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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr.

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Die Kriegsmacht des Friedensblindes und die seiner Gegner.

mit kaltem Blute, allmählich, in allen Einzelheiten seich- und naturgemäß und
in stetiger Entwicklung vor sich gehen, wenn sie durchaus Tüchtiges und Festes
zum Ergebnis haben sollte, sie mußte wachsen ohne Anwendung von Treibhaus¬
hitze, sie durfte nicht übereilt werden. Das ist aber in vielen Beziehungen
geschehen, und so zeigen sich in der Organisation des französischen Heeres bei¬
nahe überall Mängel, die auf zu hastigem Schaffen beruhen. Dazu kommt,
daß die Demokratie und der Liberalismus im Grunde das Militär fürchten,
und daß die Republikaner von den Generalen, die sich auszeichnen oder sich
sonst Ansehen zu erwerben verstehen, für den Bestand ihrer Republik Gefahr
drohen sehen. Dies und der Charakter des Parlamentarismus, der unaufhör¬
lichen Wechsel der Parteien in der Staatsleitung verlangt und dies auch auf
die einzelnen Zweige der Verwaltung ausdehnt, bewirkte häufiges Gehen und
Kommen der Kriegsminister, Ersetzung der Systeme, nach denen sie organisirten,
durch andre, die ihnen besser gefielen, und Verschiebungen in den Reihen der
höhern Offiziere, von denen infolge dessen wenige sich in ihr Korps recht ein¬
leben und mit ihm verwachsen konnten. Wir brauchen endlich nur an Boulanger
und an das, was im Zusammenhange mit der über ihn verhängten Untersuchung
an den Tag kam, zu erinnern, um noch auf zwei sehr bedenkliche Gebrechen
der französischen Armee aufmerksam zu mache": auf die Gewohnheit mancher
höhern Offiziere, sich mit Politik zu beschäftigen, und auf den Mangel an
Disziplin und Subordination, der in dem ganzen Stande sich mehr oder minder
erkennbar zeigt. Das Offizierkorps ist aus sehr verschiednen Elementen zu¬
sammengesetzt, das Volk zerfällt in viele Parteien, der alte Adel und die größere
Hälfte der Bauern, desgleichen die Geistlichen, die immer noch einflußreich sind,
haben sich noch nicht mit der Republik versöhnt, und noch immer giebt es
Bonapartisten. Die Offiziere gehören zwar offen keiner Partei an, aber es ist
sehr fraglich, ob es die adlichen nicht im Stillen mit den Monarchisten halten,
es ist gewiß, daß unter den übrigen noch lebhafte Sympathien mit dem Im¬
perialismus herrschen, und wieder andre können sehr geneigt sein, sich an dem
Streber Boulanger, dem es bisher so gut glückte, ein Beispiel zu nehmen oder
doch sich nach seiner Meinung zu richten, daß der Wehrstand sich von poli¬
tischen Fragen und Bewegungen nicht fern zu halten brauche. Der Geist der
französischen Armee und vornehmlich der, welcher in ihr Offizierkorps Eingang
gefunden hat, die Einheit desselben beeinträchtigt und seinen Sinn für den
Gehorsam schwächt, mag in glücklichen Tagen keine Gefahr sein, er mag der
vielbesprochenen turia (?g.11iW beim Angriffe keinen Eintrag thun; anders aber
ists ohne Zweifel, wenn ein solches Heer Unglück hat und sich nach Niederlagen
Widerstandskraft und Zusammenhalt zu bewahren hat. Die an innerm Werte
unstreitig über der jetzigen Armee Frankreichs stehenden Soldaten Napoleons III.
leisteten in dieser Hinsicht wenig, was soll man da von diesen erwarten? Wir
glauben nicht in die Sünde der Überhebung zu verfallen, wenn es uns scheint,


Die Kriegsmacht des Friedensblindes und die seiner Gegner.

mit kaltem Blute, allmählich, in allen Einzelheiten seich- und naturgemäß und
in stetiger Entwicklung vor sich gehen, wenn sie durchaus Tüchtiges und Festes
zum Ergebnis haben sollte, sie mußte wachsen ohne Anwendung von Treibhaus¬
hitze, sie durfte nicht übereilt werden. Das ist aber in vielen Beziehungen
geschehen, und so zeigen sich in der Organisation des französischen Heeres bei¬
nahe überall Mängel, die auf zu hastigem Schaffen beruhen. Dazu kommt,
daß die Demokratie und der Liberalismus im Grunde das Militär fürchten,
und daß die Republikaner von den Generalen, die sich auszeichnen oder sich
sonst Ansehen zu erwerben verstehen, für den Bestand ihrer Republik Gefahr
drohen sehen. Dies und der Charakter des Parlamentarismus, der unaufhör¬
lichen Wechsel der Parteien in der Staatsleitung verlangt und dies auch auf
die einzelnen Zweige der Verwaltung ausdehnt, bewirkte häufiges Gehen und
Kommen der Kriegsminister, Ersetzung der Systeme, nach denen sie organisirten,
durch andre, die ihnen besser gefielen, und Verschiebungen in den Reihen der
höhern Offiziere, von denen infolge dessen wenige sich in ihr Korps recht ein¬
leben und mit ihm verwachsen konnten. Wir brauchen endlich nur an Boulanger
und an das, was im Zusammenhange mit der über ihn verhängten Untersuchung
an den Tag kam, zu erinnern, um noch auf zwei sehr bedenkliche Gebrechen
der französischen Armee aufmerksam zu mache«: auf die Gewohnheit mancher
höhern Offiziere, sich mit Politik zu beschäftigen, und auf den Mangel an
Disziplin und Subordination, der in dem ganzen Stande sich mehr oder minder
erkennbar zeigt. Das Offizierkorps ist aus sehr verschiednen Elementen zu¬
sammengesetzt, das Volk zerfällt in viele Parteien, der alte Adel und die größere
Hälfte der Bauern, desgleichen die Geistlichen, die immer noch einflußreich sind,
haben sich noch nicht mit der Republik versöhnt, und noch immer giebt es
Bonapartisten. Die Offiziere gehören zwar offen keiner Partei an, aber es ist
sehr fraglich, ob es die adlichen nicht im Stillen mit den Monarchisten halten,
es ist gewiß, daß unter den übrigen noch lebhafte Sympathien mit dem Im¬
perialismus herrschen, und wieder andre können sehr geneigt sein, sich an dem
Streber Boulanger, dem es bisher so gut glückte, ein Beispiel zu nehmen oder
doch sich nach seiner Meinung zu richten, daß der Wehrstand sich von poli¬
tischen Fragen und Bewegungen nicht fern zu halten brauche. Der Geist der
französischen Armee und vornehmlich der, welcher in ihr Offizierkorps Eingang
gefunden hat, die Einheit desselben beeinträchtigt und seinen Sinn für den
Gehorsam schwächt, mag in glücklichen Tagen keine Gefahr sein, er mag der
vielbesprochenen turia (?g.11iW beim Angriffe keinen Eintrag thun; anders aber
ists ohne Zweifel, wenn ein solches Heer Unglück hat und sich nach Niederlagen
Widerstandskraft und Zusammenhalt zu bewahren hat. Die an innerm Werte
unstreitig über der jetzigen Armee Frankreichs stehenden Soldaten Napoleons III.
leisteten in dieser Hinsicht wenig, was soll man da von diesen erwarten? Wir
glauben nicht in die Sünde der Überhebung zu verfallen, wenn es uns scheint,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_289122/160>, abgerufen am 22.07.2024.