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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr.

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Erinnerungen ans Alt-Jena.

leiten, so doch zu den Seltsamkeiten Jenas zählte. Ich meine den Professor
- Ferdinand Wächter, der sich durch verschiedne Arbeiten ans dem Gebiete des
germanischen Altertums und der (thüringischen) Geschichte bemerkbar gemacht
hat, ein Sonderling im Leben wie in der Wissenschaft. Seit Jahren hatte er sich
gänzlich von der Welt zurückgezogen, war einer unüberwindlichen Menschenscheu
anheimgefallen und zum unbedingten Einsiedler geworden. Kaum daß sich
jemand rühmen durfte, bei ihm nur überhaupt Zutritt gefunden zu haben. Man
erzählte sich, seine Menschenflucht sei die Folge einer unerwiederten oder ge¬
täuschten Jugendneigung gewesen, deren Gegenstand mit einem echt deutschen
Rufnamen und andern guten Eigenschaften den Liebhaber des deutschen Alter¬
tums in Fesseln geschlagen hatte. Wie dem nun sei, ich erinnere mich noch
recht deutlich, wie der Bedauernswerte, einen breiten, roten Regenschirm unter
dem Arme, Tag für Tag zur bestimmten Stunde scheuen Blickes durch die
Straßen huschte, um seinen gewohnten Spaziergang nach dem benachbarten
Dorfe Wöllnitz anzutreten. Mehrere Jahre später verließ er Jena ganz,
zog sich auf seine kleine Besitzung im Vogtlande zurück und wäre sicher
unbeachtet dahingegangen, wenn nicht sein trauriges Ende die Aufmerksamkeit
aufs neue auf ihn gelenkt hätte. Wenn mich mein Gedächtnis nicht täuscht,
hatte er sich zuletzt wieder in der Nähe von Jena, ich glaube in dem Städtchen
Lobeda, niedergelassen und wurde hier (1861) das Opfer eines Raubmörders,
den die Begierde nach Schützen, die man bei ihm vermutete, zu der scheußlichen
Unthat trieb.

Neben den älteren Lehrern der Universität bewegte sich in diesen Jahren
eine ziemlich große Zahl jüngerer, die dann im Verlaufe des nächsten Jahr¬
zehntes nach allen Himmelsrichtungen zerstreut worden sind, und von denen
mittlerweile bereits mehrere heimgegangen sind. So der Zoologe Oskar Schmidt,
der vor zwei Jahre" als Professor in Straßburg gestorben ist, ein durch¬
aus gediegener Mensch, liebenswürdig, zuverlässig und von höchst kollegialer
Gesinnung. Seines Bleibens ist freilich nicht lange in Jena gewesen, obwohl
sein Fach durch keinen andern vertreten war, sei es, weil sich die Mittel für
einen halbwegs tüchtigen Vertreter seiner Professur nicht auftreiben ließen,
sei es, weil er nicht in das System paßte, das mit dem Jahre 1851 zur
Herrschaft gelangt war. So ging er denn zuerst nach Krakau wie in eine
ehrenvolle Verbannung, von da in befriedigendere Verhältnisse nach Graz und
endlich in eine angesehene Stellung nach Straßburg. Bereits dachte er daran,
mit der nahenden Vollendung seines 65. Lebensjahres sich in sein altes liebes
Jena zurückzuziehen, als ein rascher Tod dazwischen trat und ihm die unersehnte
letzte Ruhestätte in dem zurückgewonnenen Reichslande bereitete.

Neben O. Schmidt erwähne ich den Historiker Ernst Adolf Herrmann, der sich
als Verfasser einer Geschichte Rußlands allgemeine Anerkennung erworben hat.
Er stammte ans den Ostseeprovinzen und hatte sich in Berlin unter Ranke cmsge-


Erinnerungen ans Alt-Jena.

leiten, so doch zu den Seltsamkeiten Jenas zählte. Ich meine den Professor
- Ferdinand Wächter, der sich durch verschiedne Arbeiten ans dem Gebiete des
germanischen Altertums und der (thüringischen) Geschichte bemerkbar gemacht
hat, ein Sonderling im Leben wie in der Wissenschaft. Seit Jahren hatte er sich
gänzlich von der Welt zurückgezogen, war einer unüberwindlichen Menschenscheu
anheimgefallen und zum unbedingten Einsiedler geworden. Kaum daß sich
jemand rühmen durfte, bei ihm nur überhaupt Zutritt gefunden zu haben. Man
erzählte sich, seine Menschenflucht sei die Folge einer unerwiederten oder ge¬
täuschten Jugendneigung gewesen, deren Gegenstand mit einem echt deutschen
Rufnamen und andern guten Eigenschaften den Liebhaber des deutschen Alter¬
tums in Fesseln geschlagen hatte. Wie dem nun sei, ich erinnere mich noch
recht deutlich, wie der Bedauernswerte, einen breiten, roten Regenschirm unter
dem Arme, Tag für Tag zur bestimmten Stunde scheuen Blickes durch die
Straßen huschte, um seinen gewohnten Spaziergang nach dem benachbarten
Dorfe Wöllnitz anzutreten. Mehrere Jahre später verließ er Jena ganz,
zog sich auf seine kleine Besitzung im Vogtlande zurück und wäre sicher
unbeachtet dahingegangen, wenn nicht sein trauriges Ende die Aufmerksamkeit
aufs neue auf ihn gelenkt hätte. Wenn mich mein Gedächtnis nicht täuscht,
hatte er sich zuletzt wieder in der Nähe von Jena, ich glaube in dem Städtchen
Lobeda, niedergelassen und wurde hier (1861) das Opfer eines Raubmörders,
den die Begierde nach Schützen, die man bei ihm vermutete, zu der scheußlichen
Unthat trieb.

Neben den älteren Lehrern der Universität bewegte sich in diesen Jahren
eine ziemlich große Zahl jüngerer, die dann im Verlaufe des nächsten Jahr¬
zehntes nach allen Himmelsrichtungen zerstreut worden sind, und von denen
mittlerweile bereits mehrere heimgegangen sind. So der Zoologe Oskar Schmidt,
der vor zwei Jahre» als Professor in Straßburg gestorben ist, ein durch¬
aus gediegener Mensch, liebenswürdig, zuverlässig und von höchst kollegialer
Gesinnung. Seines Bleibens ist freilich nicht lange in Jena gewesen, obwohl
sein Fach durch keinen andern vertreten war, sei es, weil sich die Mittel für
einen halbwegs tüchtigen Vertreter seiner Professur nicht auftreiben ließen,
sei es, weil er nicht in das System paßte, das mit dem Jahre 1851 zur
Herrschaft gelangt war. So ging er denn zuerst nach Krakau wie in eine
ehrenvolle Verbannung, von da in befriedigendere Verhältnisse nach Graz und
endlich in eine angesehene Stellung nach Straßburg. Bereits dachte er daran,
mit der nahenden Vollendung seines 65. Lebensjahres sich in sein altes liebes
Jena zurückzuziehen, als ein rascher Tod dazwischen trat und ihm die unersehnte
letzte Ruhestätte in dem zurückgewonnenen Reichslande bereitete.

Neben O. Schmidt erwähne ich den Historiker Ernst Adolf Herrmann, der sich
als Verfasser einer Geschichte Rußlands allgemeine Anerkennung erworben hat.
Er stammte ans den Ostseeprovinzen und hatte sich in Berlin unter Ranke cmsge-


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[0318] Erinnerungen ans Alt-Jena. leiten, so doch zu den Seltsamkeiten Jenas zählte. Ich meine den Professor - Ferdinand Wächter, der sich durch verschiedne Arbeiten ans dem Gebiete des germanischen Altertums und der (thüringischen) Geschichte bemerkbar gemacht hat, ein Sonderling im Leben wie in der Wissenschaft. Seit Jahren hatte er sich gänzlich von der Welt zurückgezogen, war einer unüberwindlichen Menschenscheu anheimgefallen und zum unbedingten Einsiedler geworden. Kaum daß sich jemand rühmen durfte, bei ihm nur überhaupt Zutritt gefunden zu haben. Man erzählte sich, seine Menschenflucht sei die Folge einer unerwiederten oder ge¬ täuschten Jugendneigung gewesen, deren Gegenstand mit einem echt deutschen Rufnamen und andern guten Eigenschaften den Liebhaber des deutschen Alter¬ tums in Fesseln geschlagen hatte. Wie dem nun sei, ich erinnere mich noch recht deutlich, wie der Bedauernswerte, einen breiten, roten Regenschirm unter dem Arme, Tag für Tag zur bestimmten Stunde scheuen Blickes durch die Straßen huschte, um seinen gewohnten Spaziergang nach dem benachbarten Dorfe Wöllnitz anzutreten. Mehrere Jahre später verließ er Jena ganz, zog sich auf seine kleine Besitzung im Vogtlande zurück und wäre sicher unbeachtet dahingegangen, wenn nicht sein trauriges Ende die Aufmerksamkeit aufs neue auf ihn gelenkt hätte. Wenn mich mein Gedächtnis nicht täuscht, hatte er sich zuletzt wieder in der Nähe von Jena, ich glaube in dem Städtchen Lobeda, niedergelassen und wurde hier (1861) das Opfer eines Raubmörders, den die Begierde nach Schützen, die man bei ihm vermutete, zu der scheußlichen Unthat trieb. Neben den älteren Lehrern der Universität bewegte sich in diesen Jahren eine ziemlich große Zahl jüngerer, die dann im Verlaufe des nächsten Jahr¬ zehntes nach allen Himmelsrichtungen zerstreut worden sind, und von denen mittlerweile bereits mehrere heimgegangen sind. So der Zoologe Oskar Schmidt, der vor zwei Jahre» als Professor in Straßburg gestorben ist, ein durch¬ aus gediegener Mensch, liebenswürdig, zuverlässig und von höchst kollegialer Gesinnung. Seines Bleibens ist freilich nicht lange in Jena gewesen, obwohl sein Fach durch keinen andern vertreten war, sei es, weil sich die Mittel für einen halbwegs tüchtigen Vertreter seiner Professur nicht auftreiben ließen, sei es, weil er nicht in das System paßte, das mit dem Jahre 1851 zur Herrschaft gelangt war. So ging er denn zuerst nach Krakau wie in eine ehrenvolle Verbannung, von da in befriedigendere Verhältnisse nach Graz und endlich in eine angesehene Stellung nach Straßburg. Bereits dachte er daran, mit der nahenden Vollendung seines 65. Lebensjahres sich in sein altes liebes Jena zurückzuziehen, als ein rascher Tod dazwischen trat und ihm die unersehnte letzte Ruhestätte in dem zurückgewonnenen Reichslande bereitete. Neben O. Schmidt erwähne ich den Historiker Ernst Adolf Herrmann, der sich als Verfasser einer Geschichte Rußlands allgemeine Anerkennung erworben hat. Er stammte ans den Ostseeprovinzen und hatte sich in Berlin unter Ranke cmsge-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_289122/318>, abgerufen am 22.07.2024.