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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr.

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Neue Romane.

gnade ergeben und rettet das nackte Leben nur dadurch, daß sich Magdalm
freiwillig dem Feinde überliefert. Für beide beginnt nun eine schwere Zeit.
Gerold wird unter die - kaiserlichen Soldaten gesteckt, zeichnet sich 1529 bei
der Türkenbelagerung von Wien aus und kehrt endlich als österreichischer
Hauptmann in die Heimat zurück. Magdalin wird nach dem Falle der Burg
Harpolingen zu Säckingen in Gefangenschaft gehalten. Schlimmer aber ist
es, daß ihr Geist umnachtet ist und daß sie sich in bitterer, reuevoller
Selbstqual martert. Sie hat das Mittelalter in sich selbst doch noch nicht
überwunden, wie Zwingli, der ihr dazu helfen wollte, erklärt. Endlich aber,
nachdem noch der Bauernaufstand des "Bundschuh," der Kampf der Wieder¬
täufer zu Waldshut, der Kampf der Schweizer gegen die Kaiserlichen und der
Heldentod Zwinglis an unserm geistigen Auge vorübergegangen sind, erleben
wir die glückliche Vereinigung Gerolds und Magdalins. Gerold ist wieder
in den Besitz seiner Stammburg Harpolingen gekommen, Magdalin muß auf
ihre fürstliche Würde und Macht verzichten, bekommt aber doch ihre ins Stift
gebrachte Mitgift heraus.

Dies im Umriß die Handlung des ersten Romans. Es interessirt uns
wenig, wie sich Blums Dichtung zur geschichtlichen Wahrheit verhält, denn wir
sind nicht gewöhnt, solche bei Romanschreibern zu suchen, und den Streit um
sie halten wir im vorliegenden Falle für sehr müßig. Wir halten uns an
Blums Fabel, und diese müssen wir an und für sich als bedeutsam genug an¬
erkennen. Hier ein Weib, das so sehr aus den Schranken seines Geschlechts
heraustritt, neue Religionswahrheit zu verkünden: dies allein schon ein großes
dichterisches Motiv! Sie wird aber beim Widerstande der weltlichen Mächte,
deren nüchterne und egoistische Politik sie doch nicht ganz überschaut, irre an
sich selbst, sie ist nicht stark genug, den Kampf zweier Zeitalter allein in sich
durchzufechten, sie verfällt dem Trübsinn und wird erst nach und nach durch
ihre gesunde Natur dem Leben wieder gegeben. Welch eine Gelegenheit
zur Entfaltung feinster psychologischer Kunst! Wie groß und vornehm muß
der Charakterzeichner sein, um uns die Ekstase des religiös begeisterten Weibes
begreiflich, anmutend, liebenswürdig erscheinen zu lassen! Und welcher Tiefe
bedürfte es, um dann den Trübsinn in seiner vollen Tragik vor Augen zu
stellen! Und immerfort hätte diese lieblich tiefsinnige Erscheinung im Mittel¬
punkt der Erzählung bleiben müssen; denn die allen deutschen Lesern wohl¬
vertrauten Bilder der Hütten, Zwingli, der ganzen Zeit wären mit wenigen
Strichen ausreichend angedeutet, zur Genüge geschildert gewesen, um die Stimmung
der Zeit, ihre Farbe und Leidenschaft als Hintergrund und Erklärung für die
Hauptfigur zu veranschaulichen. So ökonomisch ist aber Hans Blum nicht Ver¬
fahren. Er schildert leider mehrere Helden, die nach einander den Vordergrund
einnehmen: Ulrich von Hütten, Eberlin, Zwingli. Da kommt natürlich die arme
Magdalin zu kurz dabei. Wir lesen einen ganzen dicken Band durch, bevor


Neue Romane.

gnade ergeben und rettet das nackte Leben nur dadurch, daß sich Magdalm
freiwillig dem Feinde überliefert. Für beide beginnt nun eine schwere Zeit.
Gerold wird unter die - kaiserlichen Soldaten gesteckt, zeichnet sich 1529 bei
der Türkenbelagerung von Wien aus und kehrt endlich als österreichischer
Hauptmann in die Heimat zurück. Magdalin wird nach dem Falle der Burg
Harpolingen zu Säckingen in Gefangenschaft gehalten. Schlimmer aber ist
es, daß ihr Geist umnachtet ist und daß sie sich in bitterer, reuevoller
Selbstqual martert. Sie hat das Mittelalter in sich selbst doch noch nicht
überwunden, wie Zwingli, der ihr dazu helfen wollte, erklärt. Endlich aber,
nachdem noch der Bauernaufstand des „Bundschuh," der Kampf der Wieder¬
täufer zu Waldshut, der Kampf der Schweizer gegen die Kaiserlichen und der
Heldentod Zwinglis an unserm geistigen Auge vorübergegangen sind, erleben
wir die glückliche Vereinigung Gerolds und Magdalins. Gerold ist wieder
in den Besitz seiner Stammburg Harpolingen gekommen, Magdalin muß auf
ihre fürstliche Würde und Macht verzichten, bekommt aber doch ihre ins Stift
gebrachte Mitgift heraus.

Dies im Umriß die Handlung des ersten Romans. Es interessirt uns
wenig, wie sich Blums Dichtung zur geschichtlichen Wahrheit verhält, denn wir
sind nicht gewöhnt, solche bei Romanschreibern zu suchen, und den Streit um
sie halten wir im vorliegenden Falle für sehr müßig. Wir halten uns an
Blums Fabel, und diese müssen wir an und für sich als bedeutsam genug an¬
erkennen. Hier ein Weib, das so sehr aus den Schranken seines Geschlechts
heraustritt, neue Religionswahrheit zu verkünden: dies allein schon ein großes
dichterisches Motiv! Sie wird aber beim Widerstande der weltlichen Mächte,
deren nüchterne und egoistische Politik sie doch nicht ganz überschaut, irre an
sich selbst, sie ist nicht stark genug, den Kampf zweier Zeitalter allein in sich
durchzufechten, sie verfällt dem Trübsinn und wird erst nach und nach durch
ihre gesunde Natur dem Leben wieder gegeben. Welch eine Gelegenheit
zur Entfaltung feinster psychologischer Kunst! Wie groß und vornehm muß
der Charakterzeichner sein, um uns die Ekstase des religiös begeisterten Weibes
begreiflich, anmutend, liebenswürdig erscheinen zu lassen! Und welcher Tiefe
bedürfte es, um dann den Trübsinn in seiner vollen Tragik vor Augen zu
stellen! Und immerfort hätte diese lieblich tiefsinnige Erscheinung im Mittel¬
punkt der Erzählung bleiben müssen; denn die allen deutschen Lesern wohl¬
vertrauten Bilder der Hütten, Zwingli, der ganzen Zeit wären mit wenigen
Strichen ausreichend angedeutet, zur Genüge geschildert gewesen, um die Stimmung
der Zeit, ihre Farbe und Leidenschaft als Hintergrund und Erklärung für die
Hauptfigur zu veranschaulichen. So ökonomisch ist aber Hans Blum nicht Ver¬
fahren. Er schildert leider mehrere Helden, die nach einander den Vordergrund
einnehmen: Ulrich von Hütten, Eberlin, Zwingli. Da kommt natürlich die arme
Magdalin zu kurz dabei. Wir lesen einen ganzen dicken Band durch, bevor


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[0227] Neue Romane. gnade ergeben und rettet das nackte Leben nur dadurch, daß sich Magdalm freiwillig dem Feinde überliefert. Für beide beginnt nun eine schwere Zeit. Gerold wird unter die - kaiserlichen Soldaten gesteckt, zeichnet sich 1529 bei der Türkenbelagerung von Wien aus und kehrt endlich als österreichischer Hauptmann in die Heimat zurück. Magdalin wird nach dem Falle der Burg Harpolingen zu Säckingen in Gefangenschaft gehalten. Schlimmer aber ist es, daß ihr Geist umnachtet ist und daß sie sich in bitterer, reuevoller Selbstqual martert. Sie hat das Mittelalter in sich selbst doch noch nicht überwunden, wie Zwingli, der ihr dazu helfen wollte, erklärt. Endlich aber, nachdem noch der Bauernaufstand des „Bundschuh," der Kampf der Wieder¬ täufer zu Waldshut, der Kampf der Schweizer gegen die Kaiserlichen und der Heldentod Zwinglis an unserm geistigen Auge vorübergegangen sind, erleben wir die glückliche Vereinigung Gerolds und Magdalins. Gerold ist wieder in den Besitz seiner Stammburg Harpolingen gekommen, Magdalin muß auf ihre fürstliche Würde und Macht verzichten, bekommt aber doch ihre ins Stift gebrachte Mitgift heraus. Dies im Umriß die Handlung des ersten Romans. Es interessirt uns wenig, wie sich Blums Dichtung zur geschichtlichen Wahrheit verhält, denn wir sind nicht gewöhnt, solche bei Romanschreibern zu suchen, und den Streit um sie halten wir im vorliegenden Falle für sehr müßig. Wir halten uns an Blums Fabel, und diese müssen wir an und für sich als bedeutsam genug an¬ erkennen. Hier ein Weib, das so sehr aus den Schranken seines Geschlechts heraustritt, neue Religionswahrheit zu verkünden: dies allein schon ein großes dichterisches Motiv! Sie wird aber beim Widerstande der weltlichen Mächte, deren nüchterne und egoistische Politik sie doch nicht ganz überschaut, irre an sich selbst, sie ist nicht stark genug, den Kampf zweier Zeitalter allein in sich durchzufechten, sie verfällt dem Trübsinn und wird erst nach und nach durch ihre gesunde Natur dem Leben wieder gegeben. Welch eine Gelegenheit zur Entfaltung feinster psychologischer Kunst! Wie groß und vornehm muß der Charakterzeichner sein, um uns die Ekstase des religiös begeisterten Weibes begreiflich, anmutend, liebenswürdig erscheinen zu lassen! Und welcher Tiefe bedürfte es, um dann den Trübsinn in seiner vollen Tragik vor Augen zu stellen! Und immerfort hätte diese lieblich tiefsinnige Erscheinung im Mittel¬ punkt der Erzählung bleiben müssen; denn die allen deutschen Lesern wohl¬ vertrauten Bilder der Hütten, Zwingli, der ganzen Zeit wären mit wenigen Strichen ausreichend angedeutet, zur Genüge geschildert gewesen, um die Stimmung der Zeit, ihre Farbe und Leidenschaft als Hintergrund und Erklärung für die Hauptfigur zu veranschaulichen. So ökonomisch ist aber Hans Blum nicht Ver¬ fahren. Er schildert leider mehrere Helden, die nach einander den Vordergrund einnehmen: Ulrich von Hütten, Eberlin, Zwingli. Da kommt natürlich die arme Magdalin zu kurz dabei. Wir lesen einen ganzen dicken Band durch, bevor

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_289122/227>, abgerufen am 26.06.2024.