Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr.Das nachgelassene Werk I"""a"uel Kants. endet und in sich abgeschlossen, daß man gar keine Lücke darin finden könne, Um kurz den Hauptpunkt anzudeuten, um den sich der Streit dreht, so Man kennt ja nun im allgemeinen den Verlauf der Entwicklung unsrer Das nachgelassene Werk I»»»a»uel Kants. endet und in sich abgeschlossen, daß man gar keine Lücke darin finden könne, Um kurz den Hauptpunkt anzudeuten, um den sich der Streit dreht, so Man kennt ja nun im allgemeinen den Verlauf der Entwicklung unsrer <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0256" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/289379"/> <fw type="header" place="top"> Das nachgelassene Werk I»»»a»uel Kants.</fw><lb/> <p xml:id="ID_853" prev="#ID_852"> endet und in sich abgeschlossen, daß man gar keine Lücke darin finden könne,<lb/> die etwa noch auszufüllen wäre. Krause allein war andrer Ansicht, und das<lb/> wurde der Grund zu einem Streite, der schließlich in wilden Kampf ausartete.<lb/> Krause hatte schon lange vorher in mehreren Schriften behauptet, daß unser<lb/> ganzes Jahrhundert hindurch der wahre Kant in seinen Hauptlehren falsch auf¬<lb/> gefaßt und falsch dargestellt worden sei, »ud daß das der Hauptgrund sei,<lb/> warum in unsern Tagen die Philosophie in so tiefen Mißkredit geraten sei.<lb/> Solche Vorwürfe brachten dem Verfasser natürlich wenig Gunst bei den Fach¬<lb/> philosophen. Aber die Sache sollte sich noch schlimmer gestalten. Während<lb/> jene das neu ans Licht gezogene Werk Kants auf den Mahnruf ihrer höchsten<lb/> Autoritäten hin durchgängig für ein Produkt des Stumpfsinns hielten, be¬<lb/> hauptete Krause gerade im Gegenteil, es sei das tiefsinnigste und größte Werk,<lb/> das je von Kant geschrieben worden sei, freilich würde zu seinem richtigen Ver¬<lb/> ständnis erfordert, daß man sich gründlich frei mache von den Vorurteilen der<lb/> berühmten Ausleger Kants. Seine eigne, schon früher von ihm vertretene Auf¬<lb/> fassung Kants fand Krause in der Handschrift bestätigt.</p><lb/> <p xml:id="ID_854"> Um kurz den Hauptpunkt anzudeuten, um den sich der Streit dreht, so<lb/> ist es die Lehre vom „Ding an sich" und dem, was wir Erscheinung zu nennen<lb/> haben. Kant hatte gesagt, daß wir ein „Ding an sich/' d. h. so, wie es ganz<lb/> unabhängig von den Formen unsrer Sinnlichkeit und unsers Verstandes sei,<lb/> niemals erkennen könnte». Denn alle unsre Erkenntnis der Welt hebt mit der<lb/> sinnlichen Wahrnehmung an. Diese wird uns aber nicht einfach von deu<lb/> Dingen überliefert, sondern sie wird von uus selbst gemacht gemäß den Kräften<lb/> und Formen, die wir dazu in unserm Geiste besitzen. Also sind die Dinge, die<lb/> nur wahrnehmen, keineswegs unabhängig von den transzendentalen Formen<lb/> unsers geistigen Vermögens, sie können daher nur Erscheinungen heißen, nicht<lb/> „Dinge an sich." Das Wirkliche in der Welt um uus ist im metaphysische»<lb/> Sinne nur Erscheinung für uns und kann mir als solche Gegenstand für<lb/> unsre Erfahrung werde», während „Dinge an sich" Wohl von uns gedacht, aber<lb/> nicht wahrgenommen und erfahren werden können. Darauf gründete Kant seine<lb/> Theorie der Erfahrung, die nach seiner Meinung vor allem den Naturwissen¬<lb/> schaften den größten Dienst leisten sollte, indem sie die Methode angab, wie<lb/> die Erkenntnisse derselben absolut sicher zu machen seien, sodaß sie nicht nur<lb/> auf Wahrscheinlichkeiten beruhen.</p><lb/> <p xml:id="ID_855" next="#ID_856"> Man kennt ja nun im allgemeinen den Verlauf der Entwicklung unsrer<lb/> Philosophie in unserm Jahrhundert. Kein Geringerer als Fichte brachte in<lb/> die sestgefügten Gedankenreihen Kants die erste schwer wiegende Verwirrung.<lb/> Zwar wies Kant noch bei Lebzeiten den Idealismus Fichtes aufs schärfste<lb/> zurück und leugnete schlechterdings jede Gemeinschaft mit ihm. Aber die Welt<lb/> glaubte doch mehr an Fichte und bedauerte die Stumpfsinnigkeit des altmerdenden<lb/> Köuigsbcrgers, der nicht begreifen wollte, daß das große Fichtesche Ich das</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0256]
Das nachgelassene Werk I»»»a»uel Kants.
endet und in sich abgeschlossen, daß man gar keine Lücke darin finden könne,
die etwa noch auszufüllen wäre. Krause allein war andrer Ansicht, und das
wurde der Grund zu einem Streite, der schließlich in wilden Kampf ausartete.
Krause hatte schon lange vorher in mehreren Schriften behauptet, daß unser
ganzes Jahrhundert hindurch der wahre Kant in seinen Hauptlehren falsch auf¬
gefaßt und falsch dargestellt worden sei, »ud daß das der Hauptgrund sei,
warum in unsern Tagen die Philosophie in so tiefen Mißkredit geraten sei.
Solche Vorwürfe brachten dem Verfasser natürlich wenig Gunst bei den Fach¬
philosophen. Aber die Sache sollte sich noch schlimmer gestalten. Während
jene das neu ans Licht gezogene Werk Kants auf den Mahnruf ihrer höchsten
Autoritäten hin durchgängig für ein Produkt des Stumpfsinns hielten, be¬
hauptete Krause gerade im Gegenteil, es sei das tiefsinnigste und größte Werk,
das je von Kant geschrieben worden sei, freilich würde zu seinem richtigen Ver¬
ständnis erfordert, daß man sich gründlich frei mache von den Vorurteilen der
berühmten Ausleger Kants. Seine eigne, schon früher von ihm vertretene Auf¬
fassung Kants fand Krause in der Handschrift bestätigt.
Um kurz den Hauptpunkt anzudeuten, um den sich der Streit dreht, so
ist es die Lehre vom „Ding an sich" und dem, was wir Erscheinung zu nennen
haben. Kant hatte gesagt, daß wir ein „Ding an sich/' d. h. so, wie es ganz
unabhängig von den Formen unsrer Sinnlichkeit und unsers Verstandes sei,
niemals erkennen könnte». Denn alle unsre Erkenntnis der Welt hebt mit der
sinnlichen Wahrnehmung an. Diese wird uns aber nicht einfach von deu
Dingen überliefert, sondern sie wird von uus selbst gemacht gemäß den Kräften
und Formen, die wir dazu in unserm Geiste besitzen. Also sind die Dinge, die
nur wahrnehmen, keineswegs unabhängig von den transzendentalen Formen
unsers geistigen Vermögens, sie können daher nur Erscheinungen heißen, nicht
„Dinge an sich." Das Wirkliche in der Welt um uus ist im metaphysische»
Sinne nur Erscheinung für uns und kann mir als solche Gegenstand für
unsre Erfahrung werde», während „Dinge an sich" Wohl von uns gedacht, aber
nicht wahrgenommen und erfahren werden können. Darauf gründete Kant seine
Theorie der Erfahrung, die nach seiner Meinung vor allem den Naturwissen¬
schaften den größten Dienst leisten sollte, indem sie die Methode angab, wie
die Erkenntnisse derselben absolut sicher zu machen seien, sodaß sie nicht nur
auf Wahrscheinlichkeiten beruhen.
Man kennt ja nun im allgemeinen den Verlauf der Entwicklung unsrer
Philosophie in unserm Jahrhundert. Kein Geringerer als Fichte brachte in
die sestgefügten Gedankenreihen Kants die erste schwer wiegende Verwirrung.
Zwar wies Kant noch bei Lebzeiten den Idealismus Fichtes aufs schärfste
zurück und leugnete schlechterdings jede Gemeinschaft mit ihm. Aber die Welt
glaubte doch mehr an Fichte und bedauerte die Stumpfsinnigkeit des altmerdenden
Köuigsbcrgers, der nicht begreifen wollte, daß das große Fichtesche Ich das
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