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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr.

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Neue Romane.

zu Versichern willens wäre. Und wie ist es mit der Post? Haben seine
Nachbarn irgend welche Pflicht, ihm die unentbehrlichen Briefe und Zeitungen
zuzustellen? Er lebt also auf Kosten der Nachbarn, ohne sich durch Gegen¬
dienste erkenntlich zu erweisen. Und so ist es auch mit der Polizei, mit der
Sicherheit seiner Person und seines Besitzes bestellt. Blum unterläßt nicht, seinen
Helden alle diese Bedingungen gutsherrlichen Lebens fühlen zu lassen: eine
Reihe heiterer Szenen. Doch schließlich vermag sich Wolf gegen Feuersgefahr
durch ein künstliches Wasserwerk, gegen die Unsicherheit durch reichlichen Waffen¬
vorrat, gegen etwaiges Übelwollen der Nachbarn durch eignes großherziges
Entgegenkommen zu schützen. Allein, um seine Gertrud heiraten zu können,
nützen ihm alle diese Opfer und Tugenden nichts, denn den staatlosen, vogel¬
freien Mann kann in ganz Deutschland kein Pfarramt aufbieten, kein Standes¬
amt kann seine Ehe gesetzlich anerkennen. Den Vater Kratz gewinnt Wolf
durch heldenmütiges Handeln. Ein wütender Mensch, ein Arbeiter, der den
Gutsherrn bestohlen hat und der daher entlassen worden ist, hat Kratz meuch¬
lerisch überfallen, nachdem er ihm eine Scheune in Brand gesteckt hat: Wolf
schützt den Hof vor größerm Schaden und den Besitzer vor schmählichem
Tode. Die Versuche, die er nun macht, um sich die Möglichkeit zu heiraten zu
verschaffen, sind eine Reihe belustigender Abenteuer. Endlich ist Wolf ent¬
schlossen, in den preußischen Unterthanenverband zu treten, allein den Heimat¬
losen will keine Behörde aufnehmen. Gertrud wendet sich sogar unmittelbar
an den Grafen Bismarck, aber er hat das Gesetz, welches Heimatlose in den
Staat aufzunehmen gestatten soll, eben erst in Vorbereitung, es wird noch
lange dauern, bis es in Kraft treten kann, und inzwischen -- bricht der deutsch¬
französische Krieg aus. Wolf hat sich in seiner Einsamkeit mit den Schriften
Schlözers vertraut gemacht, seiner geliebten Gertrud hat er sogar statt der
Liebesbriefe begeisterte Auszüge daraus geschickt. Der Ausbruch des Krieges
entzündet deshalb in ihm die feurigste Teilnahme. Staatlos, wie er ist, setzt
er sich in den Besitz der Papiere seines Dieners Habakuk, des Unteroffiziers,
der sich vorsorglicher Weise nicht aus dem preußischen Staatsverbande hat
streichen lassen, und unter dem fremden Namen nimmt Wolf als Unteroffizier
an den Schlachten von Weißenburg und Wörth teil. Hier wird er verwundet,
der Köter Jack, der ihn immerfort begleitet, bellt Hilfe herbei, und der Be¬
wußtlose wird rechtzeitig ins Lazareth getragen. Durch seine Teilnahme am
Feldzuge und durch das gewonnene Eiserne Kreuz hat sich Wolf so ipso die
preußische Staatsbürgerschaft erworben, und nun steht seiner Heirat nichts mehr
im Wege. Auch dafür wird gesorgt, daß sein staatloses Gut von einem liebens¬
würdigen rechten Souverän, der angrenzt, annektirt wird.

Auch hier sind dem Erzähler die Nebengestalten besser gelungen als die
Hauptfiguren. An Wolf und Gertrud vermissen wir die feinere Charakteristik,
ihre Liebe ist Plötzlich, man weiß nicht wie gekommen; der Schilderung ihres


Neue Romane.

zu Versichern willens wäre. Und wie ist es mit der Post? Haben seine
Nachbarn irgend welche Pflicht, ihm die unentbehrlichen Briefe und Zeitungen
zuzustellen? Er lebt also auf Kosten der Nachbarn, ohne sich durch Gegen¬
dienste erkenntlich zu erweisen. Und so ist es auch mit der Polizei, mit der
Sicherheit seiner Person und seines Besitzes bestellt. Blum unterläßt nicht, seinen
Helden alle diese Bedingungen gutsherrlichen Lebens fühlen zu lassen: eine
Reihe heiterer Szenen. Doch schließlich vermag sich Wolf gegen Feuersgefahr
durch ein künstliches Wasserwerk, gegen die Unsicherheit durch reichlichen Waffen¬
vorrat, gegen etwaiges Übelwollen der Nachbarn durch eignes großherziges
Entgegenkommen zu schützen. Allein, um seine Gertrud heiraten zu können,
nützen ihm alle diese Opfer und Tugenden nichts, denn den staatlosen, vogel¬
freien Mann kann in ganz Deutschland kein Pfarramt aufbieten, kein Standes¬
amt kann seine Ehe gesetzlich anerkennen. Den Vater Kratz gewinnt Wolf
durch heldenmütiges Handeln. Ein wütender Mensch, ein Arbeiter, der den
Gutsherrn bestohlen hat und der daher entlassen worden ist, hat Kratz meuch¬
lerisch überfallen, nachdem er ihm eine Scheune in Brand gesteckt hat: Wolf
schützt den Hof vor größerm Schaden und den Besitzer vor schmählichem
Tode. Die Versuche, die er nun macht, um sich die Möglichkeit zu heiraten zu
verschaffen, sind eine Reihe belustigender Abenteuer. Endlich ist Wolf ent¬
schlossen, in den preußischen Unterthanenverband zu treten, allein den Heimat¬
losen will keine Behörde aufnehmen. Gertrud wendet sich sogar unmittelbar
an den Grafen Bismarck, aber er hat das Gesetz, welches Heimatlose in den
Staat aufzunehmen gestatten soll, eben erst in Vorbereitung, es wird noch
lange dauern, bis es in Kraft treten kann, und inzwischen — bricht der deutsch¬
französische Krieg aus. Wolf hat sich in seiner Einsamkeit mit den Schriften
Schlözers vertraut gemacht, seiner geliebten Gertrud hat er sogar statt der
Liebesbriefe begeisterte Auszüge daraus geschickt. Der Ausbruch des Krieges
entzündet deshalb in ihm die feurigste Teilnahme. Staatlos, wie er ist, setzt
er sich in den Besitz der Papiere seines Dieners Habakuk, des Unteroffiziers,
der sich vorsorglicher Weise nicht aus dem preußischen Staatsverbande hat
streichen lassen, und unter dem fremden Namen nimmt Wolf als Unteroffizier
an den Schlachten von Weißenburg und Wörth teil. Hier wird er verwundet,
der Köter Jack, der ihn immerfort begleitet, bellt Hilfe herbei, und der Be¬
wußtlose wird rechtzeitig ins Lazareth getragen. Durch seine Teilnahme am
Feldzuge und durch das gewonnene Eiserne Kreuz hat sich Wolf so ipso die
preußische Staatsbürgerschaft erworben, und nun steht seiner Heirat nichts mehr
im Wege. Auch dafür wird gesorgt, daß sein staatloses Gut von einem liebens¬
würdigen rechten Souverän, der angrenzt, annektirt wird.

Auch hier sind dem Erzähler die Nebengestalten besser gelungen als die
Hauptfiguren. An Wolf und Gertrud vermissen wir die feinere Charakteristik,
ihre Liebe ist Plötzlich, man weiß nicht wie gekommen; der Schilderung ihres


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_289122/230>, abgerufen am 03.07.2024.