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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr.

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Richard Wagners Leer.

und phrasenhaft. Gerade diejenigen Nummern, welche formal am besten ge¬
lungen sind, sind in Bezug auf Ursprünglichkeit und Gedankenfülle die schwächsten.
Hin und wieder erhebt sich aber doch die Komposition, die im ersten und letzten
Akte meistens den Eindruck der Langenweile hinterläßt, über diese bescheidene
Höhe sogenannter Kapellmeistermusik, und vereinzelt lassen sich sogar Spuren
der nachmals so schroff ausgebildeten Eigentümlichkeit des "Zukunftsmusikers"
finden. Böse Zungen werden dazu in erster Linie die übermäßigen Längen und
die übermenschlichen Anforderungen an die Stimmkraft der Sänger rechnen;
wir möchten außer auf die leicht erkennbaren, zum Teil auch in den spätern
Opern in verbesserter Gestalt aufgenommenen Wagnerschen Melismen und
Motive, namentlich auf die für ihn nachher so bezeichnend gewordene Verwendung
des Paukensolos nach einer wichtigen Entscheidung, z. B. nach dem Schwur
im ersten Akt, auf die Vorliebe für Geigentremolos in hoher Lage bei der
feierlichen Verkündigung bedeutsamer Worte und auf das Vorherrschen der
xezitativischen Gestaltung hinweisen. Wagners Neigung zum Unschönen. na¬
turalistischen giebt sich hier, in dem kleinen Schreichor bei der Ankunft des
Harald (zweiter Akt), schon ziemlich unangenehm kund. Im allgemeinen läßt
sich bereits hier der Charakter seiner Melodie als vorwiegend instrumental be¬
zeichnen, und wie in seinen spätern Werken äußert sich seine musikalische Er¬
findungskraft mehr und besser in kleinen, aber charakteristischen Motiven als in
voll ausgewachsenen Melodien. Was die Jugendoper an breiten, entwickelten,
melodischen Sätzen bietet, erinnert, wenn sich nicht der Einfluß der Weberschen
Ccmtilene heilsam geltend machte, oft bedenklich an Weisen, wie man sie auf
der Straße hören kann. Dagegen tritt in Nummern wie Adas verzweiflungs¬
vollen Monolog vor der Entscheidung ihres Geschickes und Arindals Wahn¬
sinnsszene bereits Wagners eigenstes Können zu Tage; mangelt auch durchweg
die Größe der Form, so erheben sich diese Stücke doch zu beträchtlicher Höhe
in der Wahrheit des Ausdruckes. Sein bestes Können, seine große Herrschaft
über die Kunstmittel verraten aber, wie schon bemerkt, diejenigen Stücke, welche
mehr oder weniger stark seinen Vorbildern nachempfunden sind. Dahin gehört
namentlich eine ganz im Weberschen Zuschnitte gehaltene Cavatine der Lora,
ein gut geführtes und sehr wohlklingendes a eg,xxe1Ig.-Quintett mit Chor und
das vom Publikum am beifälligsten aufgenommene komische Liebesduett der
Drolla und des Gernot, das in seiner leichten, zungenfertigen Weise unver¬
kennbar auf Einflüsse der französischen Spieloper zurückzuführen ist. Meist
aber sind es, wie Wagner später selbst erzählte, Beethoven, Weber und
Marschner, die die musikalische Ausdrucksweise des jungen Komponisten be¬
stimmten, und zwar war es von den drei Meistern wieder Weber, der am nach¬
haltigsten wirkte. Vor allem die Gestaltung der Melodik und der Charakter
der Figuration weisen auf den Schöpfer der romantischen Oper als Vorbild
zurück, und im Bau der großen Solonummern läßt sich das eingehende Studium


Richard Wagners Leer.

und phrasenhaft. Gerade diejenigen Nummern, welche formal am besten ge¬
lungen sind, sind in Bezug auf Ursprünglichkeit und Gedankenfülle die schwächsten.
Hin und wieder erhebt sich aber doch die Komposition, die im ersten und letzten
Akte meistens den Eindruck der Langenweile hinterläßt, über diese bescheidene
Höhe sogenannter Kapellmeistermusik, und vereinzelt lassen sich sogar Spuren
der nachmals so schroff ausgebildeten Eigentümlichkeit des „Zukunftsmusikers"
finden. Böse Zungen werden dazu in erster Linie die übermäßigen Längen und
die übermenschlichen Anforderungen an die Stimmkraft der Sänger rechnen;
wir möchten außer auf die leicht erkennbaren, zum Teil auch in den spätern
Opern in verbesserter Gestalt aufgenommenen Wagnerschen Melismen und
Motive, namentlich auf die für ihn nachher so bezeichnend gewordene Verwendung
des Paukensolos nach einer wichtigen Entscheidung, z. B. nach dem Schwur
im ersten Akt, auf die Vorliebe für Geigentremolos in hoher Lage bei der
feierlichen Verkündigung bedeutsamer Worte und auf das Vorherrschen der
xezitativischen Gestaltung hinweisen. Wagners Neigung zum Unschönen. na¬
turalistischen giebt sich hier, in dem kleinen Schreichor bei der Ankunft des
Harald (zweiter Akt), schon ziemlich unangenehm kund. Im allgemeinen läßt
sich bereits hier der Charakter seiner Melodie als vorwiegend instrumental be¬
zeichnen, und wie in seinen spätern Werken äußert sich seine musikalische Er¬
findungskraft mehr und besser in kleinen, aber charakteristischen Motiven als in
voll ausgewachsenen Melodien. Was die Jugendoper an breiten, entwickelten,
melodischen Sätzen bietet, erinnert, wenn sich nicht der Einfluß der Weberschen
Ccmtilene heilsam geltend machte, oft bedenklich an Weisen, wie man sie auf
der Straße hören kann. Dagegen tritt in Nummern wie Adas verzweiflungs¬
vollen Monolog vor der Entscheidung ihres Geschickes und Arindals Wahn¬
sinnsszene bereits Wagners eigenstes Können zu Tage; mangelt auch durchweg
die Größe der Form, so erheben sich diese Stücke doch zu beträchtlicher Höhe
in der Wahrheit des Ausdruckes. Sein bestes Können, seine große Herrschaft
über die Kunstmittel verraten aber, wie schon bemerkt, diejenigen Stücke, welche
mehr oder weniger stark seinen Vorbildern nachempfunden sind. Dahin gehört
namentlich eine ganz im Weberschen Zuschnitte gehaltene Cavatine der Lora,
ein gut geführtes und sehr wohlklingendes a eg,xxe1Ig.-Quintett mit Chor und
das vom Publikum am beifälligsten aufgenommene komische Liebesduett der
Drolla und des Gernot, das in seiner leichten, zungenfertigen Weise unver¬
kennbar auf Einflüsse der französischen Spieloper zurückzuführen ist. Meist
aber sind es, wie Wagner später selbst erzählte, Beethoven, Weber und
Marschner, die die musikalische Ausdrucksweise des jungen Komponisten be¬
stimmten, und zwar war es von den drei Meistern wieder Weber, der am nach¬
haltigsten wirkte. Vor allem die Gestaltung der Melodik und der Charakter
der Figuration weisen auf den Schöpfer der romantischen Oper als Vorbild
zurück, und im Bau der großen Solonummern läßt sich das eingehende Studium


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[0276] Richard Wagners Leer. und phrasenhaft. Gerade diejenigen Nummern, welche formal am besten ge¬ lungen sind, sind in Bezug auf Ursprünglichkeit und Gedankenfülle die schwächsten. Hin und wieder erhebt sich aber doch die Komposition, die im ersten und letzten Akte meistens den Eindruck der Langenweile hinterläßt, über diese bescheidene Höhe sogenannter Kapellmeistermusik, und vereinzelt lassen sich sogar Spuren der nachmals so schroff ausgebildeten Eigentümlichkeit des „Zukunftsmusikers" finden. Böse Zungen werden dazu in erster Linie die übermäßigen Längen und die übermenschlichen Anforderungen an die Stimmkraft der Sänger rechnen; wir möchten außer auf die leicht erkennbaren, zum Teil auch in den spätern Opern in verbesserter Gestalt aufgenommenen Wagnerschen Melismen und Motive, namentlich auf die für ihn nachher so bezeichnend gewordene Verwendung des Paukensolos nach einer wichtigen Entscheidung, z. B. nach dem Schwur im ersten Akt, auf die Vorliebe für Geigentremolos in hoher Lage bei der feierlichen Verkündigung bedeutsamer Worte und auf das Vorherrschen der xezitativischen Gestaltung hinweisen. Wagners Neigung zum Unschönen. na¬ turalistischen giebt sich hier, in dem kleinen Schreichor bei der Ankunft des Harald (zweiter Akt), schon ziemlich unangenehm kund. Im allgemeinen läßt sich bereits hier der Charakter seiner Melodie als vorwiegend instrumental be¬ zeichnen, und wie in seinen spätern Werken äußert sich seine musikalische Er¬ findungskraft mehr und besser in kleinen, aber charakteristischen Motiven als in voll ausgewachsenen Melodien. Was die Jugendoper an breiten, entwickelten, melodischen Sätzen bietet, erinnert, wenn sich nicht der Einfluß der Weberschen Ccmtilene heilsam geltend machte, oft bedenklich an Weisen, wie man sie auf der Straße hören kann. Dagegen tritt in Nummern wie Adas verzweiflungs¬ vollen Monolog vor der Entscheidung ihres Geschickes und Arindals Wahn¬ sinnsszene bereits Wagners eigenstes Können zu Tage; mangelt auch durchweg die Größe der Form, so erheben sich diese Stücke doch zu beträchtlicher Höhe in der Wahrheit des Ausdruckes. Sein bestes Können, seine große Herrschaft über die Kunstmittel verraten aber, wie schon bemerkt, diejenigen Stücke, welche mehr oder weniger stark seinen Vorbildern nachempfunden sind. Dahin gehört namentlich eine ganz im Weberschen Zuschnitte gehaltene Cavatine der Lora, ein gut geführtes und sehr wohlklingendes a eg,xxe1Ig.-Quintett mit Chor und das vom Publikum am beifälligsten aufgenommene komische Liebesduett der Drolla und des Gernot, das in seiner leichten, zungenfertigen Weise unver¬ kennbar auf Einflüsse der französischen Spieloper zurückzuführen ist. Meist aber sind es, wie Wagner später selbst erzählte, Beethoven, Weber und Marschner, die die musikalische Ausdrucksweise des jungen Komponisten be¬ stimmten, und zwar war es von den drei Meistern wieder Weber, der am nach¬ haltigsten wirkte. Vor allem die Gestaltung der Melodik und der Charakter der Figuration weisen auf den Schöpfer der romantischen Oper als Vorbild zurück, und im Bau der großen Solonummern läßt sich das eingehende Studium

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_289122/276>, abgerufen am 22.07.2024.