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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr.

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Die Kriegsmacht des Friedensbundes und die seiner Gegner.

um die Franzose" unfähig zu machen, ihre jahrhundertelange Bedrohung und
Beeinflussung Sttddeutschlands fortzusetzen; wir wurden als deutsches Reich
vor der Wiederkehr des russischen Druckes bewahrt, der unter Zar Nikolaus
auf unserm nationalen Leben lastete, und wir erschienen von dem Tage an, wo
wir nach Auflösung einer unnatürlichen Verbindung mit Österreich durch ein
Bündnis mit ihm, welches das rechte, für beide Teile heilsame Verhältnis her¬
stellte, der russischen Ländergier als ein Haupthindernis für die Lösung der
orientalischen Frage in jenem panslawistischcn Sinne, der sich auch gegen die
Lebensinteressen unsers Bundesgenossen an der Donau kehrt. Daher das Wort:
Konstantinopel muß in Berlin erobert werden, das in Moskau und Petersburg
immer wieder laut wurde und vermutlich nicht so bald völlig verstummen wird.
Es ist nicht unmöglich, daß es zuletzt wie ein Bann oder ein zwingender
Zauber auf die höchste maßgebende Macht wirkt, die sich seiner bisher erwehrte,
und dieser Augenblick braucht durchaus nicht tief und fern in der Zukunft zu
liegen. Daß Frankreich dann, wenn der Haß und die Mißgunst des russischen
Panslawismus ihre Fahnen gegen uus entfalten, die seinen in der Hülle lassen
werde, ist so gut wie undenkbar. Es ist daher geraten, sich immer wieder einmal
die Frage vorzulegen: Nun, wenn es denn sein müßte, was hätten wir für
Kräfte und Mittel, den uns aufgedrängten Krieg unserseits zu führen, wie sind
die unsrer Bundesgenossen beschaffen, und welche können unsre Gegner auf¬
bieten? Eine vor kurzem in Hannover erschienene Broschüre, "Der europäische
Koalitionskrieg/' will zwar nicht zugeben, daß ans Italiens Mitwirkung von
seiten des Friedensbundes mit Sicherheit zu rechnen sei, und wir räumen dies
ein, wenn der Krieg lange auf sich warten lassen sollte. Die jetzt den Fran¬
zosen sehr abgeneigte und mit Österreich versöhnte öffentliche Meinung könnte
dann umschlagen, die herrschenden Parteien könnten andern Parteien weichen
durch welche die Jrredentisten Oberwasser erhielten, sogar der Umsturz der
Monarchie und die Verwandlung in eine Republik, die es ihrer Selbsterhaltung
wegen mit der französischen Schwester halten würde, sind denkbar. Aber das
alles liegt in weitem Felde, und so darf Italien für die nächste Zeit und für
den Fall, daß Frankreich sich an einem Kriege zwischen uns und Nußland be¬
teiligt, getrost in obigem Sinne in die Rechnung eingestellt werden.

Wie man die Weltlage auch ansehen mag, wenn man an einzelnes denkt,
die Gefahr für alle Parteien liegt immer darin, daß die Mächte des Friedens¬
bundes den beiden voraussichtlich zum Angriffe auf sie verbündeten Staaten
als unmittelbare Nachbarn mit gewaltigen Heeren gegenüberstehen. Eine Ab¬
rüstung ist unter diesen Umständen nur denkbar in dem Falle, daß der eine
Teil eine vollständige Niederlage erleidet. Dann wird der Sieger dem Be¬
siegten den Präsenzstand, den er aufrecht erhalten darf, vorschreiben, und
darauf kann er auch den seinigen entsprechend vermindern und so eine schwere
Last loswerden. Die auf Krieg sinnenden Mächte sind der Abrüstung abgeneigt,


Die Kriegsmacht des Friedensbundes und die seiner Gegner.

um die Franzose» unfähig zu machen, ihre jahrhundertelange Bedrohung und
Beeinflussung Sttddeutschlands fortzusetzen; wir wurden als deutsches Reich
vor der Wiederkehr des russischen Druckes bewahrt, der unter Zar Nikolaus
auf unserm nationalen Leben lastete, und wir erschienen von dem Tage an, wo
wir nach Auflösung einer unnatürlichen Verbindung mit Österreich durch ein
Bündnis mit ihm, welches das rechte, für beide Teile heilsame Verhältnis her¬
stellte, der russischen Ländergier als ein Haupthindernis für die Lösung der
orientalischen Frage in jenem panslawistischcn Sinne, der sich auch gegen die
Lebensinteressen unsers Bundesgenossen an der Donau kehrt. Daher das Wort:
Konstantinopel muß in Berlin erobert werden, das in Moskau und Petersburg
immer wieder laut wurde und vermutlich nicht so bald völlig verstummen wird.
Es ist nicht unmöglich, daß es zuletzt wie ein Bann oder ein zwingender
Zauber auf die höchste maßgebende Macht wirkt, die sich seiner bisher erwehrte,
und dieser Augenblick braucht durchaus nicht tief und fern in der Zukunft zu
liegen. Daß Frankreich dann, wenn der Haß und die Mißgunst des russischen
Panslawismus ihre Fahnen gegen uus entfalten, die seinen in der Hülle lassen
werde, ist so gut wie undenkbar. Es ist daher geraten, sich immer wieder einmal
die Frage vorzulegen: Nun, wenn es denn sein müßte, was hätten wir für
Kräfte und Mittel, den uns aufgedrängten Krieg unserseits zu führen, wie sind
die unsrer Bundesgenossen beschaffen, und welche können unsre Gegner auf¬
bieten? Eine vor kurzem in Hannover erschienene Broschüre, „Der europäische
Koalitionskrieg/' will zwar nicht zugeben, daß ans Italiens Mitwirkung von
seiten des Friedensbundes mit Sicherheit zu rechnen sei, und wir räumen dies
ein, wenn der Krieg lange auf sich warten lassen sollte. Die jetzt den Fran¬
zosen sehr abgeneigte und mit Österreich versöhnte öffentliche Meinung könnte
dann umschlagen, die herrschenden Parteien könnten andern Parteien weichen
durch welche die Jrredentisten Oberwasser erhielten, sogar der Umsturz der
Monarchie und die Verwandlung in eine Republik, die es ihrer Selbsterhaltung
wegen mit der französischen Schwester halten würde, sind denkbar. Aber das
alles liegt in weitem Felde, und so darf Italien für die nächste Zeit und für
den Fall, daß Frankreich sich an einem Kriege zwischen uns und Nußland be¬
teiligt, getrost in obigem Sinne in die Rechnung eingestellt werden.

Wie man die Weltlage auch ansehen mag, wenn man an einzelnes denkt,
die Gefahr für alle Parteien liegt immer darin, daß die Mächte des Friedens¬
bundes den beiden voraussichtlich zum Angriffe auf sie verbündeten Staaten
als unmittelbare Nachbarn mit gewaltigen Heeren gegenüberstehen. Eine Ab¬
rüstung ist unter diesen Umständen nur denkbar in dem Falle, daß der eine
Teil eine vollständige Niederlage erleidet. Dann wird der Sieger dem Be¬
siegten den Präsenzstand, den er aufrecht erhalten darf, vorschreiben, und
darauf kann er auch den seinigen entsprechend vermindern und so eine schwere
Last loswerden. Die auf Krieg sinnenden Mächte sind der Abrüstung abgeneigt,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_289122/120>, abgerufen am 22.07.2024.