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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr.

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Zur Alters- und Invalidenversorgung.

und Knappschaftskassen, das alles bietet ein buntes Bild verschiedenster Organi¬
sationen, die sich für den beabsichtigten Zweck der vorübergehenden Kranken¬
unterstützung ganz gut eignen, nicht aber für die Besorgung von Arbeiten, wie
sie die Versicherung gegen dauernde Arbeitsunfähigkeit mit sich bringt. Bei
vorübergehender Krankheit handelt es sich um Leistungen für 13 oder auch
26 Wochen, und für solche mag z. B. eine Fabrikkasse oder eine eingeschriebene
Hilfskasse die nötige Gewähr bieten. Anders ist es bei dauernder Erwerbs¬
losigkeit. Ein Arbeiter, dem ein Unfall zugestoßen ist oder der seine durch
anderweitige Verhältnisse entstandene Invalidität anmelden muß, blickt dabei
unter Umständen anf eine Thätigkeit von Jahrzehnten zurück, in denen er
vielleicht in Dutzenden von Orten seinen erlernten Beruf ausgeübt hat. Hier
bedarf es deshalb sicherer, festgefügter Verbände, deren Bestehen ein für allemal
staatlich verbürgt ist. Will man den Krankenkassen die Alters- und Invaliden-
Versorgung übertragen, so müssen sie zu derartigen Verbänden zum Teil erst
umgeschaffen werden, und daß es hierbei ohne einschneidende Änderungen nicht
abgeht, ist außer Zweifel.

Anders liegt der Fall mit den in letzter Zeit wieder so viel angegriffenen
Berufsgenossenschaften, die in Wirklichkeit besser sind als ihr Ruf. In ihnen
hat die Reichsregierung von Anfang an die künftigen Träger der Alters- und
Invalidenversicherung erblickt, und sie eignen sich auch hierzu ihrer ganzen Ein¬
richtung nach am allerbesten, sobald die Sache nur praktisch angegriffen und
folgerichtig auf Grund des Bestehenden weiter gebaut wird. Sie mögen ihre
Mängel haben, aber sie sind einmal geschaffen, haben sich schon etwas eingelebt,
und vielleicht verschwindet oder mildert sich gerade ein Teil ihrer Mängel, z. B. der
teure Apparat, durch die Angliederung weiterer Aufgaben, wodurch dieser Apparat
mehr Arbeit erhält. Also Angliederung der Alters- und Invalidenversicherung
an die Berufsgenossenschaften. Aber wie? Ich denke mir die Sache so.

Gegen Alter und Invalidität wäre jeder Arbeiter zu versichern, der einem
der Unfallversicherung unterworfenen Betriebe angehört. Jeder solche Arbeiter
erhält bei seinem Eintritt in den Betrieb von der Ortsbehörde ein Arbeitsbuch
(ohne eine Quittung geht es bei der Sache nun einmal mit allem guten Willen
nicht ab), etwa nach Art der für die Arbeiter unter einundzwanzig Jahren schon
im Gebrauch befindlichen, worin ihm der Eintritt in den betreffenden Betrieb
sowie seinerzeit der etwaige Austritt vom Arbeitgeber zu bestätigen ist. Die
Richtigkeit dieser Einträge wird durch Vermerk der Ortsbehörde beglaubigt und
zugleich in einer weitern Rubrik die Anzahl der vollen Wochen, während deren
der Arbeiter beschäftigt gewesen ist, und die Berufsgenossenschaft, zu der der
Betrieb gehört, vermerkt. Über die betreffenden Beglaubigungen ist von der
Ortsbehörde Buch zu führen, auch steht ihr das Recht zu, für jeden Eintrag
eine kleine Gebühr zu erheben, die vom Arbeitgeber und vom Arbeiter je zur
Hälfte zu tragen ist.


Zur Alters- und Invalidenversorgung.

und Knappschaftskassen, das alles bietet ein buntes Bild verschiedenster Organi¬
sationen, die sich für den beabsichtigten Zweck der vorübergehenden Kranken¬
unterstützung ganz gut eignen, nicht aber für die Besorgung von Arbeiten, wie
sie die Versicherung gegen dauernde Arbeitsunfähigkeit mit sich bringt. Bei
vorübergehender Krankheit handelt es sich um Leistungen für 13 oder auch
26 Wochen, und für solche mag z. B. eine Fabrikkasse oder eine eingeschriebene
Hilfskasse die nötige Gewähr bieten. Anders ist es bei dauernder Erwerbs¬
losigkeit. Ein Arbeiter, dem ein Unfall zugestoßen ist oder der seine durch
anderweitige Verhältnisse entstandene Invalidität anmelden muß, blickt dabei
unter Umständen anf eine Thätigkeit von Jahrzehnten zurück, in denen er
vielleicht in Dutzenden von Orten seinen erlernten Beruf ausgeübt hat. Hier
bedarf es deshalb sicherer, festgefügter Verbände, deren Bestehen ein für allemal
staatlich verbürgt ist. Will man den Krankenkassen die Alters- und Invaliden-
Versorgung übertragen, so müssen sie zu derartigen Verbänden zum Teil erst
umgeschaffen werden, und daß es hierbei ohne einschneidende Änderungen nicht
abgeht, ist außer Zweifel.

Anders liegt der Fall mit den in letzter Zeit wieder so viel angegriffenen
Berufsgenossenschaften, die in Wirklichkeit besser sind als ihr Ruf. In ihnen
hat die Reichsregierung von Anfang an die künftigen Träger der Alters- und
Invalidenversicherung erblickt, und sie eignen sich auch hierzu ihrer ganzen Ein¬
richtung nach am allerbesten, sobald die Sache nur praktisch angegriffen und
folgerichtig auf Grund des Bestehenden weiter gebaut wird. Sie mögen ihre
Mängel haben, aber sie sind einmal geschaffen, haben sich schon etwas eingelebt,
und vielleicht verschwindet oder mildert sich gerade ein Teil ihrer Mängel, z. B. der
teure Apparat, durch die Angliederung weiterer Aufgaben, wodurch dieser Apparat
mehr Arbeit erhält. Also Angliederung der Alters- und Invalidenversicherung
an die Berufsgenossenschaften. Aber wie? Ich denke mir die Sache so.

Gegen Alter und Invalidität wäre jeder Arbeiter zu versichern, der einem
der Unfallversicherung unterworfenen Betriebe angehört. Jeder solche Arbeiter
erhält bei seinem Eintritt in den Betrieb von der Ortsbehörde ein Arbeitsbuch
(ohne eine Quittung geht es bei der Sache nun einmal mit allem guten Willen
nicht ab), etwa nach Art der für die Arbeiter unter einundzwanzig Jahren schon
im Gebrauch befindlichen, worin ihm der Eintritt in den betreffenden Betrieb
sowie seinerzeit der etwaige Austritt vom Arbeitgeber zu bestätigen ist. Die
Richtigkeit dieser Einträge wird durch Vermerk der Ortsbehörde beglaubigt und
zugleich in einer weitern Rubrik die Anzahl der vollen Wochen, während deren
der Arbeiter beschäftigt gewesen ist, und die Berufsgenossenschaft, zu der der
Betrieb gehört, vermerkt. Über die betreffenden Beglaubigungen ist von der
Ortsbehörde Buch zu führen, auch steht ihr das Recht zu, für jeden Eintrag
eine kleine Gebühr zu erheben, die vom Arbeitgeber und vom Arbeiter je zur
Hälfte zu tragen ist.


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[0306] Zur Alters- und Invalidenversorgung. und Knappschaftskassen, das alles bietet ein buntes Bild verschiedenster Organi¬ sationen, die sich für den beabsichtigten Zweck der vorübergehenden Kranken¬ unterstützung ganz gut eignen, nicht aber für die Besorgung von Arbeiten, wie sie die Versicherung gegen dauernde Arbeitsunfähigkeit mit sich bringt. Bei vorübergehender Krankheit handelt es sich um Leistungen für 13 oder auch 26 Wochen, und für solche mag z. B. eine Fabrikkasse oder eine eingeschriebene Hilfskasse die nötige Gewähr bieten. Anders ist es bei dauernder Erwerbs¬ losigkeit. Ein Arbeiter, dem ein Unfall zugestoßen ist oder der seine durch anderweitige Verhältnisse entstandene Invalidität anmelden muß, blickt dabei unter Umständen anf eine Thätigkeit von Jahrzehnten zurück, in denen er vielleicht in Dutzenden von Orten seinen erlernten Beruf ausgeübt hat. Hier bedarf es deshalb sicherer, festgefügter Verbände, deren Bestehen ein für allemal staatlich verbürgt ist. Will man den Krankenkassen die Alters- und Invaliden- Versorgung übertragen, so müssen sie zu derartigen Verbänden zum Teil erst umgeschaffen werden, und daß es hierbei ohne einschneidende Änderungen nicht abgeht, ist außer Zweifel. Anders liegt der Fall mit den in letzter Zeit wieder so viel angegriffenen Berufsgenossenschaften, die in Wirklichkeit besser sind als ihr Ruf. In ihnen hat die Reichsregierung von Anfang an die künftigen Träger der Alters- und Invalidenversicherung erblickt, und sie eignen sich auch hierzu ihrer ganzen Ein¬ richtung nach am allerbesten, sobald die Sache nur praktisch angegriffen und folgerichtig auf Grund des Bestehenden weiter gebaut wird. Sie mögen ihre Mängel haben, aber sie sind einmal geschaffen, haben sich schon etwas eingelebt, und vielleicht verschwindet oder mildert sich gerade ein Teil ihrer Mängel, z. B. der teure Apparat, durch die Angliederung weiterer Aufgaben, wodurch dieser Apparat mehr Arbeit erhält. Also Angliederung der Alters- und Invalidenversicherung an die Berufsgenossenschaften. Aber wie? Ich denke mir die Sache so. Gegen Alter und Invalidität wäre jeder Arbeiter zu versichern, der einem der Unfallversicherung unterworfenen Betriebe angehört. Jeder solche Arbeiter erhält bei seinem Eintritt in den Betrieb von der Ortsbehörde ein Arbeitsbuch (ohne eine Quittung geht es bei der Sache nun einmal mit allem guten Willen nicht ab), etwa nach Art der für die Arbeiter unter einundzwanzig Jahren schon im Gebrauch befindlichen, worin ihm der Eintritt in den betreffenden Betrieb sowie seinerzeit der etwaige Austritt vom Arbeitgeber zu bestätigen ist. Die Richtigkeit dieser Einträge wird durch Vermerk der Ortsbehörde beglaubigt und zugleich in einer weitern Rubrik die Anzahl der vollen Wochen, während deren der Arbeiter beschäftigt gewesen ist, und die Berufsgenossenschaft, zu der der Betrieb gehört, vermerkt. Über die betreffenden Beglaubigungen ist von der Ortsbehörde Buch zu führen, auch steht ihr das Recht zu, für jeden Eintrag eine kleine Gebühr zu erheben, die vom Arbeitgeber und vom Arbeiter je zur Hälfte zu tragen ist.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_289122/306>, abgerufen am 24.08.2024.