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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr.

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Die Frauenfrage des vierten Standes.

welche Arbeiten sie am ersten Unterrichtstage zu verrichten hat; am zweiten
und den folgenden Sonntagen erhält jede die folgende Nummer, so daß jede
mit allen zugehörigen Arbeiten bekannt wird.

Ob die Ausbildung an zwölf Unterrichtstagen, wie sie im Arbeitcrinncn-
hvspiz zu Gladbach stattfindet, genügt, um die Kenntnisse und Tugenden
zu erwerben, die einer Hausfrau zur Begründung "häuslichen Glückes" nötig
sind, überlasse ich erfahrenen Hausfrauen zur Beurteilung. Dagegen möchte
ich noch aus folgendes verweisen.

Ein keineswegs unerheblicher Teil der Arbeiterinnen wird nicht in der
Lage sein, eine hauswirtschaftliche Ausbildung in Arbeiterinncnhospizen sich
anzueignen. In diesem Falle müssen in erster Linie die Frauenvereine ein¬
greifen und die Erziehung und Ausbildung der Arbeiterinnen zu Hausfrauen
in die Hand nehmen und leiten. Ja es erscheint mir sogar als eine Frage,
die sehr der Erwägung wert ist, ob es nicht zweckmäßig sei, die Arbeitszeit
der jugendlichen Arbeiterinnen, d. h. derjenigen im Alter von 14--16 Jahren,
gesetzlich noch weiter zu beschränken und diese Klasse der Arbeiterinnen (wie
vielleicht alle Mädchen gleichen Alters!) zum Besuche eines theoretisch-praktischen
Arbeitsunterrichts in allen das Hauswesen betreffenden Dingen zu verpflichten.
In dem Falle hätten allerdings der Staat oder die Gemeinden, insoweit sich
ein entsprechendes Bedürfnis geltend machen würde, die Einrichtung geeigneter
Erziehungs- und Bildungsanstalten ins Auge zu fassen; die Arbeitgeber selbst
würden bis zu einem gewissen Grade vielleicht nach Zahl der beschäftigten
Arbeiterinnen zu den Kosten heranzuziehen sein.

Soviel über die "Frauenfrage des vierten Standes". Die Frage ist
freilich mit dem bisher gesagten bei weitem nicht erschöpft; allein es kam nur
darauf an, kurz die wichtigsten Maßregeln zu besprechen, die zur Besserung
der Lage unsrer Arbeiterinnen zu ergreifen sind. Es wäre zu wünschen, daß
die Arbeitgeber sowohl, wie die bessern Gesellschafts-, insbesondre Frauenkreise
überhaupt, zu der Auffassung gelangten, es sei eine sittliche Pflicht, die
arbeitenden Frauen und Mädchen der unter" Klassen so zu stellen, daß sie ein
menschenwürdiges Dasein zu führen in der Lage und nicht genötigt sind, zur
Bestreitung des Lebensunterhaltes einen ergänzenden Erwerbszweig in der
Preisgabe ihrer Ehre zu suchen. Erhalten die unverheirateten Arbeiterinnen
höhere Löhne und wird ihnen gleichzeitig die Gelegenheit zur Ausbildung als
künftige Hausfrauen geboten, so unterliegt es keinem Zweifel, daß durch diese
Maßregeln ein großer Schritt zur Lösung der gesamten "sozialen Frage" gethan
wird. Nicht zum geringsten Teile wird heute in Arbeiterkreisen Unzufriedenheit
dadurch hervorgerufen, daß die Frau häuslich ungeschult und ohne Kenntnisse
ist, dem Manne kein freundliches Heim zu bereiten versteht und ihn infolgedessen
schließlich immer mehr zu jener Verbitterung bringt, die im Kampfe gegen die
bestehende Ordnung ihren Ausdruck findet. Eine zur Arbeit erzogne Frau


Die Frauenfrage des vierten Standes.

welche Arbeiten sie am ersten Unterrichtstage zu verrichten hat; am zweiten
und den folgenden Sonntagen erhält jede die folgende Nummer, so daß jede
mit allen zugehörigen Arbeiten bekannt wird.

Ob die Ausbildung an zwölf Unterrichtstagen, wie sie im Arbeitcrinncn-
hvspiz zu Gladbach stattfindet, genügt, um die Kenntnisse und Tugenden
zu erwerben, die einer Hausfrau zur Begründung „häuslichen Glückes" nötig
sind, überlasse ich erfahrenen Hausfrauen zur Beurteilung. Dagegen möchte
ich noch aus folgendes verweisen.

Ein keineswegs unerheblicher Teil der Arbeiterinnen wird nicht in der
Lage sein, eine hauswirtschaftliche Ausbildung in Arbeiterinncnhospizen sich
anzueignen. In diesem Falle müssen in erster Linie die Frauenvereine ein¬
greifen und die Erziehung und Ausbildung der Arbeiterinnen zu Hausfrauen
in die Hand nehmen und leiten. Ja es erscheint mir sogar als eine Frage,
die sehr der Erwägung wert ist, ob es nicht zweckmäßig sei, die Arbeitszeit
der jugendlichen Arbeiterinnen, d. h. derjenigen im Alter von 14—16 Jahren,
gesetzlich noch weiter zu beschränken und diese Klasse der Arbeiterinnen (wie
vielleicht alle Mädchen gleichen Alters!) zum Besuche eines theoretisch-praktischen
Arbeitsunterrichts in allen das Hauswesen betreffenden Dingen zu verpflichten.
In dem Falle hätten allerdings der Staat oder die Gemeinden, insoweit sich
ein entsprechendes Bedürfnis geltend machen würde, die Einrichtung geeigneter
Erziehungs- und Bildungsanstalten ins Auge zu fassen; die Arbeitgeber selbst
würden bis zu einem gewissen Grade vielleicht nach Zahl der beschäftigten
Arbeiterinnen zu den Kosten heranzuziehen sein.

Soviel über die „Frauenfrage des vierten Standes". Die Frage ist
freilich mit dem bisher gesagten bei weitem nicht erschöpft; allein es kam nur
darauf an, kurz die wichtigsten Maßregeln zu besprechen, die zur Besserung
der Lage unsrer Arbeiterinnen zu ergreifen sind. Es wäre zu wünschen, daß
die Arbeitgeber sowohl, wie die bessern Gesellschafts-, insbesondre Frauenkreise
überhaupt, zu der Auffassung gelangten, es sei eine sittliche Pflicht, die
arbeitenden Frauen und Mädchen der unter» Klassen so zu stellen, daß sie ein
menschenwürdiges Dasein zu führen in der Lage und nicht genötigt sind, zur
Bestreitung des Lebensunterhaltes einen ergänzenden Erwerbszweig in der
Preisgabe ihrer Ehre zu suchen. Erhalten die unverheirateten Arbeiterinnen
höhere Löhne und wird ihnen gleichzeitig die Gelegenheit zur Ausbildung als
künftige Hausfrauen geboten, so unterliegt es keinem Zweifel, daß durch diese
Maßregeln ein großer Schritt zur Lösung der gesamten „sozialen Frage" gethan
wird. Nicht zum geringsten Teile wird heute in Arbeiterkreisen Unzufriedenheit
dadurch hervorgerufen, daß die Frau häuslich ungeschult und ohne Kenntnisse
ist, dem Manne kein freundliches Heim zu bereiten versteht und ihn infolgedessen
schließlich immer mehr zu jener Verbitterung bringt, die im Kampfe gegen die
bestehende Ordnung ihren Ausdruck findet. Eine zur Arbeit erzogne Frau


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_203434/95>, abgerufen am 24.08.2024.