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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr.

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Das Wahlkartell und die Kreuzzeitungspartei,

Worden ist: in Breslcin, das jetzt von drei Abgeordneten vertreten wird, die zur
Fahne Eugen Richters geschworen haben, sind von den Kartellparteien ein deutsch¬
konservativer, ein freikonservativer und ein nationalliberaler Kandidat aufgestellt
worden, und in Schweidnitz-Striegau haben sich die reichstreuen Parteien das
Wort gegeben, die beiden bisherigen Mandatsinhaber, von denen der eine
nationalliberal, der andre konservativ ist, gemeinsam zu unterstützen. Dagegen
hat Herr von Rauchhaupt, wie bekannt, ein besonders angesehener Führer der
Deutschkonservativen, es gerade jetzt für zeitgemäß erachtet, in einer öffentlichen
Rede die nationalliberale Partei in scharfer Weise anzurennen und mit Gering¬
schätzung von der Gemeinschaft mit ihr zu sprechen, indem er behauptete, der
ganze Osten der Monarchie wolle von ihnen nichts hören, und so könne man
sich von ihnen im Westen lossagen, ohne Vergeltung fürchten zu müssen. Das
beruhte zunächst auf einem Gedächtnisfehler. Der Osten Preußens gehört jetzt
allerdings den Konservativen, das war aber nicht immer so und braucht auch
nicht immer so zu bleiben. Es gab Jahre, wo nur vier Altkonservative im
Landtage saßen; noch 1376, als die Deklaranten beschämt in ihre Stiefel ver¬
sunken waren, brachte es die Partei mit Mühe und Not auf zweiundvierzig
Mandate, noch kein Drittel der Zahl, welche die Nationalliberalen aufzuweisen
hatten, und wenn sie jetzt Herrn von Rauchhaupts Schwenkung folgen wollte,
könnte sie leicht wieder zusammenschrumpfen wie vor zwölf Jahren. Es konnte
nicht verwundern und es war wohl vom Redner erwartet, daß die Germania,
Windthorsts Mundstück und Leiborgan, den schneidigen Ton der Absage mit
Wohlgefallen begrüßte, und ebenso wenig überraschte der Beifall, den ihr die
Kreuzzeitung spendete. Ist das einst in seiner Art sehr achtbare und noch jetzt
in auswärtigen Fragen häufig auf rechten Wegen gehende Blatt gegenwärtig
doch auf dem Gebiete der innern Angelegenheiten in kleinlicher, engherziger
Parteipolitik nicht minder befangen wie Eugen Richter und Konsorten, nur in
entgegengesetzter Ecke, und hat es doch nicht minder wie diese Verblendeten schon
längst den Blick für das eigentliche Leben und Bedürfnis der Nation eingebüßt.
Den Herren in diesem Winkel aus der Seele gesprochen zu haben, heißt aber
glücklicherweise nicht, der gesamten konservativen Partei oder auch nur der
Mehrheit derselben Worte geliehen zu haben. Diese Partei hat, wie die
Konservative Korrespondenz in der Sache erklärte, nicht die Aufgabe, Man¬
datsjägerei zu treiben, und ihre Kraft und Blüte wird nicht an der Zahl der
Parlamentssitze erkannt, die ihre Vertreter einnehmen, sondern an dem Maße
und Umfange, in welchem sich ihre religiösen und politischen Grundgedanken im
Volke befestigen. "Ihre Gesichtspunkte dürfen, zumal in wichtigen Epochen
unsrer Geschichte, keine andern sein als patriotische, und dieser Standpunkt sagt
uns so klar und bestimmt, wie nur eine Erkenntnis bestehen kann, daß wir im
gegenwärtigen Augenblicke doppelt Veranlassung haben, die Erschütterung hef¬
tiger Parteikämpfe und die Gefahr einer Rückbildung des im vorigen Jahre


Das Wahlkartell und die Kreuzzeitungspartei,

Worden ist: in Breslcin, das jetzt von drei Abgeordneten vertreten wird, die zur
Fahne Eugen Richters geschworen haben, sind von den Kartellparteien ein deutsch¬
konservativer, ein freikonservativer und ein nationalliberaler Kandidat aufgestellt
worden, und in Schweidnitz-Striegau haben sich die reichstreuen Parteien das
Wort gegeben, die beiden bisherigen Mandatsinhaber, von denen der eine
nationalliberal, der andre konservativ ist, gemeinsam zu unterstützen. Dagegen
hat Herr von Rauchhaupt, wie bekannt, ein besonders angesehener Führer der
Deutschkonservativen, es gerade jetzt für zeitgemäß erachtet, in einer öffentlichen
Rede die nationalliberale Partei in scharfer Weise anzurennen und mit Gering¬
schätzung von der Gemeinschaft mit ihr zu sprechen, indem er behauptete, der
ganze Osten der Monarchie wolle von ihnen nichts hören, und so könne man
sich von ihnen im Westen lossagen, ohne Vergeltung fürchten zu müssen. Das
beruhte zunächst auf einem Gedächtnisfehler. Der Osten Preußens gehört jetzt
allerdings den Konservativen, das war aber nicht immer so und braucht auch
nicht immer so zu bleiben. Es gab Jahre, wo nur vier Altkonservative im
Landtage saßen; noch 1376, als die Deklaranten beschämt in ihre Stiefel ver¬
sunken waren, brachte es die Partei mit Mühe und Not auf zweiundvierzig
Mandate, noch kein Drittel der Zahl, welche die Nationalliberalen aufzuweisen
hatten, und wenn sie jetzt Herrn von Rauchhaupts Schwenkung folgen wollte,
könnte sie leicht wieder zusammenschrumpfen wie vor zwölf Jahren. Es konnte
nicht verwundern und es war wohl vom Redner erwartet, daß die Germania,
Windthorsts Mundstück und Leiborgan, den schneidigen Ton der Absage mit
Wohlgefallen begrüßte, und ebenso wenig überraschte der Beifall, den ihr die
Kreuzzeitung spendete. Ist das einst in seiner Art sehr achtbare und noch jetzt
in auswärtigen Fragen häufig auf rechten Wegen gehende Blatt gegenwärtig
doch auf dem Gebiete der innern Angelegenheiten in kleinlicher, engherziger
Parteipolitik nicht minder befangen wie Eugen Richter und Konsorten, nur in
entgegengesetzter Ecke, und hat es doch nicht minder wie diese Verblendeten schon
längst den Blick für das eigentliche Leben und Bedürfnis der Nation eingebüßt.
Den Herren in diesem Winkel aus der Seele gesprochen zu haben, heißt aber
glücklicherweise nicht, der gesamten konservativen Partei oder auch nur der
Mehrheit derselben Worte geliehen zu haben. Diese Partei hat, wie die
Konservative Korrespondenz in der Sache erklärte, nicht die Aufgabe, Man¬
datsjägerei zu treiben, und ihre Kraft und Blüte wird nicht an der Zahl der
Parlamentssitze erkannt, die ihre Vertreter einnehmen, sondern an dem Maße
und Umfange, in welchem sich ihre religiösen und politischen Grundgedanken im
Volke befestigen. „Ihre Gesichtspunkte dürfen, zumal in wichtigen Epochen
unsrer Geschichte, keine andern sein als patriotische, und dieser Standpunkt sagt
uns so klar und bestimmt, wie nur eine Erkenntnis bestehen kann, daß wir im
gegenwärtigen Augenblicke doppelt Veranlassung haben, die Erschütterung hef¬
tiger Parteikämpfe und die Gefahr einer Rückbildung des im vorigen Jahre


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[0299] Das Wahlkartell und die Kreuzzeitungspartei, Worden ist: in Breslcin, das jetzt von drei Abgeordneten vertreten wird, die zur Fahne Eugen Richters geschworen haben, sind von den Kartellparteien ein deutsch¬ konservativer, ein freikonservativer und ein nationalliberaler Kandidat aufgestellt worden, und in Schweidnitz-Striegau haben sich die reichstreuen Parteien das Wort gegeben, die beiden bisherigen Mandatsinhaber, von denen der eine nationalliberal, der andre konservativ ist, gemeinsam zu unterstützen. Dagegen hat Herr von Rauchhaupt, wie bekannt, ein besonders angesehener Führer der Deutschkonservativen, es gerade jetzt für zeitgemäß erachtet, in einer öffentlichen Rede die nationalliberale Partei in scharfer Weise anzurennen und mit Gering¬ schätzung von der Gemeinschaft mit ihr zu sprechen, indem er behauptete, der ganze Osten der Monarchie wolle von ihnen nichts hören, und so könne man sich von ihnen im Westen lossagen, ohne Vergeltung fürchten zu müssen. Das beruhte zunächst auf einem Gedächtnisfehler. Der Osten Preußens gehört jetzt allerdings den Konservativen, das war aber nicht immer so und braucht auch nicht immer so zu bleiben. Es gab Jahre, wo nur vier Altkonservative im Landtage saßen; noch 1376, als die Deklaranten beschämt in ihre Stiefel ver¬ sunken waren, brachte es die Partei mit Mühe und Not auf zweiundvierzig Mandate, noch kein Drittel der Zahl, welche die Nationalliberalen aufzuweisen hatten, und wenn sie jetzt Herrn von Rauchhaupts Schwenkung folgen wollte, könnte sie leicht wieder zusammenschrumpfen wie vor zwölf Jahren. Es konnte nicht verwundern und es war wohl vom Redner erwartet, daß die Germania, Windthorsts Mundstück und Leiborgan, den schneidigen Ton der Absage mit Wohlgefallen begrüßte, und ebenso wenig überraschte der Beifall, den ihr die Kreuzzeitung spendete. Ist das einst in seiner Art sehr achtbare und noch jetzt in auswärtigen Fragen häufig auf rechten Wegen gehende Blatt gegenwärtig doch auf dem Gebiete der innern Angelegenheiten in kleinlicher, engherziger Parteipolitik nicht minder befangen wie Eugen Richter und Konsorten, nur in entgegengesetzter Ecke, und hat es doch nicht minder wie diese Verblendeten schon längst den Blick für das eigentliche Leben und Bedürfnis der Nation eingebüßt. Den Herren in diesem Winkel aus der Seele gesprochen zu haben, heißt aber glücklicherweise nicht, der gesamten konservativen Partei oder auch nur der Mehrheit derselben Worte geliehen zu haben. Diese Partei hat, wie die Konservative Korrespondenz in der Sache erklärte, nicht die Aufgabe, Man¬ datsjägerei zu treiben, und ihre Kraft und Blüte wird nicht an der Zahl der Parlamentssitze erkannt, die ihre Vertreter einnehmen, sondern an dem Maße und Umfange, in welchem sich ihre religiösen und politischen Grundgedanken im Volke befestigen. „Ihre Gesichtspunkte dürfen, zumal in wichtigen Epochen unsrer Geschichte, keine andern sein als patriotische, und dieser Standpunkt sagt uns so klar und bestimmt, wie nur eine Erkenntnis bestehen kann, daß wir im gegenwärtigen Augenblicke doppelt Veranlassung haben, die Erschütterung hef¬ tiger Parteikämpfe und die Gefahr einer Rückbildung des im vorigen Jahre

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_289122/299>, abgerufen am 22.07.2024.