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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr.

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Lriiinernngon aus Alt-Jena.

ihren Mokka von zweifelhafter Güte plaudernd oder auch etwas lärmend schlürfte.
Der Lerneifer und der wissenschaftliche Sinn unter der großen Studentenschaft
wurden mit Grund gerühmt; Klagen über die Verödung der Hörsäle, wie
sie heutzutage von überall her laut ertönen, wären damals in Jena, selbst in
der Zeit hochgehender politischer Aufregung, kaum gerecht gewesen. Die Jenaer
Studentenschaft hatte vor manchen andern allerdings einen unschätzbaren Vorzug
voraus, sie rekrutirte sich nicht bloß aus den Staaten der vier erlauchten
"Nutritoren," sondern aus dem ganzen protestantischen, insbesondre nördlichen
Deutschland; dadurch entstand eine äußerst glückliche und anregende Mischung,
die keine prinzipielle Einseitigkeit oder gar den Schatten von Versumpfung auf¬
kommen ließ. Man erinnert sich allerdings noch an die Zeit, wo auch die
Jugend Süddeutschlands in Jena entsprechend vertreten war; aber diese Zeit
nahm ein für allemal ein Ende, seit die Reichsstädte fielen und die fränkischen
Markgrafschaften nebst der Reichsritterschaft größern Staatenbildungen einverleibt
wurden. Im Augenblicke war es offenbar die theologische Fakultät, die zwar
in keiner Weise die übrigen Fakultäten irgendwie beherrschte -- wie es an
andern Universitäten zeitweise der Fall war --, die aber der Frequenz der Hoch¬
schule den angedeuteten Charakter gab, zum Teil infolge der freiern Richtung,
die sie vertrat und trotz erfahrener Anfechtungen bis zur Stunde bewahrt hat.
Man hat zugleich versichert, daß die Studenten der Theologie sich an den all¬
gemeinen Studien mit besonderm Eifer beteiligten und mit dem löblichen Bei¬
spiele des Fleißes und idealen Strebens voranzugehen pflegten. Die gesamte
Studentenschaft ging bekanntlich in zwei Gruppen auseinander, die Burschen¬
schaft auf der einen, die Korps auf der andern Seite. Die letztern, auch der
Zahl nach die schwächern, traten wenig hervor und trieben es in ihrer Art,
wie sie es überall zu treiben gewohnt sind; doch habe ich gelegentlich einzelne
höchst gediegene Vertreter derselben kennen gelernt. Meine Aufmerksamkeit war
aber mehr auf die Burschenschaft gerichtet, die sich zweifach gliederte, die Uriniren
oder der Burgkeller und die Germanen. Beide unterschieden sich zunächst durch
äußere Abzeichen, stimmten aber in ihren Grundsätzen wohl im wesentlichen
überein. Gerade sie waren die Träger des wissenschaftlichen Eifers; der Be¬
schäftigung mit Politik, worin das Charakteristische der alten Burschenschaft lag,
hatten sie nach wie vor nicht entsagt, sie hielten sich aber zugleich von allen
Überspanntheiten frei.

Unter den Professoren und Dozenten der Universität bestand ein erfreuliches
Zusammenwirken, das durch keine auffallende Sonderung getrübt wurde, ob¬
wohl leichtere Schyttirungen und Gegensätze, wie überall an deutschen Hoch¬
schulen, auch hier nicht fehlten. Erst die Parteibildungen, die im Gefolge der
Bewegung des Jahres 1848 eintraten, unterbrachen das kollegiale Zusammen¬
leben in empfindlichen Maße. Die Zahl der eigentlichen "Berühmtheiten" war
allerdings zur Zeit nicht gerade groß. Fries und Luden waren tot, lebten


Lriiinernngon aus Alt-Jena.

ihren Mokka von zweifelhafter Güte plaudernd oder auch etwas lärmend schlürfte.
Der Lerneifer und der wissenschaftliche Sinn unter der großen Studentenschaft
wurden mit Grund gerühmt; Klagen über die Verödung der Hörsäle, wie
sie heutzutage von überall her laut ertönen, wären damals in Jena, selbst in
der Zeit hochgehender politischer Aufregung, kaum gerecht gewesen. Die Jenaer
Studentenschaft hatte vor manchen andern allerdings einen unschätzbaren Vorzug
voraus, sie rekrutirte sich nicht bloß aus den Staaten der vier erlauchten
„Nutritoren," sondern aus dem ganzen protestantischen, insbesondre nördlichen
Deutschland; dadurch entstand eine äußerst glückliche und anregende Mischung,
die keine prinzipielle Einseitigkeit oder gar den Schatten von Versumpfung auf¬
kommen ließ. Man erinnert sich allerdings noch an die Zeit, wo auch die
Jugend Süddeutschlands in Jena entsprechend vertreten war; aber diese Zeit
nahm ein für allemal ein Ende, seit die Reichsstädte fielen und die fränkischen
Markgrafschaften nebst der Reichsritterschaft größern Staatenbildungen einverleibt
wurden. Im Augenblicke war es offenbar die theologische Fakultät, die zwar
in keiner Weise die übrigen Fakultäten irgendwie beherrschte — wie es an
andern Universitäten zeitweise der Fall war —, die aber der Frequenz der Hoch¬
schule den angedeuteten Charakter gab, zum Teil infolge der freiern Richtung,
die sie vertrat und trotz erfahrener Anfechtungen bis zur Stunde bewahrt hat.
Man hat zugleich versichert, daß die Studenten der Theologie sich an den all¬
gemeinen Studien mit besonderm Eifer beteiligten und mit dem löblichen Bei¬
spiele des Fleißes und idealen Strebens voranzugehen pflegten. Die gesamte
Studentenschaft ging bekanntlich in zwei Gruppen auseinander, die Burschen¬
schaft auf der einen, die Korps auf der andern Seite. Die letztern, auch der
Zahl nach die schwächern, traten wenig hervor und trieben es in ihrer Art,
wie sie es überall zu treiben gewohnt sind; doch habe ich gelegentlich einzelne
höchst gediegene Vertreter derselben kennen gelernt. Meine Aufmerksamkeit war
aber mehr auf die Burschenschaft gerichtet, die sich zweifach gliederte, die Uriniren
oder der Burgkeller und die Germanen. Beide unterschieden sich zunächst durch
äußere Abzeichen, stimmten aber in ihren Grundsätzen wohl im wesentlichen
überein. Gerade sie waren die Träger des wissenschaftlichen Eifers; der Be¬
schäftigung mit Politik, worin das Charakteristische der alten Burschenschaft lag,
hatten sie nach wie vor nicht entsagt, sie hielten sich aber zugleich von allen
Überspanntheiten frei.

Unter den Professoren und Dozenten der Universität bestand ein erfreuliches
Zusammenwirken, das durch keine auffallende Sonderung getrübt wurde, ob¬
wohl leichtere Schyttirungen und Gegensätze, wie überall an deutschen Hoch¬
schulen, auch hier nicht fehlten. Erst die Parteibildungen, die im Gefolge der
Bewegung des Jahres 1848 eintraten, unterbrachen das kollegiale Zusammen¬
leben in empfindlichen Maße. Die Zahl der eigentlichen „Berühmtheiten" war
allerdings zur Zeit nicht gerade groß. Fries und Luden waren tot, lebten


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_289122/221>, abgerufen am 24.08.2024.