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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr.

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Richard Wagners Feen.

Die "Feen" haben uns auch über die "Frühzeit" des "Meisters" völlig aufge¬
klärt, und was er selbst in seinen Schriften wiederholt versichert, wird durch
sein Jugendwerk vollauf bestätigt: Beethoven und Weber, der Vollender der
Symphonie und der Schöpfer der deutschen, romantischen Oper, sind die großen
Vorbilder, die von ihnen ausgebildete Formensprache und Technik die feste
Grundlage seines künstlerischen Schaffens.

Wie in seinen spätern Werken, so tritt Wagner auch in seinem ersten
gleich als Dichter und Tonsetzer auf, zeigt sich aber, wie leicht begreiflich, sowohl
als Dramatiker wie als Musiker in höherm Maße von seinen Vorlagen ab¬
hängig als später. Die "Feen" sind nicht nur dem Stoffe nach, sondern zum
größten Teile auch in der dramatischen Anlage der burlesken Märchenkomödie
äouua serxentö (Die Frau als Schlange) des Carlo Gozzi nachgedichtet.
Die phantastischen Stücke dieses Venetianers, der durch Schillers Bearbeitung
seiner "Turandvt" (1802) schon einmal Einlaß auf der deutschen Bühne ge¬
funden hatte, scheinen den nachhaltigsten Einfluß auf die Einbildungskraft des
jungen Künstlers ausgeübt zu haben, denn selbst dort, wo er sich von der Vor¬
lage entfernt, um seinem Texte einen passenderen, namentlich theatralisch leichter
ausführbaren Schluß zu geben, wird seine Erfindung von der Erinnerung an
Zaubertheatermotive Gozzis geleitet. ^

Gozzis ?ig.ba. t-zatralö er^icorniog. (von 1762) zerfällt in drei Akte, mit denen
sich die drei Aufzüge der Wagnerschen Oper, was Aufbau und Szeneufolge betrifft,
im allgemeinen decken. Namentlich der erste, sehr unbeholfene Expositionsakt
ist mit schülerhafter Ängstlichkeit der tollen italienischen Komödie nachgearbeitet,
und wo sich hier und in den folgenden Akten Abweichungen vom Original
finden, da sind sie in der Regel weniger auf reifere dramaturgische Absichten
zurückzuführen als anf die Schwierigkeiten, die dem Bearbeiter aus der Weglassung
der zahlreichen für die Stegreifkomödianten berechneten possenhaften Jntermezzo-
szenen des Brighella, Truffaldino, Pantalone und Tartciglia erwuchsen. Die
wesentlichste Abänderung des jungen Textschreibers betrifft den Schluß, da der
Fluch des Gatten die unglückliche Fee nicht in eine Schlange, sondern nach dem
Vorgang in einem andern Stücke desselben Verfassers, im "Naben," zu Stein
verwandelt. Dagegen ist die Erhebung des Helden zum Bürger der Feenwelt
aus Anerkennung für die Kraft seiner Liebe ein echt Wagnerscher Zug, und auch
in den Namen, auf die der junge Librettist die Gozzischen Figuren umtaufte:
Ada (Cherestani), Arindal (Farruscad), Lora (Canzade), Günther (Pantalone),
Gernot (Truffaldino), Moralt u. s. w., wird man leicht den Sinn des Mannes
erkennen, der einst den germanischen Mythus auf die Bühne bringen sollte.
In Bezug auf die Herkunft dieser Namen ist es nicht ohne Interesse, daß
Wagner die der drei Hauptpersonen: Ada, Arindal und Lora offenbar aus
seinem allerersten, nicht über den Entwurf hinausgediehenen Opernplan "Die
Hochzeit" (März 1833) herübergenommen hat.


Richard Wagners Feen.

Die „Feen" haben uns auch über die „Frühzeit" des „Meisters" völlig aufge¬
klärt, und was er selbst in seinen Schriften wiederholt versichert, wird durch
sein Jugendwerk vollauf bestätigt: Beethoven und Weber, der Vollender der
Symphonie und der Schöpfer der deutschen, romantischen Oper, sind die großen
Vorbilder, die von ihnen ausgebildete Formensprache und Technik die feste
Grundlage seines künstlerischen Schaffens.

Wie in seinen spätern Werken, so tritt Wagner auch in seinem ersten
gleich als Dichter und Tonsetzer auf, zeigt sich aber, wie leicht begreiflich, sowohl
als Dramatiker wie als Musiker in höherm Maße von seinen Vorlagen ab¬
hängig als später. Die „Feen" sind nicht nur dem Stoffe nach, sondern zum
größten Teile auch in der dramatischen Anlage der burlesken Märchenkomödie
äouua serxentö (Die Frau als Schlange) des Carlo Gozzi nachgedichtet.
Die phantastischen Stücke dieses Venetianers, der durch Schillers Bearbeitung
seiner „Turandvt" (1802) schon einmal Einlaß auf der deutschen Bühne ge¬
funden hatte, scheinen den nachhaltigsten Einfluß auf die Einbildungskraft des
jungen Künstlers ausgeübt zu haben, denn selbst dort, wo er sich von der Vor¬
lage entfernt, um seinem Texte einen passenderen, namentlich theatralisch leichter
ausführbaren Schluß zu geben, wird seine Erfindung von der Erinnerung an
Zaubertheatermotive Gozzis geleitet. ^

Gozzis ?ig.ba. t-zatralö er^icorniog. (von 1762) zerfällt in drei Akte, mit denen
sich die drei Aufzüge der Wagnerschen Oper, was Aufbau und Szeneufolge betrifft,
im allgemeinen decken. Namentlich der erste, sehr unbeholfene Expositionsakt
ist mit schülerhafter Ängstlichkeit der tollen italienischen Komödie nachgearbeitet,
und wo sich hier und in den folgenden Akten Abweichungen vom Original
finden, da sind sie in der Regel weniger auf reifere dramaturgische Absichten
zurückzuführen als anf die Schwierigkeiten, die dem Bearbeiter aus der Weglassung
der zahlreichen für die Stegreifkomödianten berechneten possenhaften Jntermezzo-
szenen des Brighella, Truffaldino, Pantalone und Tartciglia erwuchsen. Die
wesentlichste Abänderung des jungen Textschreibers betrifft den Schluß, da der
Fluch des Gatten die unglückliche Fee nicht in eine Schlange, sondern nach dem
Vorgang in einem andern Stücke desselben Verfassers, im „Naben," zu Stein
verwandelt. Dagegen ist die Erhebung des Helden zum Bürger der Feenwelt
aus Anerkennung für die Kraft seiner Liebe ein echt Wagnerscher Zug, und auch
in den Namen, auf die der junge Librettist die Gozzischen Figuren umtaufte:
Ada (Cherestani), Arindal (Farruscad), Lora (Canzade), Günther (Pantalone),
Gernot (Truffaldino), Moralt u. s. w., wird man leicht den Sinn des Mannes
erkennen, der einst den germanischen Mythus auf die Bühne bringen sollte.
In Bezug auf die Herkunft dieser Namen ist es nicht ohne Interesse, daß
Wagner die der drei Hauptpersonen: Ada, Arindal und Lora offenbar aus
seinem allerersten, nicht über den Entwurf hinausgediehenen Opernplan „Die
Hochzeit" (März 1833) herübergenommen hat.


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[0272] Richard Wagners Feen. Die „Feen" haben uns auch über die „Frühzeit" des „Meisters" völlig aufge¬ klärt, und was er selbst in seinen Schriften wiederholt versichert, wird durch sein Jugendwerk vollauf bestätigt: Beethoven und Weber, der Vollender der Symphonie und der Schöpfer der deutschen, romantischen Oper, sind die großen Vorbilder, die von ihnen ausgebildete Formensprache und Technik die feste Grundlage seines künstlerischen Schaffens. Wie in seinen spätern Werken, so tritt Wagner auch in seinem ersten gleich als Dichter und Tonsetzer auf, zeigt sich aber, wie leicht begreiflich, sowohl als Dramatiker wie als Musiker in höherm Maße von seinen Vorlagen ab¬ hängig als später. Die „Feen" sind nicht nur dem Stoffe nach, sondern zum größten Teile auch in der dramatischen Anlage der burlesken Märchenkomödie äouua serxentö (Die Frau als Schlange) des Carlo Gozzi nachgedichtet. Die phantastischen Stücke dieses Venetianers, der durch Schillers Bearbeitung seiner „Turandvt" (1802) schon einmal Einlaß auf der deutschen Bühne ge¬ funden hatte, scheinen den nachhaltigsten Einfluß auf die Einbildungskraft des jungen Künstlers ausgeübt zu haben, denn selbst dort, wo er sich von der Vor¬ lage entfernt, um seinem Texte einen passenderen, namentlich theatralisch leichter ausführbaren Schluß zu geben, wird seine Erfindung von der Erinnerung an Zaubertheatermotive Gozzis geleitet. ^ Gozzis ?ig.ba. t-zatralö er^icorniog. (von 1762) zerfällt in drei Akte, mit denen sich die drei Aufzüge der Wagnerschen Oper, was Aufbau und Szeneufolge betrifft, im allgemeinen decken. Namentlich der erste, sehr unbeholfene Expositionsakt ist mit schülerhafter Ängstlichkeit der tollen italienischen Komödie nachgearbeitet, und wo sich hier und in den folgenden Akten Abweichungen vom Original finden, da sind sie in der Regel weniger auf reifere dramaturgische Absichten zurückzuführen als anf die Schwierigkeiten, die dem Bearbeiter aus der Weglassung der zahlreichen für die Stegreifkomödianten berechneten possenhaften Jntermezzo- szenen des Brighella, Truffaldino, Pantalone und Tartciglia erwuchsen. Die wesentlichste Abänderung des jungen Textschreibers betrifft den Schluß, da der Fluch des Gatten die unglückliche Fee nicht in eine Schlange, sondern nach dem Vorgang in einem andern Stücke desselben Verfassers, im „Naben," zu Stein verwandelt. Dagegen ist die Erhebung des Helden zum Bürger der Feenwelt aus Anerkennung für die Kraft seiner Liebe ein echt Wagnerscher Zug, und auch in den Namen, auf die der junge Librettist die Gozzischen Figuren umtaufte: Ada (Cherestani), Arindal (Farruscad), Lora (Canzade), Günther (Pantalone), Gernot (Truffaldino), Moralt u. s. w., wird man leicht den Sinn des Mannes erkennen, der einst den germanischen Mythus auf die Bühne bringen sollte. In Bezug auf die Herkunft dieser Namen ist es nicht ohne Interesse, daß Wagner die der drei Hauptpersonen: Ada, Arindal und Lora offenbar aus seinem allerersten, nicht über den Entwurf hinausgediehenen Opernplan „Die Hochzeit" (März 1833) herübergenommen hat.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_289122/272>, abgerufen am 24.08.2024.