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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr.

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Der Arbeiterkongreß in London.

Die rechtliche Stellung der ^as-Hliion8 ist erst seit 1869 gesichert worden,
indem ihren Fonds erst seit diesem Jahre Schutz vor den Gerichten gewährt
worden ist. Ein Gesetz vom Juni 1871, welches verlangt, daß sie sich bei der
Behörde in ein Register eintragen lassen, ist von der Mehrzahl der Vereine
nicht beachtet worden. Nur etwa 50 von den 200. welche der Regierung ihre
Berichte einsenden, waren 1378 eingetragen. Diese hatten zusammen etwa
250 000 Mitglieder mit ungefähr 265 000 Pf. Se. jährlicher Einnahme, und
die größten derselben waren zwei Genossenschaften von Bergleuten, die ^inÄ-
FAinatsÄ ^ssovi^ion ok Kinns in Manchester mit 105 028 Mitgliedern und
66 321 Pf. Se. jährlicher Einnahme und die Nmers ^.ssoeiation, in Durhcun
mit 41310 Mitgliedern und einer Einnahme von 48 046 Pf. Se.

In den Vereinigten Staaten von Nordamerika bestehen ähnliche Gewerk¬
vereine neben andern Arbeitergenossenschaften, z. B. den XniMs ok Il^our
und einer Anzahl von sozialistischen und anarchistischen Gesellschaften. In
Italien giebt es ebenfalls Arbeitervereine, die nach Art der englischen Imäo
Ilnioiis eingerichtet sind. In Deutschland riefen Schulze-Delitzsch, Franz Duncker
und Max Hirsch 1869 neben der sozialdemokratischen Arbeiterpartei mit ihrer
Bebel-Liebknechtschen und ihrer Lassalleschen Gruppe Gewerkvereine ins Leben,
die den englischen in wesentlichen Stücken glichen und zwar fortschrittlich angehaucht
waren, sich aber nicht, wie die Sozialdemokraten, mit Fragen der hohen Politik
befaßten. Sie gediehen eine Zeit lang ziemlich gut, und ihr Verband umfaßte
1875 schon 357 Ortsvereine und gegen 22 000 Mitglieder. Seitdem aber ist
die Entwicklung ins Stocken geraten, indem, wie bekannt, der Staat die Er¬
reichung der Hauptzwecke dieser Vereine ins Auge gefaßt und zum großen Teile
in Angriff genommen hat, und die deutschen Gewerkvereine werden ganz über¬
flüssig werden, wenn erst das Bismarcksche Werk zum Abschluß gelangt ist.

Diese Gewerkvereine sind es also nicht, welche von dem Londoner Kongresse
ausgeschlossen sein sollen, vielmehr sind mit der Zurückweisung nur die Sozial¬
demokraten gemeint, und dies ist sehr erklärlich und wohlberechtigt. Phantasten,
unpraktische Doktrinäre, Phrasenmacher und Leute, die trotz aller Ableugnung
zuletzt doch gewaltsamen Umsturz alles Bestehenden hoffen und erstreben, ge¬
hören eben nicht unter nüchterne und friedfertige Reformer, welche die Re¬
gierungen selbstverständlich anerkennen, wenn sie sich um Schutz und Förderung
an sie wenden. Die Einberufer des Kongresses treiben keine Politik. Jeder
englische Gewerkverein beschränkt sich streng auf sein Fach, wie er auch nicht
jeden Beliebiger, der sich Arbeiter nennt, sondern nur solche unter seine Mit¬
glieder aufnimmt, die eine bestimmte Zeit das betreffende Handwerk oder Gewerbe
gelernt haben und in ihm thätig gewesen sind. Allgemeine Bedürfnisse und
Ziele der verschiedenen Vereine sind Sache des Zentralrates, der aus den
Vorständen derselben gebildet worden ist. Der einzelne Fachverein kümmert sich
lediglich um die nächsten Interessen der Mitglieder (Messerschmiede, Gelbgießer,


Der Arbeiterkongreß in London.

Die rechtliche Stellung der ^as-Hliion8 ist erst seit 1869 gesichert worden,
indem ihren Fonds erst seit diesem Jahre Schutz vor den Gerichten gewährt
worden ist. Ein Gesetz vom Juni 1871, welches verlangt, daß sie sich bei der
Behörde in ein Register eintragen lassen, ist von der Mehrzahl der Vereine
nicht beachtet worden. Nur etwa 50 von den 200. welche der Regierung ihre
Berichte einsenden, waren 1378 eingetragen. Diese hatten zusammen etwa
250 000 Mitglieder mit ungefähr 265 000 Pf. Se. jährlicher Einnahme, und
die größten derselben waren zwei Genossenschaften von Bergleuten, die ^inÄ-
FAinatsÄ ^ssovi^ion ok Kinns in Manchester mit 105 028 Mitgliedern und
66 321 Pf. Se. jährlicher Einnahme und die Nmers ^.ssoeiation, in Durhcun
mit 41310 Mitgliedern und einer Einnahme von 48 046 Pf. Se.

In den Vereinigten Staaten von Nordamerika bestehen ähnliche Gewerk¬
vereine neben andern Arbeitergenossenschaften, z. B. den XniMs ok Il^our
und einer Anzahl von sozialistischen und anarchistischen Gesellschaften. In
Italien giebt es ebenfalls Arbeitervereine, die nach Art der englischen Imäo
Ilnioiis eingerichtet sind. In Deutschland riefen Schulze-Delitzsch, Franz Duncker
und Max Hirsch 1869 neben der sozialdemokratischen Arbeiterpartei mit ihrer
Bebel-Liebknechtschen und ihrer Lassalleschen Gruppe Gewerkvereine ins Leben,
die den englischen in wesentlichen Stücken glichen und zwar fortschrittlich angehaucht
waren, sich aber nicht, wie die Sozialdemokraten, mit Fragen der hohen Politik
befaßten. Sie gediehen eine Zeit lang ziemlich gut, und ihr Verband umfaßte
1875 schon 357 Ortsvereine und gegen 22 000 Mitglieder. Seitdem aber ist
die Entwicklung ins Stocken geraten, indem, wie bekannt, der Staat die Er¬
reichung der Hauptzwecke dieser Vereine ins Auge gefaßt und zum großen Teile
in Angriff genommen hat, und die deutschen Gewerkvereine werden ganz über¬
flüssig werden, wenn erst das Bismarcksche Werk zum Abschluß gelangt ist.

Diese Gewerkvereine sind es also nicht, welche von dem Londoner Kongresse
ausgeschlossen sein sollen, vielmehr sind mit der Zurückweisung nur die Sozial¬
demokraten gemeint, und dies ist sehr erklärlich und wohlberechtigt. Phantasten,
unpraktische Doktrinäre, Phrasenmacher und Leute, die trotz aller Ableugnung
zuletzt doch gewaltsamen Umsturz alles Bestehenden hoffen und erstreben, ge¬
hören eben nicht unter nüchterne und friedfertige Reformer, welche die Re¬
gierungen selbstverständlich anerkennen, wenn sie sich um Schutz und Förderung
an sie wenden. Die Einberufer des Kongresses treiben keine Politik. Jeder
englische Gewerkverein beschränkt sich streng auf sein Fach, wie er auch nicht
jeden Beliebiger, der sich Arbeiter nennt, sondern nur solche unter seine Mit¬
glieder aufnimmt, die eine bestimmte Zeit das betreffende Handwerk oder Gewerbe
gelernt haben und in ihm thätig gewesen sind. Allgemeine Bedürfnisse und
Ziele der verschiedenen Vereine sind Sache des Zentralrates, der aus den
Vorständen derselben gebildet worden ist. Der einzelne Fachverein kümmert sich
lediglich um die nächsten Interessen der Mitglieder (Messerschmiede, Gelbgießer,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_289122/13>, abgerufen am 22.07.2024.