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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr.

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Richard Wagners Feen.

Dilnovaz findet sich bereits jener Aberglaube verwertet, wonach die Verletzung
des kleinsten Fingergliedes zauberhafter Wesen Aufschluß über deren Herkunft
und Art zu geben vermag, wie dies Ortrud dem Telramund und dieser der Elsa
berichtet. Viel interessanter aber ist es, daß, wie der Grundgedanke des "Lohen-
grin," so auch eine der wesentlichsten geistigen Anschauungen des "Fliegenden
Holländers" in den "Feen" vorgedeutet ist. Uns wenigstens erschien bei den
Worten der Ada:


Was ist dir Unsterblichkeit?
Ein grenzenloser, co'ger Tod

sogleich die rührende Gestalt des bleichen Seemanns vor dem Auge, und in
gleicher Weise dürfte Arindals Bemerkung:


O seht, das Tier kann weinen,
Die Thräne glänzt in seinem Aug'!

manchen an den spätesten Wagner, den greisenhafter Schöpfer des "Parsifal"
erinnert haben.

Damit ist aber alles erwähnt, was auf die spätere Entwicklung des jugend¬
lichen "Meisters," auf die Gedankenwelt seiner berühmten Opern und seiner
nachfolgenden eigentümlichen Schöpfungen hinweist, im übrigen erscheint der
Text der "Feen" in der Anlage wie in der Ausführung durchaus als etwas
Unfertiges und Unselbständiges, und mehr als einmal dürfte, um uns eines
Wagnerschen Ausdruckes zu bedienen, "der gewohnte Opernanblick" bei der Ge¬
staltung der Szene bestimmend eingewirkt haben. Der junge Librettist arbeitet
gern mit erprobten dramatischen oder besser gesagt theatralischen Motiven. So
ist die erste Szene frei nach "Oberon," die Schlußszene desselben Aktes nach
"Armida" gestaltet, und der dritte Akt erinnert auffällig an die Feuer- und
Wasserprobe der "Zauberflöte" und an die Furienszene des "Orpheus."

In noch höherm Grade als vom Text gilt von der Musik zu den "Feen"
das, was Richard Wagner selbst in der berühmten Mitteilung an seine Freunde
(1851) von seinen frühesten künstlerischen Arbeiten sagt: "Sie waren die ge¬
wöhnlichen Versuche einer noch unentwickelten Individualität, sich gegen das
Generelle der Kunsteindrücke, die uns von Jugend auf bestimmen, im all¬
mählichen Wachstum zu behaupten. Der erste künstlerische Wille ist nichts
andres als die Befriedigung des unwillkürlichen Triebes der Nachahmung dessen,
was am einnehmendsten auf uns wirkt." Weitaus das meiste in der Partitur der
"Feen" trägt den Stempel der Nachahmung, und zwar tritt diese Unselbständigkeit
hier viel störender zu Tage als beim Libretto, weil das Werk im einzelnen
eine Kenntnis der Kunstmittel und eine Beherrschung der damaligen musikalischen
Operntechnik verrät, die den Mangel an eignen Gedanken und Ausdrucksformen
um so befremdender erscheinen lassen. Die "Feen" leiden an dem schlimmsten
Gebrechen, an dem ein Erstlingswerk leiden kann: sie erscheinen nur zu oft leer


Richard Wagners Feen.

Dilnovaz findet sich bereits jener Aberglaube verwertet, wonach die Verletzung
des kleinsten Fingergliedes zauberhafter Wesen Aufschluß über deren Herkunft
und Art zu geben vermag, wie dies Ortrud dem Telramund und dieser der Elsa
berichtet. Viel interessanter aber ist es, daß, wie der Grundgedanke des „Lohen-
grin," so auch eine der wesentlichsten geistigen Anschauungen des „Fliegenden
Holländers" in den „Feen" vorgedeutet ist. Uns wenigstens erschien bei den
Worten der Ada:


Was ist dir Unsterblichkeit?
Ein grenzenloser, co'ger Tod

sogleich die rührende Gestalt des bleichen Seemanns vor dem Auge, und in
gleicher Weise dürfte Arindals Bemerkung:


O seht, das Tier kann weinen,
Die Thräne glänzt in seinem Aug'!

manchen an den spätesten Wagner, den greisenhafter Schöpfer des „Parsifal"
erinnert haben.

Damit ist aber alles erwähnt, was auf die spätere Entwicklung des jugend¬
lichen „Meisters," auf die Gedankenwelt seiner berühmten Opern und seiner
nachfolgenden eigentümlichen Schöpfungen hinweist, im übrigen erscheint der
Text der „Feen" in der Anlage wie in der Ausführung durchaus als etwas
Unfertiges und Unselbständiges, und mehr als einmal dürfte, um uns eines
Wagnerschen Ausdruckes zu bedienen, „der gewohnte Opernanblick" bei der Ge¬
staltung der Szene bestimmend eingewirkt haben. Der junge Librettist arbeitet
gern mit erprobten dramatischen oder besser gesagt theatralischen Motiven. So
ist die erste Szene frei nach „Oberon," die Schlußszene desselben Aktes nach
„Armida" gestaltet, und der dritte Akt erinnert auffällig an die Feuer- und
Wasserprobe der „Zauberflöte" und an die Furienszene des „Orpheus."

In noch höherm Grade als vom Text gilt von der Musik zu den „Feen"
das, was Richard Wagner selbst in der berühmten Mitteilung an seine Freunde
(1851) von seinen frühesten künstlerischen Arbeiten sagt: „Sie waren die ge¬
wöhnlichen Versuche einer noch unentwickelten Individualität, sich gegen das
Generelle der Kunsteindrücke, die uns von Jugend auf bestimmen, im all¬
mählichen Wachstum zu behaupten. Der erste künstlerische Wille ist nichts
andres als die Befriedigung des unwillkürlichen Triebes der Nachahmung dessen,
was am einnehmendsten auf uns wirkt." Weitaus das meiste in der Partitur der
„Feen" trägt den Stempel der Nachahmung, und zwar tritt diese Unselbständigkeit
hier viel störender zu Tage als beim Libretto, weil das Werk im einzelnen
eine Kenntnis der Kunstmittel und eine Beherrschung der damaligen musikalischen
Operntechnik verrät, die den Mangel an eignen Gedanken und Ausdrucksformen
um so befremdender erscheinen lassen. Die „Feen" leiden an dem schlimmsten
Gebrechen, an dem ein Erstlingswerk leiden kann: sie erscheinen nur zu oft leer


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[0275] Richard Wagners Feen. Dilnovaz findet sich bereits jener Aberglaube verwertet, wonach die Verletzung des kleinsten Fingergliedes zauberhafter Wesen Aufschluß über deren Herkunft und Art zu geben vermag, wie dies Ortrud dem Telramund und dieser der Elsa berichtet. Viel interessanter aber ist es, daß, wie der Grundgedanke des „Lohen- grin," so auch eine der wesentlichsten geistigen Anschauungen des „Fliegenden Holländers" in den „Feen" vorgedeutet ist. Uns wenigstens erschien bei den Worten der Ada: Was ist dir Unsterblichkeit? Ein grenzenloser, co'ger Tod sogleich die rührende Gestalt des bleichen Seemanns vor dem Auge, und in gleicher Weise dürfte Arindals Bemerkung: O seht, das Tier kann weinen, Die Thräne glänzt in seinem Aug'! manchen an den spätesten Wagner, den greisenhafter Schöpfer des „Parsifal" erinnert haben. Damit ist aber alles erwähnt, was auf die spätere Entwicklung des jugend¬ lichen „Meisters," auf die Gedankenwelt seiner berühmten Opern und seiner nachfolgenden eigentümlichen Schöpfungen hinweist, im übrigen erscheint der Text der „Feen" in der Anlage wie in der Ausführung durchaus als etwas Unfertiges und Unselbständiges, und mehr als einmal dürfte, um uns eines Wagnerschen Ausdruckes zu bedienen, „der gewohnte Opernanblick" bei der Ge¬ staltung der Szene bestimmend eingewirkt haben. Der junge Librettist arbeitet gern mit erprobten dramatischen oder besser gesagt theatralischen Motiven. So ist die erste Szene frei nach „Oberon," die Schlußszene desselben Aktes nach „Armida" gestaltet, und der dritte Akt erinnert auffällig an die Feuer- und Wasserprobe der „Zauberflöte" und an die Furienszene des „Orpheus." In noch höherm Grade als vom Text gilt von der Musik zu den „Feen" das, was Richard Wagner selbst in der berühmten Mitteilung an seine Freunde (1851) von seinen frühesten künstlerischen Arbeiten sagt: „Sie waren die ge¬ wöhnlichen Versuche einer noch unentwickelten Individualität, sich gegen das Generelle der Kunsteindrücke, die uns von Jugend auf bestimmen, im all¬ mählichen Wachstum zu behaupten. Der erste künstlerische Wille ist nichts andres als die Befriedigung des unwillkürlichen Triebes der Nachahmung dessen, was am einnehmendsten auf uns wirkt." Weitaus das meiste in der Partitur der „Feen" trägt den Stempel der Nachahmung, und zwar tritt diese Unselbständigkeit hier viel störender zu Tage als beim Libretto, weil das Werk im einzelnen eine Kenntnis der Kunstmittel und eine Beherrschung der damaligen musikalischen Operntechnik verrät, die den Mangel an eignen Gedanken und Ausdrucksformen um so befremdender erscheinen lassen. Die „Feen" leiden an dem schlimmsten Gebrechen, an dem ein Erstlingswerk leiden kann: sie erscheinen nur zu oft leer

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_289122/275>, abgerufen am 02.10.2024.