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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr.

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Sind die heutigen Arbeiternnterstützungsvei bande Versicherungsgesellschaften?

wenn man sich vergegenwärtigt, wie die ganze Einrichtung bei solchen Tarif-
streitigkeitcn wirkt und das früher regellose und örtlich gebundne Streikwesen
planmäßig geordnet hat.

Sobald nämlich an irgend einem Orte ein Streik in Aussicht steht, hat
der Vorstand der betreffenden Mitgliedschaft unter Beifügung der nötigen
Unterlagen zunächst die Entscheidung des Hauptvorstandes einzuholen. Fällt
diese gegen den Streik aus, so muß sich die Mitgliedschaft dem fügen, widrigen¬
falls sie auf eigne Gefahr handelt oder auch den Ausschluß aus dem Verbände
zu gewärtigen hat. Erklärt sich aber der Hanptvorstaud für den Streik, so ist
dieser damit zur Verbandssache gemacht, d. h. der Ortsvorstcmd erhält die er¬
forderlichen Geldmittel aus der Hauptkasse angewiesen (oft unter Festsetzung
der an die streikenden und abzuschiebenden Genossen zahlbaren Unterstützungen),
während zugleich im Verbandsblatt und in der Fachpresse vor Zuzug nach dem
im Aufstande befindlichen Orte gewarnt und um entsprechende Geldsammlungen
(zur Deckung der Vorschüsse oder Ausfälle) gebeten wird. Das weitere Ver¬
fahren ist dann verschieden, je nachdem es sich um einen "partiellen" oder
"generellen" Streik handelt. Weigern sich nämlich nur einzelne Arbeitgeber,
die gestellten Forderungen zu bewilligen, so wird über diese die "Sperre"
verhängt, d. h. die Arbeit wird bei ihnen eingestellt und nicht eher wieder auf¬
genommen, als bis einer der beiden Teile nachgiebt. Dieses Verfahren bietet
den doppelten Vorteil, daß einerseits die teilweise Gewährung der Forderungen
diese eher als berechtigt erscheinen lassen, anderseits die Kassenmittcl nicht so
stark in Anspruch genommen werden. Kommt es dagegen auf der ganzen Linie
zum Streik (Generalstreik), so wird der ganze Ort als im Aufstande befindlich
behandelt. In beiden Fällen treten sofort die Unterstützungskassen in Wirk¬
samkeit und ermöglichen erst die praktische Durchführung des Streiks.

Es läßt sich nicht leugnen, daß eine solche Organisirung die Streike ver¬
hältnismäßig seltener macht, dafür hat aber die weitere Ausbildung und Be¬
festigung solcher Berufsverbände, insbesondre durch Eingehung wechselseitiger
Kartellverbindungen mit den ausländischen Vereinen, zur notwendigen Folge,
daß der Kampf zwischen Arbeit und Kapital eine breitere Grundlage und größere
Schärfe annimmt, und damit den bestehenden Klassengegensatz noch greller
zum Ausdruck bringt.

Der erste deutsche Arbeiterverband, der die eben dargelegten Grundsätze
durchführte und allen spätern Bildungen zum Muster diente, war der vielbe¬
sprochene Buchdruckerverband.

Nachdem der Gedanke, die gesamte Buchdruckergehilfenschaft Deutschlands
einheitlich zu organisiren, zuerst gegen Ende der vierziger Jahre zu der vor¬
übergehenden Verbindung des "Deutschen Nationalbuchdruckervereins," später
"Gutenbergbundes" geführt hatte, wurde er aus Anlaß eines höchst kostspieligen
und doch erfolglosen Streiks in Leipzig im Jahre 1866 wieder aufgenommen


Sind die heutigen Arbeiternnterstützungsvei bande Versicherungsgesellschaften?

wenn man sich vergegenwärtigt, wie die ganze Einrichtung bei solchen Tarif-
streitigkeitcn wirkt und das früher regellose und örtlich gebundne Streikwesen
planmäßig geordnet hat.

Sobald nämlich an irgend einem Orte ein Streik in Aussicht steht, hat
der Vorstand der betreffenden Mitgliedschaft unter Beifügung der nötigen
Unterlagen zunächst die Entscheidung des Hauptvorstandes einzuholen. Fällt
diese gegen den Streik aus, so muß sich die Mitgliedschaft dem fügen, widrigen¬
falls sie auf eigne Gefahr handelt oder auch den Ausschluß aus dem Verbände
zu gewärtigen hat. Erklärt sich aber der Hanptvorstaud für den Streik, so ist
dieser damit zur Verbandssache gemacht, d. h. der Ortsvorstcmd erhält die er¬
forderlichen Geldmittel aus der Hauptkasse angewiesen (oft unter Festsetzung
der an die streikenden und abzuschiebenden Genossen zahlbaren Unterstützungen),
während zugleich im Verbandsblatt und in der Fachpresse vor Zuzug nach dem
im Aufstande befindlichen Orte gewarnt und um entsprechende Geldsammlungen
(zur Deckung der Vorschüsse oder Ausfälle) gebeten wird. Das weitere Ver¬
fahren ist dann verschieden, je nachdem es sich um einen „partiellen" oder
„generellen" Streik handelt. Weigern sich nämlich nur einzelne Arbeitgeber,
die gestellten Forderungen zu bewilligen, so wird über diese die „Sperre"
verhängt, d. h. die Arbeit wird bei ihnen eingestellt und nicht eher wieder auf¬
genommen, als bis einer der beiden Teile nachgiebt. Dieses Verfahren bietet
den doppelten Vorteil, daß einerseits die teilweise Gewährung der Forderungen
diese eher als berechtigt erscheinen lassen, anderseits die Kassenmittcl nicht so
stark in Anspruch genommen werden. Kommt es dagegen auf der ganzen Linie
zum Streik (Generalstreik), so wird der ganze Ort als im Aufstande befindlich
behandelt. In beiden Fällen treten sofort die Unterstützungskassen in Wirk¬
samkeit und ermöglichen erst die praktische Durchführung des Streiks.

Es läßt sich nicht leugnen, daß eine solche Organisirung die Streike ver¬
hältnismäßig seltener macht, dafür hat aber die weitere Ausbildung und Be¬
festigung solcher Berufsverbände, insbesondre durch Eingehung wechselseitiger
Kartellverbindungen mit den ausländischen Vereinen, zur notwendigen Folge,
daß der Kampf zwischen Arbeit und Kapital eine breitere Grundlage und größere
Schärfe annimmt, und damit den bestehenden Klassengegensatz noch greller
zum Ausdruck bringt.

Der erste deutsche Arbeiterverband, der die eben dargelegten Grundsätze
durchführte und allen spätern Bildungen zum Muster diente, war der vielbe¬
sprochene Buchdruckerverband.

Nachdem der Gedanke, die gesamte Buchdruckergehilfenschaft Deutschlands
einheitlich zu organisiren, zuerst gegen Ende der vierziger Jahre zu der vor¬
übergehenden Verbindung des „Deutschen Nationalbuchdruckervereins," später
„Gutenbergbundes" geführt hatte, wurde er aus Anlaß eines höchst kostspieligen
und doch erfolglosen Streiks in Leipzig im Jahre 1866 wieder aufgenommen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_289122/164>, abgerufen am 24.08.2024.