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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr.

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Die Gcbietsentwicklung der Linzelstciaten Deutschlands.

Weiteres für Deutsche; daß der Terzky, richtiger Trzka, "des Herzogs Schwager,"
kein Deutscher war, ist ihm offenbar nie zum Bewußtsein gekommen, ebensowenig,
daß, wenn Wallenstein überhaupt daran gedacht hat, Böhmen von den Habsburgi¬
schen Erbländer loszureißen, er das nur konnte, wenn er den nationalen Gegensatz
der Tschechen gegen die Deutschen ausnutzte. In den österreichisch gesinnten
Kreisen wurde zwar nicht geradezu abgestritten, daß in dein Kaiserstaate auch
noch einige nichtdeutsche Völkerschaften vorhanden waren; aber dagegen führte
man dann an, daß es ja in Preußen auch Polen und Litthauer gebe. Im
allgemeinen aber galt es als eine Art von Glaubenssatz, daß die Österreicher
im ganzen und großen Deutsche wären, wenn auch in Wirklichkeit bei drei
Vierteln von ihnen das Deutschtum nur durch "das deutsche Kommando und
den deutschen Haselstock in der Armee" vertreten war, durch die ja, nach einem
bekannten Ausspruche Schwarzenbcrgs, die Staatseinheit allein aufrecht erhalten
wurde. Wenn auch die k. k. Besatzungen in der ehemaligen Bundesstadt und
in den frühern Bnndcsfestungeu aus magyarischen, polnischen, slavonischen,
kroatischen oder italienischen Regimentern bestanden, so wurde dadurch doch
diese künstlich genährte Einbildung nicht erschüttert. Die aus den verschiedensten
Nationalitäten zusammengesetzten österreichischen Truppen fanden bei den Preußen-
feindlichen Bevölkerungen der deutschen Bundesstaaten die ungeteiltesten und
lautesten Sympathien. Diese und namentlich Wohl die ausgezeichnete Ver¬
pflegung in Hamburg veranlaßte 1864 einen tschechischen oder slowakischen
"Vrnder uusriges" auf dem dortigen Berliner Bahnhofe zu dem klassischen
Ausrufe: "Es lebe das ganze deutsche Bündel!" Dieser Vorgang, der damals
durch alle Blätter lief, fand allen Ernstes in der partikularistischen und demo¬
kratischen Presse die unbedingteste Billigung als ein Ausfluß der unverwüst-
lichen österreichischen Gemütlichkeit im Gegensatze zu der Zugeknöpftheit, dem
Dünkel und der Schroffheit der Preußen. Sogar der damals noch gut
fortschrittliche Kladderadatsch wagte kaum darüber zu spotten, und erst
später, dicht vor Ausbruch des sechsundsechziger Krieges, als er wieder einen
preußischen und nationalen Standpunkt gefunden hatte, bekannte er: "Wir
haben uns mit den Österreichern auf dem Hamburger Bahnhofe zu ge---nau
bekannt gemacht."

Zu den Zeiten der großen Kaiserin Maria Theresia hatte sich deutsche
Sprache und Sitte in den kaiserlichen Erbländer in einem solchen Maße ver¬
breitet, daß man vielleicht hätte glauben können, daß die meisten Besitzungen
des Hauses Habsburg mit der Zeit wenigstens im ganzen und großen germcmisirt
werden würden. Seit jener Zeit aber ist das Deutschtum im Kaiserstaate
immer mehr zurückgegangen und zurückgedrängt worden, und zwar nicht am
wenigsten durch die bewußte, planmäßige Politik der Regierung, namentlich des
Fürsten Metternich, und dieser Rückgang des deutschen Elements dauert bis
auf den heutigen Tag fort. Seit zweiundzwanzig Jahren ist Österreich ganz


Die Gcbietsentwicklung der Linzelstciaten Deutschlands.

Weiteres für Deutsche; daß der Terzky, richtiger Trzka, „des Herzogs Schwager,"
kein Deutscher war, ist ihm offenbar nie zum Bewußtsein gekommen, ebensowenig,
daß, wenn Wallenstein überhaupt daran gedacht hat, Böhmen von den Habsburgi¬
schen Erbländer loszureißen, er das nur konnte, wenn er den nationalen Gegensatz
der Tschechen gegen die Deutschen ausnutzte. In den österreichisch gesinnten
Kreisen wurde zwar nicht geradezu abgestritten, daß in dein Kaiserstaate auch
noch einige nichtdeutsche Völkerschaften vorhanden waren; aber dagegen führte
man dann an, daß es ja in Preußen auch Polen und Litthauer gebe. Im
allgemeinen aber galt es als eine Art von Glaubenssatz, daß die Österreicher
im ganzen und großen Deutsche wären, wenn auch in Wirklichkeit bei drei
Vierteln von ihnen das Deutschtum nur durch „das deutsche Kommando und
den deutschen Haselstock in der Armee" vertreten war, durch die ja, nach einem
bekannten Ausspruche Schwarzenbcrgs, die Staatseinheit allein aufrecht erhalten
wurde. Wenn auch die k. k. Besatzungen in der ehemaligen Bundesstadt und
in den frühern Bnndcsfestungeu aus magyarischen, polnischen, slavonischen,
kroatischen oder italienischen Regimentern bestanden, so wurde dadurch doch
diese künstlich genährte Einbildung nicht erschüttert. Die aus den verschiedensten
Nationalitäten zusammengesetzten österreichischen Truppen fanden bei den Preußen-
feindlichen Bevölkerungen der deutschen Bundesstaaten die ungeteiltesten und
lautesten Sympathien. Diese und namentlich Wohl die ausgezeichnete Ver¬
pflegung in Hamburg veranlaßte 1864 einen tschechischen oder slowakischen
„Vrnder uusriges" auf dem dortigen Berliner Bahnhofe zu dem klassischen
Ausrufe: „Es lebe das ganze deutsche Bündel!" Dieser Vorgang, der damals
durch alle Blätter lief, fand allen Ernstes in der partikularistischen und demo¬
kratischen Presse die unbedingteste Billigung als ein Ausfluß der unverwüst-
lichen österreichischen Gemütlichkeit im Gegensatze zu der Zugeknöpftheit, dem
Dünkel und der Schroffheit der Preußen. Sogar der damals noch gut
fortschrittliche Kladderadatsch wagte kaum darüber zu spotten, und erst
später, dicht vor Ausbruch des sechsundsechziger Krieges, als er wieder einen
preußischen und nationalen Standpunkt gefunden hatte, bekannte er: „Wir
haben uns mit den Österreichern auf dem Hamburger Bahnhofe zu ge—-nau
bekannt gemacht."

Zu den Zeiten der großen Kaiserin Maria Theresia hatte sich deutsche
Sprache und Sitte in den kaiserlichen Erbländer in einem solchen Maße ver¬
breitet, daß man vielleicht hätte glauben können, daß die meisten Besitzungen
des Hauses Habsburg mit der Zeit wenigstens im ganzen und großen germcmisirt
werden würden. Seit jener Zeit aber ist das Deutschtum im Kaiserstaate
immer mehr zurückgegangen und zurückgedrängt worden, und zwar nicht am
wenigsten durch die bewußte, planmäßige Politik der Regierung, namentlich des
Fürsten Metternich, und dieser Rückgang des deutschen Elements dauert bis
auf den heutigen Tag fort. Seit zweiundzwanzig Jahren ist Österreich ganz


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[0078] Die Gcbietsentwicklung der Linzelstciaten Deutschlands. Weiteres für Deutsche; daß der Terzky, richtiger Trzka, „des Herzogs Schwager," kein Deutscher war, ist ihm offenbar nie zum Bewußtsein gekommen, ebensowenig, daß, wenn Wallenstein überhaupt daran gedacht hat, Böhmen von den Habsburgi¬ schen Erbländer loszureißen, er das nur konnte, wenn er den nationalen Gegensatz der Tschechen gegen die Deutschen ausnutzte. In den österreichisch gesinnten Kreisen wurde zwar nicht geradezu abgestritten, daß in dein Kaiserstaate auch noch einige nichtdeutsche Völkerschaften vorhanden waren; aber dagegen führte man dann an, daß es ja in Preußen auch Polen und Litthauer gebe. Im allgemeinen aber galt es als eine Art von Glaubenssatz, daß die Österreicher im ganzen und großen Deutsche wären, wenn auch in Wirklichkeit bei drei Vierteln von ihnen das Deutschtum nur durch „das deutsche Kommando und den deutschen Haselstock in der Armee" vertreten war, durch die ja, nach einem bekannten Ausspruche Schwarzenbcrgs, die Staatseinheit allein aufrecht erhalten wurde. Wenn auch die k. k. Besatzungen in der ehemaligen Bundesstadt und in den frühern Bnndcsfestungeu aus magyarischen, polnischen, slavonischen, kroatischen oder italienischen Regimentern bestanden, so wurde dadurch doch diese künstlich genährte Einbildung nicht erschüttert. Die aus den verschiedensten Nationalitäten zusammengesetzten österreichischen Truppen fanden bei den Preußen- feindlichen Bevölkerungen der deutschen Bundesstaaten die ungeteiltesten und lautesten Sympathien. Diese und namentlich Wohl die ausgezeichnete Ver¬ pflegung in Hamburg veranlaßte 1864 einen tschechischen oder slowakischen „Vrnder uusriges" auf dem dortigen Berliner Bahnhofe zu dem klassischen Ausrufe: „Es lebe das ganze deutsche Bündel!" Dieser Vorgang, der damals durch alle Blätter lief, fand allen Ernstes in der partikularistischen und demo¬ kratischen Presse die unbedingteste Billigung als ein Ausfluß der unverwüst- lichen österreichischen Gemütlichkeit im Gegensatze zu der Zugeknöpftheit, dem Dünkel und der Schroffheit der Preußen. Sogar der damals noch gut fortschrittliche Kladderadatsch wagte kaum darüber zu spotten, und erst später, dicht vor Ausbruch des sechsundsechziger Krieges, als er wieder einen preußischen und nationalen Standpunkt gefunden hatte, bekannte er: „Wir haben uns mit den Österreichern auf dem Hamburger Bahnhofe zu ge—-nau bekannt gemacht." Zu den Zeiten der großen Kaiserin Maria Theresia hatte sich deutsche Sprache und Sitte in den kaiserlichen Erbländer in einem solchen Maße ver¬ breitet, daß man vielleicht hätte glauben können, daß die meisten Besitzungen des Hauses Habsburg mit der Zeit wenigstens im ganzen und großen germcmisirt werden würden. Seit jener Zeit aber ist das Deutschtum im Kaiserstaate immer mehr zurückgegangen und zurückgedrängt worden, und zwar nicht am wenigsten durch die bewußte, planmäßige Politik der Regierung, namentlich des Fürsten Metternich, und dieser Rückgang des deutschen Elements dauert bis auf den heutigen Tag fort. Seit zweiundzwanzig Jahren ist Österreich ganz

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_203434/78>, abgerufen am 22.07.2024.