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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr.

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Die Deutschfreisinnigen während der Regierungszoit Kaiser Friedrichs.

köpfigen freisinnigen Schmeichler bedenken sollen, ehe sie um der Unterstützung
ihrer Herrschgelüste willen eine Politik begünstigten, die Wohl in Albion Sympathie
erwecken mußte, wo man bereits den Battenbergcr als "nahen Verwandten des
deutschen Kaiserhauses" wieder auf dem Bulgarenthrone sah, die aber für
Deutschland, wo eben erst der sterbende Kaiser seinem Enkel geraten hatte, die
Gefühle des Zaren zu schonen, ein Jammer gewesen wäre. In solcher Schonung
sahen dieselben Leute, die nie etwas Angelegentlicheres zu thun gehabt haben,
als dem Kaiser Wilhelm und seinen treuen Beratern das Leben zu verbittern,
weiter nichts als "Furcht vor Väterchen," und diese Furcht schrieben die, die
wie die Kammerdiener jedem leisen Wunsche ihrer Herrschaft mit Sprüngen ent¬
gegenkamen, dem Fürsten Bismarck zu! Mit welcher Dreistigkeit wurden da die
Dinge verdreht! Nicht die, gegen welche Bismarck die Wohlfahrt und Selb¬
ständigkeit des deutschen Reiches zu schützen hatte, ließen sich Rücksichtslosigkeit
gegen den leidenden Kaiser zu Schulden kommen, sondern "der Kanzler hat ohne
Rücksicht auf den leidenden Kaiser wieder einmal seinen Willen durchgesetzt."

Auch hier fanden sich Freisinnige und Papisten in ihrem Haß gegen Bis¬
marck sofort zusammen. Freisinnige Zeitung, Vörsenkourier, Volkszeitung und
Germania bezeichneten in rührendem Einklange das Eintreten des Kanzlers für
die Politik, die Deutschland seit siebenundzwanzig Jahren groß gemacht hat, als
"Boulangismus"; auf der einen Seite stand der Kanzler und arbeitete am
Sturze der Hohenzollern als "Hausmaier," auf der andern Seite standen Windt-
horst und Richter und schützten den Kaiser in der Rolle des treuen Eckart.
Es war ein schönes Bild, als Ehren-Richter und die Perle in einer Foyerecke
des Abgeordnetenhauses ihre stille Besprechung hielten -- worüber, das konnte
man sich wohl denken. Es war dasselbe Thema, das die Fortschrittsblätter,
wie die Berliner Zeitung, an jenem Tage behandelten: "Die geschmähten
Demokraten, der verlästerte Freisinn, sie haben heute die Aufgabe, den Kaiser
zu schützen gegen das Treiben der Byzantinergesellschaft. Nie hat sich die große,
staatserhaltende Kraft des Liberalismus besser gezeigt als in diesen Tagen; die
"nationale" Revolution beginnt ihr Haupt zu erheben, die Revolution für den
Kanzler gegen den Kaiser." Und dieses Tollhäuslertreiben konnte stattfinden,
nachdem Kaiser Wilhelm kaum vier Wochen von uns gegangen war. Dabei
griffen diese Heuchler zu jedem Mittel, die persönliche Ehre der erprobtesten
Patrioten zu beschmutzen. So wurde Professor Biedermann in zweideutigen
Worten an den Pranger gestellt, als einer, "der noch unlängst eine Privat-
unterstützung in erheblichem Betrage auf Anweisung des Reichskanzlers" em¬
pfangen habe. Und wie die Freisinnige und die Berliner Zeitung, so die andern
Fortschrittsblätter. Schrieb doch das Deutsche Reichsblatt: "Schart euch um
unser Kaiserpaar! Denn dasselbe ist heute mit großen Gefahren bedroht. Die¬
jenigen, welche sich sonst als von Gottes und Rechts wegen bestellte Hüter der
Krone aufzuspielen suchen, sind es heute, welche die Rechte des Herrscherhauses


Die Deutschfreisinnigen während der Regierungszoit Kaiser Friedrichs.

köpfigen freisinnigen Schmeichler bedenken sollen, ehe sie um der Unterstützung
ihrer Herrschgelüste willen eine Politik begünstigten, die Wohl in Albion Sympathie
erwecken mußte, wo man bereits den Battenbergcr als „nahen Verwandten des
deutschen Kaiserhauses" wieder auf dem Bulgarenthrone sah, die aber für
Deutschland, wo eben erst der sterbende Kaiser seinem Enkel geraten hatte, die
Gefühle des Zaren zu schonen, ein Jammer gewesen wäre. In solcher Schonung
sahen dieselben Leute, die nie etwas Angelegentlicheres zu thun gehabt haben,
als dem Kaiser Wilhelm und seinen treuen Beratern das Leben zu verbittern,
weiter nichts als „Furcht vor Väterchen," und diese Furcht schrieben die, die
wie die Kammerdiener jedem leisen Wunsche ihrer Herrschaft mit Sprüngen ent¬
gegenkamen, dem Fürsten Bismarck zu! Mit welcher Dreistigkeit wurden da die
Dinge verdreht! Nicht die, gegen welche Bismarck die Wohlfahrt und Selb¬
ständigkeit des deutschen Reiches zu schützen hatte, ließen sich Rücksichtslosigkeit
gegen den leidenden Kaiser zu Schulden kommen, sondern „der Kanzler hat ohne
Rücksicht auf den leidenden Kaiser wieder einmal seinen Willen durchgesetzt."

Auch hier fanden sich Freisinnige und Papisten in ihrem Haß gegen Bis¬
marck sofort zusammen. Freisinnige Zeitung, Vörsenkourier, Volkszeitung und
Germania bezeichneten in rührendem Einklange das Eintreten des Kanzlers für
die Politik, die Deutschland seit siebenundzwanzig Jahren groß gemacht hat, als
„Boulangismus"; auf der einen Seite stand der Kanzler und arbeitete am
Sturze der Hohenzollern als „Hausmaier," auf der andern Seite standen Windt-
horst und Richter und schützten den Kaiser in der Rolle des treuen Eckart.
Es war ein schönes Bild, als Ehren-Richter und die Perle in einer Foyerecke
des Abgeordnetenhauses ihre stille Besprechung hielten — worüber, das konnte
man sich wohl denken. Es war dasselbe Thema, das die Fortschrittsblätter,
wie die Berliner Zeitung, an jenem Tage behandelten: „Die geschmähten
Demokraten, der verlästerte Freisinn, sie haben heute die Aufgabe, den Kaiser
zu schützen gegen das Treiben der Byzantinergesellschaft. Nie hat sich die große,
staatserhaltende Kraft des Liberalismus besser gezeigt als in diesen Tagen; die
»nationale« Revolution beginnt ihr Haupt zu erheben, die Revolution für den
Kanzler gegen den Kaiser." Und dieses Tollhäuslertreiben konnte stattfinden,
nachdem Kaiser Wilhelm kaum vier Wochen von uns gegangen war. Dabei
griffen diese Heuchler zu jedem Mittel, die persönliche Ehre der erprobtesten
Patrioten zu beschmutzen. So wurde Professor Biedermann in zweideutigen
Worten an den Pranger gestellt, als einer, „der noch unlängst eine Privat-
unterstützung in erheblichem Betrage auf Anweisung des Reichskanzlers" em¬
pfangen habe. Und wie die Freisinnige und die Berliner Zeitung, so die andern
Fortschrittsblätter. Schrieb doch das Deutsche Reichsblatt: „Schart euch um
unser Kaiserpaar! Denn dasselbe ist heute mit großen Gefahren bedroht. Die¬
jenigen, welche sich sonst als von Gottes und Rechts wegen bestellte Hüter der
Krone aufzuspielen suchen, sind es heute, welche die Rechte des Herrscherhauses


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_289122/112>, abgerufen am 24.08.2024.