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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr.

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Die Kriegsmacht des Friedensbundes und die seiner Gegner.

ist, mit einem österreichischen Geschwader vereinigt, recht wohl imstande, den Schutz
der tyrrhenischen und adriatischen Küsten gegen Landungsversuche zu übernehmen,
welche die hierzu allein verfügbare Mittelmeerflotte Frankreichs wagen würde,
und so dürfte Italien kein Bedenken tragen, die bei weitem größere Hälfte seiner
Linientruppen und seiner mobilen Miliz sofort nach der französischen Grenze
vorzuschieben. Seine Einrichtungen, namentlich sein gut angelegtes Eisenbahnnetz,
würden es befähigen, zwei Wochen nach Ausbruch der Feindseligkeiten dort mit
10 von seinen 12 Linienkorps, 8 Divisionen Mobilmiliz, 3 Kavalleriedivisionen
und 40 000 Mann Alpentruppen, zusammen ungefähr 420 000 Soldaten, zu
erscheinen. Was die oberste Führung angeht, so beschränken wir uns darauf,
den großen Vorzug hervorzuheben, dessen sich der Dreibund darin erfreuen würde,
daß seine militärischen Operationen nach ein und denselben Gesichtspunkten, einem
und demselben letzten Ziele geleitet, daß der Genius Moltkes und daneben, soweit
die Diplomatie bei Kriegen mitredet, der Genius Bismarcks in allen Haupt¬
fragen nach Möglichkeit als maßgebend anerkannt werden würde. Ein solches
oder ein ähnliches einheitliches Handeln würde sich bei den Gegnern nicht wohl
herstellen lassen, schon weil der eine Teil eine demokratische Republik, der andre
eine völlig unbeschränkte Autokratie ist, dann, weil die letzten Ziele beider nicht
dieselben sind, endlich weil der eine Staat nicht als unmittelbarer Nachbar neben
dem andern steht. Der Selbstherrscher aller Reußen wird sich niemals bereit
erklären, die Leitung seiner Heere von den Ansichten und Absichten eines fran¬
zösischen Oberfeldherrn abhängig zu machen, der anderseits sich dem Parlamente
mehr oder minder unterzuordnen hätte, und anderseits wird das stark aus¬
geprägte Selbstgefühl der "großen Nation," der Mutter des noi Loleil und
Napoleons, des Volkes, welches "an der Spitze der Zivilisation einherschreitet,"
sich lebhaft dagegen sträuben, sich von dem Zaren in Petersburg, dem Gebieter
von Halbbarbaren, vorschreiben zu lassen, wie der Krieg zu führen und wann
damit aufzuhören sei. Wie wichtig aber Einheitlichkeit der Operationen Ver¬
bündeter Heere ist, liegt auf der Hand und ist aus den anfänglichen Mißerfolgen
der Verbündeten von 1813 und 1814 im Kampfe mit Napoleon erinnerlich.

Ein Krieg Deutschlands und seiner Nachbarn und Bundesgenossen im
Süden und Südosten, der nach zwei Seiten hin zu führen wäre, würde auch
einen Angriff des Bundes nach zwei Seiten verlangen, also keine Verteidigung
nach der einen Richtung hin gestatten, und zwar am wenigsten eine solche nach
Frankreich hin. Diese Weise der Kriegführung kann immer nur negative Er¬
gebnisse haben, eine Abwehr, ein Erhalten auf Zeit, einen Aufschub der letzten
Entscheidung. Die moderne Kriegführung bedient sich ihrer daher nur im Not¬
falle, d. h. wenn sie zu schwach ist, um angreifen zu können, und das wird von
dem Bunde nach der vorhergehenden Betrachtung niemand im Ernste behaupten
können. Nur ein rascher und kräftiger Angriff kann die Vorteile, deren sich
namentlich das deutsche Reich sowie sein südöstlicher Verbündeter erfreuen, ganz


Die Kriegsmacht des Friedensbundes und die seiner Gegner.

ist, mit einem österreichischen Geschwader vereinigt, recht wohl imstande, den Schutz
der tyrrhenischen und adriatischen Küsten gegen Landungsversuche zu übernehmen,
welche die hierzu allein verfügbare Mittelmeerflotte Frankreichs wagen würde,
und so dürfte Italien kein Bedenken tragen, die bei weitem größere Hälfte seiner
Linientruppen und seiner mobilen Miliz sofort nach der französischen Grenze
vorzuschieben. Seine Einrichtungen, namentlich sein gut angelegtes Eisenbahnnetz,
würden es befähigen, zwei Wochen nach Ausbruch der Feindseligkeiten dort mit
10 von seinen 12 Linienkorps, 8 Divisionen Mobilmiliz, 3 Kavalleriedivisionen
und 40 000 Mann Alpentruppen, zusammen ungefähr 420 000 Soldaten, zu
erscheinen. Was die oberste Führung angeht, so beschränken wir uns darauf,
den großen Vorzug hervorzuheben, dessen sich der Dreibund darin erfreuen würde,
daß seine militärischen Operationen nach ein und denselben Gesichtspunkten, einem
und demselben letzten Ziele geleitet, daß der Genius Moltkes und daneben, soweit
die Diplomatie bei Kriegen mitredet, der Genius Bismarcks in allen Haupt¬
fragen nach Möglichkeit als maßgebend anerkannt werden würde. Ein solches
oder ein ähnliches einheitliches Handeln würde sich bei den Gegnern nicht wohl
herstellen lassen, schon weil der eine Teil eine demokratische Republik, der andre
eine völlig unbeschränkte Autokratie ist, dann, weil die letzten Ziele beider nicht
dieselben sind, endlich weil der eine Staat nicht als unmittelbarer Nachbar neben
dem andern steht. Der Selbstherrscher aller Reußen wird sich niemals bereit
erklären, die Leitung seiner Heere von den Ansichten und Absichten eines fran¬
zösischen Oberfeldherrn abhängig zu machen, der anderseits sich dem Parlamente
mehr oder minder unterzuordnen hätte, und anderseits wird das stark aus¬
geprägte Selbstgefühl der „großen Nation," der Mutter des noi Loleil und
Napoleons, des Volkes, welches „an der Spitze der Zivilisation einherschreitet,"
sich lebhaft dagegen sträuben, sich von dem Zaren in Petersburg, dem Gebieter
von Halbbarbaren, vorschreiben zu lassen, wie der Krieg zu führen und wann
damit aufzuhören sei. Wie wichtig aber Einheitlichkeit der Operationen Ver¬
bündeter Heere ist, liegt auf der Hand und ist aus den anfänglichen Mißerfolgen
der Verbündeten von 1813 und 1814 im Kampfe mit Napoleon erinnerlich.

Ein Krieg Deutschlands und seiner Nachbarn und Bundesgenossen im
Süden und Südosten, der nach zwei Seiten hin zu führen wäre, würde auch
einen Angriff des Bundes nach zwei Seiten verlangen, also keine Verteidigung
nach der einen Richtung hin gestatten, und zwar am wenigsten eine solche nach
Frankreich hin. Diese Weise der Kriegführung kann immer nur negative Er¬
gebnisse haben, eine Abwehr, ein Erhalten auf Zeit, einen Aufschub der letzten
Entscheidung. Die moderne Kriegführung bedient sich ihrer daher nur im Not¬
falle, d. h. wenn sie zu schwach ist, um angreifen zu können, und das wird von
dem Bunde nach der vorhergehenden Betrachtung niemand im Ernste behaupten
können. Nur ein rascher und kräftiger Angriff kann die Vorteile, deren sich
namentlich das deutsche Reich sowie sein südöstlicher Verbündeter erfreuen, ganz


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_289122/232>, abgerufen am 24.08.2024.