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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr.

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Ricks Tyhne,

die für sie der bitterste Tropfen in dem ganzen Kelche war. Allmählich begriff
er auch, wie sehr ihr seine Rücksicht, seine ehrerbietige Huldigung zur Last fallen,
sie in ärgerliche Unruhe versetzen mußte. Liegt es doch nur zu nahe, daß eine
Frau, die aus dem Purpnrbett ihrer Träume auf das Steinpflaster hinab¬
gestürzt worden ist, jeden haßt, der ihr weiche Decken über die Steine breiten
will; denn in ihrer ersten Bitterkeit will sie gerade die Härte in ihrem ganzen
Umfange fühlen; es genügt ihr nicht, den Weg zu Fuß zurückzulegen, sie will
ihn ans den Knieen entlang kriechen, und zwar gerade da, wo er am härtesten
ist, wo die Steine am spitzesten sind. Sie weist jede Hand, jede Hilfe zurück,
sie will ihr Haupt nicht erheben, ihr Antlitz soll tief im Staube liegen, soll
den Staub mit der Zunge schmecken.

Ricks bedauerte sie von ganzem Herzen, aber er ließ sie in Frieden, wie
sie es ja gewünscht hatte.

Es war so schwer, sie leiden zu sehen, nicht helfen zu können, weit fort
zu sitze" und sie in dummen Träumen glücklich zu träumen oder in kühler
ärztlicher Klugheit zu warten und zu berechnen und zu sich selber so traurig
und so klug zu sagen, daß eine Linderung nicht eher eintreten könne, als bis
ihre alte Hoffnung auf den feinen, funkelnden Reichtum des Lebens sich völlig
verblutet und ein trägerer Lebensstrom alle Adern ihres Wesens durchdrungen
habe, bis sie selber stumpf genug geworden sei, um zu vergessen, schwerfällig genug,
um sich genügen zu lassen, und schließlich sogar grobstoffig genug, um an der
trüben Seligkeit Gefallen zu finden, die viele Himmel tiefer ist als die, welche
sie gehofft und die zu erreichen sie sich so schmerzlich heiß nach Flügeln ge¬
sehnt hatte.

Ihn erfaßte ein wahrer Abscheu vor der ganzen Welt, wenn er darüber
nachdachte, wie sie, vor der er einst so demütig und anbetend in seinem Herzen
gekniet hatte, nun so tief erniedrigt war, daß sie in Knechtschaft leben, frierend
am Zaun des Feldes stehen mußte, während er hoch zu Roß an ihr vorüber¬
ritt, und das reiche Gold des Lebens in seiner Tasche rasselte.

Eines Sonntagsnachmittags, gegen Ende August, ruderte Ricks über den
Fjord. Er fand Fennimore allein zu Hause. Sie lag, als er kam, auf einem
Sofa im Eckzimmer und klagte bei jedem Atemzug mit jenem kurzen, regel¬
mäßigen Stöhnen, das einem, wenn man krank ist, die Schmerzen zu erleichtern
scheint. Sie habe so furchtbare Kopfschmerzen, klagte sie, und es sei niemand
zu Hause, der ihr helfen könne; das Mädchen habe Erlaubnis bekommen, nach
Hcidssund zu den Ihren zu gehen, und bald nachdem sie gegangen, sei jemand
gekommen, um Erik abzuholen; sie könne gar nicht begreifen, wohin sie nur in
dem Regenwetter gefahren sein könnten. Jetzt habe sie schon mehrere Stunden
hier gelegen und versucht zu schlafen, aber daran sei vor lauter Schmerzen
nicht zu denken gewesen. Sie habe es noch niemals so gehabt, und es sei so
plötzlich gekommen, des Mittags habe ihr noch nicht das Geringste gefehlt, in


Grcnzlwtm III. 1888. 42
Ricks Tyhne,

die für sie der bitterste Tropfen in dem ganzen Kelche war. Allmählich begriff
er auch, wie sehr ihr seine Rücksicht, seine ehrerbietige Huldigung zur Last fallen,
sie in ärgerliche Unruhe versetzen mußte. Liegt es doch nur zu nahe, daß eine
Frau, die aus dem Purpnrbett ihrer Träume auf das Steinpflaster hinab¬
gestürzt worden ist, jeden haßt, der ihr weiche Decken über die Steine breiten
will; denn in ihrer ersten Bitterkeit will sie gerade die Härte in ihrem ganzen
Umfange fühlen; es genügt ihr nicht, den Weg zu Fuß zurückzulegen, sie will
ihn ans den Knieen entlang kriechen, und zwar gerade da, wo er am härtesten
ist, wo die Steine am spitzesten sind. Sie weist jede Hand, jede Hilfe zurück,
sie will ihr Haupt nicht erheben, ihr Antlitz soll tief im Staube liegen, soll
den Staub mit der Zunge schmecken.

Ricks bedauerte sie von ganzem Herzen, aber er ließ sie in Frieden, wie
sie es ja gewünscht hatte.

Es war so schwer, sie leiden zu sehen, nicht helfen zu können, weit fort
zu sitze» und sie in dummen Träumen glücklich zu träumen oder in kühler
ärztlicher Klugheit zu warten und zu berechnen und zu sich selber so traurig
und so klug zu sagen, daß eine Linderung nicht eher eintreten könne, als bis
ihre alte Hoffnung auf den feinen, funkelnden Reichtum des Lebens sich völlig
verblutet und ein trägerer Lebensstrom alle Adern ihres Wesens durchdrungen
habe, bis sie selber stumpf genug geworden sei, um zu vergessen, schwerfällig genug,
um sich genügen zu lassen, und schließlich sogar grobstoffig genug, um an der
trüben Seligkeit Gefallen zu finden, die viele Himmel tiefer ist als die, welche
sie gehofft und die zu erreichen sie sich so schmerzlich heiß nach Flügeln ge¬
sehnt hatte.

Ihn erfaßte ein wahrer Abscheu vor der ganzen Welt, wenn er darüber
nachdachte, wie sie, vor der er einst so demütig und anbetend in seinem Herzen
gekniet hatte, nun so tief erniedrigt war, daß sie in Knechtschaft leben, frierend
am Zaun des Feldes stehen mußte, während er hoch zu Roß an ihr vorüber¬
ritt, und das reiche Gold des Lebens in seiner Tasche rasselte.

Eines Sonntagsnachmittags, gegen Ende August, ruderte Ricks über den
Fjord. Er fand Fennimore allein zu Hause. Sie lag, als er kam, auf einem
Sofa im Eckzimmer und klagte bei jedem Atemzug mit jenem kurzen, regel¬
mäßigen Stöhnen, das einem, wenn man krank ist, die Schmerzen zu erleichtern
scheint. Sie habe so furchtbare Kopfschmerzen, klagte sie, und es sei niemand
zu Hause, der ihr helfen könne; das Mädchen habe Erlaubnis bekommen, nach
Hcidssund zu den Ihren zu gehen, und bald nachdem sie gegangen, sei jemand
gekommen, um Erik abzuholen; sie könne gar nicht begreifen, wohin sie nur in
dem Regenwetter gefahren sein könnten. Jetzt habe sie schon mehrere Stunden
hier gelegen und versucht zu schlafen, aber daran sei vor lauter Schmerzen
nicht zu denken gewesen. Sie habe es noch niemals so gehabt, und es sei so
plötzlich gekommen, des Mittags habe ihr noch nicht das Geringste gefehlt, in


Grcnzlwtm III. 1888. 42
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[0337] Ricks Tyhne, die für sie der bitterste Tropfen in dem ganzen Kelche war. Allmählich begriff er auch, wie sehr ihr seine Rücksicht, seine ehrerbietige Huldigung zur Last fallen, sie in ärgerliche Unruhe versetzen mußte. Liegt es doch nur zu nahe, daß eine Frau, die aus dem Purpnrbett ihrer Träume auf das Steinpflaster hinab¬ gestürzt worden ist, jeden haßt, der ihr weiche Decken über die Steine breiten will; denn in ihrer ersten Bitterkeit will sie gerade die Härte in ihrem ganzen Umfange fühlen; es genügt ihr nicht, den Weg zu Fuß zurückzulegen, sie will ihn ans den Knieen entlang kriechen, und zwar gerade da, wo er am härtesten ist, wo die Steine am spitzesten sind. Sie weist jede Hand, jede Hilfe zurück, sie will ihr Haupt nicht erheben, ihr Antlitz soll tief im Staube liegen, soll den Staub mit der Zunge schmecken. Ricks bedauerte sie von ganzem Herzen, aber er ließ sie in Frieden, wie sie es ja gewünscht hatte. Es war so schwer, sie leiden zu sehen, nicht helfen zu können, weit fort zu sitze» und sie in dummen Träumen glücklich zu träumen oder in kühler ärztlicher Klugheit zu warten und zu berechnen und zu sich selber so traurig und so klug zu sagen, daß eine Linderung nicht eher eintreten könne, als bis ihre alte Hoffnung auf den feinen, funkelnden Reichtum des Lebens sich völlig verblutet und ein trägerer Lebensstrom alle Adern ihres Wesens durchdrungen habe, bis sie selber stumpf genug geworden sei, um zu vergessen, schwerfällig genug, um sich genügen zu lassen, und schließlich sogar grobstoffig genug, um an der trüben Seligkeit Gefallen zu finden, die viele Himmel tiefer ist als die, welche sie gehofft und die zu erreichen sie sich so schmerzlich heiß nach Flügeln ge¬ sehnt hatte. Ihn erfaßte ein wahrer Abscheu vor der ganzen Welt, wenn er darüber nachdachte, wie sie, vor der er einst so demütig und anbetend in seinem Herzen gekniet hatte, nun so tief erniedrigt war, daß sie in Knechtschaft leben, frierend am Zaun des Feldes stehen mußte, während er hoch zu Roß an ihr vorüber¬ ritt, und das reiche Gold des Lebens in seiner Tasche rasselte. Eines Sonntagsnachmittags, gegen Ende August, ruderte Ricks über den Fjord. Er fand Fennimore allein zu Hause. Sie lag, als er kam, auf einem Sofa im Eckzimmer und klagte bei jedem Atemzug mit jenem kurzen, regel¬ mäßigen Stöhnen, das einem, wenn man krank ist, die Schmerzen zu erleichtern scheint. Sie habe so furchtbare Kopfschmerzen, klagte sie, und es sei niemand zu Hause, der ihr helfen könne; das Mädchen habe Erlaubnis bekommen, nach Hcidssund zu den Ihren zu gehen, und bald nachdem sie gegangen, sei jemand gekommen, um Erik abzuholen; sie könne gar nicht begreifen, wohin sie nur in dem Regenwetter gefahren sein könnten. Jetzt habe sie schon mehrere Stunden hier gelegen und versucht zu schlafen, aber daran sei vor lauter Schmerzen nicht zu denken gewesen. Sie habe es noch niemals so gehabt, und es sei so plötzlich gekommen, des Mittags habe ihr noch nicht das Geringste gefehlt, in Grcnzlwtm III. 1888. 42

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_289122/337>, abgerufen am 26.06.2024.