung eine
"unumwundene Anerkennung desjenigen Konstitutionalismus" sein, den das
Blatt und seine Partei "seit zwanzig Jahren bekämpft hätten, weil er in Preußen
nicht verfassungsmäßig sei." Mit unbestreitbarem Rechte ließ der Kanzler darauf
entgegnen: "Nicht verfassungsmäßig? Haben wir denn keine Volksvertretung?
Ist ihre Zustimmung nicht erforderlich zur Giltigkeit der Gesetze, und wird diese
Zustimmung nicht durch ihre Majorität erteilt? Da folgt doch mit unerbitt¬
licher Konsequenz das Bedürfnis der Räte der Krone, sich eine Majorität für
ihre Gesetze zu gewinnen, wenigstens insoweit, daß sie, wenn auch nicht jede
Vorlage ihre Beistimmung findet, die Richtung der Minister im ganzen unter¬
stützt. Der Mann, den die Kreuzzeitung mit überlegener Weisheit kritisirt, hat
im Sturm und Drang bewegter Tage bewiesen, daß er das für notwendig er¬
kannte keiner Majorität zu opfern gewillt ist. Aber derselbe Staatsmann sprach
es auch aus, daß der Konflikt keine regelmüßige Einrichtung des Landes sein
könne. Wo eine Volksvertretung besteht, und wo der Konflikt nicht ewig dauern
soll, da werden Majoritäten zu gewinnen sein, und entziehen die Männer von
der Rechten ihre Unterstützung, so erhebt sich die Frage, ob die Regierung, die
das Staatsleben im Gange zu erhalten hat, weiter links noch Volksvertreter
zu finden vermag, auf deren Unterstützung sie zählen kann." Diese sehr charak¬
teristischen Worte gingen nur gegen die äußerste Rechte, die dunkelste Schattirung
der Konservativen. Von den übrigen Mitgliedern der Partei wurde gerühmt:
"Die konservative Partei hat ihren Anhalt in der Regierung gesucht und auch
gefunden. Das nennt die Kreuzzeitung den Grund des Übels. Richtiger wäre,
darin den Grund des Ansehens und der Geltung dieser Partei zu erblicken.
Unter einer starken und aufstrebenden Regierung ist diese nach langen Jahren
der Nichtachtung emporgekommen. Indem sie sich der von Sr. Majestät er¬
griffenen Politik mit Loyalität anschloß, hat sie nicht das Gelingen dieser
Politik möglich gemacht, wohl aber sich, was nie zu vergessen ist, mit derselben
identifizirt und sich dadurch die Berechtigung zu vollem Anteil an Ruhm und


Der Reichskanzler und die Parteien.

es zu verschiednen Vereinbarungen, die einen Teil der Konservativen, die Junker
und die Hochkirchlichen, welche ihr Organ in der Kreuzzeitung haben, verstimmten
und dem Kanzler zuletzt entfremdeten. Zuerst grollte, dann zürnte man dem
„liberal gewordenen Ministerpräsidenten," und 1872 kam es über der Frage des
Schulaufsichtsgesetzes zwischen ihm und jener Clique, die damals viel stärker als
jetzt war, zu offnem Bruche. Die Herren näherten sich sogar dem reichsfeindlichen
Zentrum und machten mit ihm Front gegen den Minister, indem sie in dem
Bedürfnisse gesinnungsvoller Opposition mit Windthorst die „Vindikation des
monarchischen Prinzips gegen parlamentarische Majoritätswirtschaft" und die
„Verteidigung des christlichen Charakters unsers Staates" besorgen zu müssen
erklärten. Bismarck hatte am 30. Januar in einer Rede gesagt: „Wie die
Sachen augenblicklich liegen ... bedürfen wir Minister einer Majorität, die
unsre Richtung im ganzen unterstützt." Das sollte nach der Kreuzzeitung eine
„unumwundene Anerkennung desjenigen Konstitutionalismus" sein, den das
Blatt und seine Partei „seit zwanzig Jahren bekämpft hätten, weil er in Preußen
nicht verfassungsmäßig sei." Mit unbestreitbarem Rechte ließ der Kanzler darauf
entgegnen: „Nicht verfassungsmäßig? Haben wir denn keine Volksvertretung?
Ist ihre Zustimmung nicht erforderlich zur Giltigkeit der Gesetze, und wird diese
Zustimmung nicht durch ihre Majorität erteilt? Da folgt doch mit unerbitt¬
licher Konsequenz das Bedürfnis der Räte der Krone, sich eine Majorität für
ihre Gesetze zu gewinnen, wenigstens insoweit, daß sie, wenn auch nicht jede
Vorlage ihre Beistimmung findet, die Richtung der Minister im ganzen unter¬
stützt. Der Mann, den die Kreuzzeitung mit überlegener Weisheit kritisirt, hat
im Sturm und Drang bewegter Tage bewiesen, daß er das für notwendig er¬
kannte keiner Majorität zu opfern gewillt ist. Aber derselbe Staatsmann sprach
es auch aus, daß der Konflikt keine regelmüßige Einrichtung des Landes sein
könne. Wo eine Volksvertretung besteht, und wo der Konflikt nicht ewig dauern
soll, da werden Majoritäten zu gewinnen sein, und entziehen die Männer von
der Rechten ihre Unterstützung, so erhebt sich die Frage, ob die Regierung, die
das Staatsleben im Gange zu erhalten hat, weiter links noch Volksvertreter
zu finden vermag, auf deren Unterstützung sie zählen kann." Diese sehr charak¬
teristischen Worte gingen nur gegen die äußerste Rechte, die dunkelste Schattirung
der Konservativen. Von den übrigen Mitgliedern der Partei wurde gerühmt:
„Die konservative Partei hat ihren Anhalt in der Regierung gesucht und auch
gefunden. Das nennt die Kreuzzeitung den Grund des Übels. Richtiger wäre,
darin den Grund des Ansehens und der Geltung dieser Partei zu erblicken.
Unter einer starken und aufstrebenden Regierung ist diese nach langen Jahren
der Nichtachtung emporgekommen. Indem sie sich der von Sr. Majestät er¬
griffenen Politik mit Loyalität anschloß, hat sie nicht das Gelingen dieser
Politik möglich gemacht, wohl aber sich, was nie zu vergessen ist, mit derselben
identifizirt und sich dadurch die Berechtigung zu vollem Anteil an Ruhm und


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0346" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/289469"/>
          <fw type="header" place="top"> Der Reichskanzler und die Parteien.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1181" prev="#ID_1180" next="#ID_1182"> es zu verschiednen Vereinbarungen, die einen Teil der Konservativen, die Junker<lb/>
und die Hochkirchlichen, welche ihr Organ in der Kreuzzeitung haben, verstimmten<lb/>
und dem Kanzler zuletzt entfremdeten. Zuerst grollte, dann zürnte man dem<lb/>
&#x201E;liberal gewordenen Ministerpräsidenten," und 1872 kam es über der Frage des<lb/>
Schulaufsichtsgesetzes zwischen ihm und jener Clique, die damals viel stärker als<lb/>
jetzt war, zu offnem Bruche. Die Herren näherten sich sogar dem reichsfeindlichen<lb/>
Zentrum und machten mit ihm Front gegen den Minister, indem sie in dem<lb/>
Bedürfnisse gesinnungsvoller Opposition mit Windthorst die &#x201E;Vindikation des<lb/>
monarchischen Prinzips gegen parlamentarische Majoritätswirtschaft" und die<lb/>
&#x201E;Verteidigung des christlichen Charakters unsers Staates" besorgen zu müssen<lb/>
erklärten. Bismarck hatte am 30. Januar in einer Rede gesagt: &#x201E;Wie die<lb/>
Sachen augenblicklich liegen ... bedürfen wir Minister einer Majorität, die<lb/>
unsre Richtung im ganzen unterstützt." Das sollte nach der Kreuzzeitung eine<lb/>
&#x201E;unumwundene Anerkennung desjenigen Konstitutionalismus" sein, den das<lb/>
Blatt und seine Partei &#x201E;seit zwanzig Jahren bekämpft hätten, weil er in Preußen<lb/>
nicht verfassungsmäßig sei." Mit unbestreitbarem Rechte ließ der Kanzler darauf<lb/>
entgegnen: &#x201E;Nicht verfassungsmäßig? Haben wir denn keine Volksvertretung?<lb/>
Ist ihre Zustimmung nicht erforderlich zur Giltigkeit der Gesetze, und wird diese<lb/>
Zustimmung nicht durch ihre Majorität erteilt? Da folgt doch mit unerbitt¬<lb/>
licher Konsequenz das Bedürfnis der Räte der Krone, sich eine Majorität für<lb/>
ihre Gesetze zu gewinnen, wenigstens insoweit, daß sie, wenn auch nicht jede<lb/>
Vorlage ihre Beistimmung findet, die Richtung der Minister im ganzen unter¬<lb/>
stützt. Der Mann, den die Kreuzzeitung mit überlegener Weisheit kritisirt, hat<lb/>
im Sturm und Drang bewegter Tage bewiesen, daß er das für notwendig er¬<lb/>
kannte keiner Majorität zu opfern gewillt ist. Aber derselbe Staatsmann sprach<lb/>
es auch aus, daß der Konflikt keine regelmüßige Einrichtung des Landes sein<lb/>
könne. Wo eine Volksvertretung besteht, und wo der Konflikt nicht ewig dauern<lb/>
soll, da werden Majoritäten zu gewinnen sein, und entziehen die Männer von<lb/>
der Rechten ihre Unterstützung, so erhebt sich die Frage, ob die Regierung, die<lb/>
das Staatsleben im Gange zu erhalten hat, weiter links noch Volksvertreter<lb/>
zu finden vermag, auf deren Unterstützung sie zählen kann." Diese sehr charak¬<lb/>
teristischen Worte gingen nur gegen die äußerste Rechte, die dunkelste Schattirung<lb/>
der Konservativen. Von den übrigen Mitgliedern der Partei wurde gerühmt:<lb/>
&#x201E;Die konservative Partei hat ihren Anhalt in der Regierung gesucht und auch<lb/>
gefunden. Das nennt die Kreuzzeitung den Grund des Übels. Richtiger wäre,<lb/>
darin den Grund des Ansehens und der Geltung dieser Partei zu erblicken.<lb/>
Unter einer starken und aufstrebenden Regierung ist diese nach langen Jahren<lb/>
der Nichtachtung emporgekommen. Indem sie sich der von Sr. Majestät er¬<lb/>
griffenen Politik mit Loyalität anschloß, hat sie nicht das Gelingen dieser<lb/>
Politik möglich gemacht, wohl aber sich, was nie zu vergessen ist, mit derselben<lb/>
identifizirt und sich dadurch die Berechtigung zu vollem Anteil an Ruhm und</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0346] Der Reichskanzler und die Parteien. es zu verschiednen Vereinbarungen, die einen Teil der Konservativen, die Junker und die Hochkirchlichen, welche ihr Organ in der Kreuzzeitung haben, verstimmten und dem Kanzler zuletzt entfremdeten. Zuerst grollte, dann zürnte man dem „liberal gewordenen Ministerpräsidenten," und 1872 kam es über der Frage des Schulaufsichtsgesetzes zwischen ihm und jener Clique, die damals viel stärker als jetzt war, zu offnem Bruche. Die Herren näherten sich sogar dem reichsfeindlichen Zentrum und machten mit ihm Front gegen den Minister, indem sie in dem Bedürfnisse gesinnungsvoller Opposition mit Windthorst die „Vindikation des monarchischen Prinzips gegen parlamentarische Majoritätswirtschaft" und die „Verteidigung des christlichen Charakters unsers Staates" besorgen zu müssen erklärten. Bismarck hatte am 30. Januar in einer Rede gesagt: „Wie die Sachen augenblicklich liegen ... bedürfen wir Minister einer Majorität, die unsre Richtung im ganzen unterstützt." Das sollte nach der Kreuzzeitung eine „unumwundene Anerkennung desjenigen Konstitutionalismus" sein, den das Blatt und seine Partei „seit zwanzig Jahren bekämpft hätten, weil er in Preußen nicht verfassungsmäßig sei." Mit unbestreitbarem Rechte ließ der Kanzler darauf entgegnen: „Nicht verfassungsmäßig? Haben wir denn keine Volksvertretung? Ist ihre Zustimmung nicht erforderlich zur Giltigkeit der Gesetze, und wird diese Zustimmung nicht durch ihre Majorität erteilt? Da folgt doch mit unerbitt¬ licher Konsequenz das Bedürfnis der Räte der Krone, sich eine Majorität für ihre Gesetze zu gewinnen, wenigstens insoweit, daß sie, wenn auch nicht jede Vorlage ihre Beistimmung findet, die Richtung der Minister im ganzen unter¬ stützt. Der Mann, den die Kreuzzeitung mit überlegener Weisheit kritisirt, hat im Sturm und Drang bewegter Tage bewiesen, daß er das für notwendig er¬ kannte keiner Majorität zu opfern gewillt ist. Aber derselbe Staatsmann sprach es auch aus, daß der Konflikt keine regelmüßige Einrichtung des Landes sein könne. Wo eine Volksvertretung besteht, und wo der Konflikt nicht ewig dauern soll, da werden Majoritäten zu gewinnen sein, und entziehen die Männer von der Rechten ihre Unterstützung, so erhebt sich die Frage, ob die Regierung, die das Staatsleben im Gange zu erhalten hat, weiter links noch Volksvertreter zu finden vermag, auf deren Unterstützung sie zählen kann." Diese sehr charak¬ teristischen Worte gingen nur gegen die äußerste Rechte, die dunkelste Schattirung der Konservativen. Von den übrigen Mitgliedern der Partei wurde gerühmt: „Die konservative Partei hat ihren Anhalt in der Regierung gesucht und auch gefunden. Das nennt die Kreuzzeitung den Grund des Übels. Richtiger wäre, darin den Grund des Ansehens und der Geltung dieser Partei zu erblicken. Unter einer starken und aufstrebenden Regierung ist diese nach langen Jahren der Nichtachtung emporgekommen. Indem sie sich der von Sr. Majestät er¬ griffenen Politik mit Loyalität anschloß, hat sie nicht das Gelingen dieser Politik möglich gemacht, wohl aber sich, was nie zu vergessen ist, mit derselben identifizirt und sich dadurch die Berechtigung zu vollem Anteil an Ruhm und

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_289122
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_289122/346
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_289122/346>, abgerufen am 22.07.2024.