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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr.

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Lrmnorungen aus Alt-Jena.

Die Wahl zum deutschen Parlamente hatte übrigens in Jena eine hoch¬
gehende Aufregung im unmittelbaren Gefolge gehabt und die Scheidung der
Geister vollendet. Dem Anstürmen der radikalen Agitation warf sich u. a. der
bereits erwähnte Präsident Ortloff mit einer vortrefflich geschriebenen und scharf
ins Fleisch schneidenden Flugschrift entgegen, die ihm freilich geringen Dank
eintrug. Die verschiednen Parteien sammelten sich und traten in Vereinen zu¬
sammen. In dem "konstitutionellen" Vereine sammelte sich alles, was, von
dem dreisten Treiben der Demagogen und der radikalen Politiker abgestoßen,
die Herstellung einer verfassungsmäßigen Freiheit in den Einzelstaaten und die
Ersetzung des alten Bundes durch einen kräftigen Bundesstaat zum Programm
erhob. Auch die Frage einer straffem Einigung der thüringischen Staaten kam
zur Erörterung, wenn man sich auch mit den Wünschen nicht geradezu bis zur
Herstellung eines Königreiches Thüringen verstieg, worüber der Herzog Ernst
von Gotha in seinen jüngst erschienenen Denkwürdigkeiten einige Mitteilungen
macht. In diesem konstitutionellen Vereine fanden sich allerdings auch Elemente
ein, die das Recht der Selbsthilfe der Nation gänzlich in Frage stellten, sie
waren aber nicht stark genug, an dem besagten Programm wesentliches zu än¬
dern. Diesem Vereine gehörte die Mehrzahl der Professoren und Dozenten,
der Beamten und auch viele angesehene Bürger an, er hat sich bis zum Er¬
löschen der Bewegung behauptet und unzweifelhaft manches Gute gewirkt,
manchen Schwankenden auf die rechte Bahn geführt.

Ein zweiter Verein nannte sich, glaube ich, Volksverein. Ich habe ihn
nur aus der Entfernung beobachtet; seiner Richtung nach ließ er sich etwa mit
den Deutschfreisiunigen unsrer Tage vergleichen. Die Häupter des Vereins ge¬
hörten überwiegend ebenfalls der Universität an, sein Publikum bestand aus
Bürgern und verwandten Elementen. Sein Programm verlangte das "ganze
Deutschland" und vor allem möglichst viele und unbeschränkte Freiheiten. Gegen
die Erhaltung der monarchischen Ordnungen erhoben die Herren nicht gerade
grundsätzliche Einwendungen, aber die Volksfreiheit sollte keinesfalls darunter
leiden. Eine monarchische Spitze fand man sicher für das wiedergeborne Deutsch¬
land unnötig, ja unzulässig. Es war eben das Programm G. Chr. Schülers,
von dem ich oben gesprochen habe, der aber sein Licht unmittelbar in Frankfurt
leuchten lassen mußte. Auf den Bänken dieses Vereins traf man u. a. Männer
wie den Botaniker Schleiden, den Kliniker sichert und den Pädagogen Stop.
Schleiden war eine geniale, aber leidenschaftliche Natur, und schon aus diesem
Grunde ein schlechter Politiker oder doch von zweifelhaftem Berufe zur öffent¬
lichen Wirksamkeit. Es scheint ihn eine allgemeine innere Verstimmung auf
die Seite der demokratischen Opposition getrieben zu haben, eine wahre Befrie¬
digung hätte er wohl auf keiner Seite gefunden. Daß er sich zu guterletzt sogar
noch in den weimarischen Landtag wählen ließ, war ein augenfälliger Luxus;
jedenfalls hätte er seine Zeit zweckmäßiger verwenden können. Nicht mit Still-


Lrmnorungen aus Alt-Jena.

Die Wahl zum deutschen Parlamente hatte übrigens in Jena eine hoch¬
gehende Aufregung im unmittelbaren Gefolge gehabt und die Scheidung der
Geister vollendet. Dem Anstürmen der radikalen Agitation warf sich u. a. der
bereits erwähnte Präsident Ortloff mit einer vortrefflich geschriebenen und scharf
ins Fleisch schneidenden Flugschrift entgegen, die ihm freilich geringen Dank
eintrug. Die verschiednen Parteien sammelten sich und traten in Vereinen zu¬
sammen. In dem „konstitutionellen" Vereine sammelte sich alles, was, von
dem dreisten Treiben der Demagogen und der radikalen Politiker abgestoßen,
die Herstellung einer verfassungsmäßigen Freiheit in den Einzelstaaten und die
Ersetzung des alten Bundes durch einen kräftigen Bundesstaat zum Programm
erhob. Auch die Frage einer straffem Einigung der thüringischen Staaten kam
zur Erörterung, wenn man sich auch mit den Wünschen nicht geradezu bis zur
Herstellung eines Königreiches Thüringen verstieg, worüber der Herzog Ernst
von Gotha in seinen jüngst erschienenen Denkwürdigkeiten einige Mitteilungen
macht. In diesem konstitutionellen Vereine fanden sich allerdings auch Elemente
ein, die das Recht der Selbsthilfe der Nation gänzlich in Frage stellten, sie
waren aber nicht stark genug, an dem besagten Programm wesentliches zu än¬
dern. Diesem Vereine gehörte die Mehrzahl der Professoren und Dozenten,
der Beamten und auch viele angesehene Bürger an, er hat sich bis zum Er¬
löschen der Bewegung behauptet und unzweifelhaft manches Gute gewirkt,
manchen Schwankenden auf die rechte Bahn geführt.

Ein zweiter Verein nannte sich, glaube ich, Volksverein. Ich habe ihn
nur aus der Entfernung beobachtet; seiner Richtung nach ließ er sich etwa mit
den Deutschfreisiunigen unsrer Tage vergleichen. Die Häupter des Vereins ge¬
hörten überwiegend ebenfalls der Universität an, sein Publikum bestand aus
Bürgern und verwandten Elementen. Sein Programm verlangte das „ganze
Deutschland" und vor allem möglichst viele und unbeschränkte Freiheiten. Gegen
die Erhaltung der monarchischen Ordnungen erhoben die Herren nicht gerade
grundsätzliche Einwendungen, aber die Volksfreiheit sollte keinesfalls darunter
leiden. Eine monarchische Spitze fand man sicher für das wiedergeborne Deutsch¬
land unnötig, ja unzulässig. Es war eben das Programm G. Chr. Schülers,
von dem ich oben gesprochen habe, der aber sein Licht unmittelbar in Frankfurt
leuchten lassen mußte. Auf den Bänken dieses Vereins traf man u. a. Männer
wie den Botaniker Schleiden, den Kliniker sichert und den Pädagogen Stop.
Schleiden war eine geniale, aber leidenschaftliche Natur, und schon aus diesem
Grunde ein schlechter Politiker oder doch von zweifelhaftem Berufe zur öffent¬
lichen Wirksamkeit. Es scheint ihn eine allgemeine innere Verstimmung auf
die Seite der demokratischen Opposition getrieben zu haben, eine wahre Befrie¬
digung hätte er wohl auf keiner Seite gefunden. Daß er sich zu guterletzt sogar
noch in den weimarischen Landtag wählen ließ, war ein augenfälliger Luxus;
jedenfalls hätte er seine Zeit zweckmäßiger verwenden können. Nicht mit Still-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_289122/323>, abgerufen am 24.08.2024.