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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr.

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Die Privatklage.

der Pflichten des Staates auf dem Gebiete der Strafrechtspflege beruhen. Es
läßt sich aus der Praxis, wenn auch nicht aus rechtlichen und sittlichen Grün¬
den rechtfertigen, wenn die Motive der Strafprozeßordnung bei Begründung
der Aufnahme des Privntklageverfahrcns für Beleidigungen und leichte Körper¬
verletzungen sagen: "Beleidigungen und leichte Mißhandlungen sind alltägliche
Vorkommnisse; sie berühren das allgemeine Wohl der bürgerlichen Gesellschaft
meistens wenig, und selbst für die Beteiligten haben sie in der Regel eine viel
zu geringe Bedeutung, als daß ein rechtliches oder sittliches Bedürfnis vorläge,
stets eine Bestrafung herbeizuführen." Allein diese Geringschätzung der Bedeutung
der genannten Strafthaten -- sie hat schon zu vielen Klagen Anlaß gegeben
und wird nicht immer als berechtigt anerkannt -- auch noch auf andre Delikte
auszudehnen, scheint doch sehr bedenklich. Die Pflicht des Staates, zur Auf-
rechthaltung der Rechtsordnung dem Einzelnen, dessen Recht verletzt wird, seinen
Arm zur Wiederherstellung dieses Rechtes zu leihen, ist heute allgemein aner¬
kannt. In gleicher Weise ist anerkannt die Pflicht des Staates, diejenigen
Zuwiderhandlungen gegen die Rechtsordnung, die von dem Gesetze als solche
bezeichnet sind, gleichviel ob sie gegen einen Einzelnen oder die Allgemeinheit
verübt werden, Mit Strafe zu bedrohen und im Falle ihres Vorkommens zu
bestrafen Empfiehlt es sich wohl da, einzelne mit Strafe bedrohte Thaten als
minderwertig zu behandeln und ausdrücklich zu erklären, man überlaste es dem
Einzelnen, die Bestrafung derartiger Eingriffe in seine Rechtssphäre selbst herbei¬
zuführen? Warum soll ein Angriff gegen den Körper, die Gesundheit einer
Person oder gegen ihre Ehre der Staatsgewalt weniger Anlaß zur Verfolgung
des Angreifenden geben, als ein Angriff gegen das Eigentum? Ist wirklich --
abgesehen vielleicht von dem sittlichen Werte des Thäters -- ein Eingriff in das
Eigentum, verübt durch Diebstahl, vom Standpunkte der Rechtsordnung und
des Verletzten, etwas so wesentlich andres, als ein solcher Eingriff, verübt
durch Sachbeschädigung? In beiden Fällen wird die Rechtsordnung durch
einen Eingriff in das Eigentum des Einzelnen verletzt. Das Recht und die
Pflicht des Staates auf Strafverfolgung gründet sich aber lediglich auf sein
Recht und seine Pflicht, die Rechtsordnung aufrecht zu erhalten. Ist diese
verletzt, so muß er strafen, und es geht nicht an, einzelne Zuwiderhandlungen
mit Rücksicht auf hergebrachte Anschauungen als minderwertig auszuscheiden,
ihre Verfolgung lediglich dem Verletzten zu überlassen. Es mag ja zweckmäßig
sein, in einzelnen Fällen das Vorgehen der staatlichen Strafgewalt von dem
Vorgehen des Verletzten abhängig zu machen, allein dem wird durch Auf¬
nahme der sogenannten Antragsdelikte in das Strafgesetz vollständig Rech¬
nung getragen. Hat in solchen Fällen der zunächst Betroffene seinen Willen,
Bestrafung herbeizuführen, zu erkennen gegeben, dann muß auch der Staat die
gegen den Einzelnen verübte Verletzung der Ordnung durch Strafung des Thäters
sühnen. Es darf dem Einzelnen niemals zukommen, diese Sühne selbst, wenn auch


Die Privatklage.

der Pflichten des Staates auf dem Gebiete der Strafrechtspflege beruhen. Es
läßt sich aus der Praxis, wenn auch nicht aus rechtlichen und sittlichen Grün¬
den rechtfertigen, wenn die Motive der Strafprozeßordnung bei Begründung
der Aufnahme des Privntklageverfahrcns für Beleidigungen und leichte Körper¬
verletzungen sagen: „Beleidigungen und leichte Mißhandlungen sind alltägliche
Vorkommnisse; sie berühren das allgemeine Wohl der bürgerlichen Gesellschaft
meistens wenig, und selbst für die Beteiligten haben sie in der Regel eine viel
zu geringe Bedeutung, als daß ein rechtliches oder sittliches Bedürfnis vorläge,
stets eine Bestrafung herbeizuführen." Allein diese Geringschätzung der Bedeutung
der genannten Strafthaten — sie hat schon zu vielen Klagen Anlaß gegeben
und wird nicht immer als berechtigt anerkannt — auch noch auf andre Delikte
auszudehnen, scheint doch sehr bedenklich. Die Pflicht des Staates, zur Auf-
rechthaltung der Rechtsordnung dem Einzelnen, dessen Recht verletzt wird, seinen
Arm zur Wiederherstellung dieses Rechtes zu leihen, ist heute allgemein aner¬
kannt. In gleicher Weise ist anerkannt die Pflicht des Staates, diejenigen
Zuwiderhandlungen gegen die Rechtsordnung, die von dem Gesetze als solche
bezeichnet sind, gleichviel ob sie gegen einen Einzelnen oder die Allgemeinheit
verübt werden, Mit Strafe zu bedrohen und im Falle ihres Vorkommens zu
bestrafen Empfiehlt es sich wohl da, einzelne mit Strafe bedrohte Thaten als
minderwertig zu behandeln und ausdrücklich zu erklären, man überlaste es dem
Einzelnen, die Bestrafung derartiger Eingriffe in seine Rechtssphäre selbst herbei¬
zuführen? Warum soll ein Angriff gegen den Körper, die Gesundheit einer
Person oder gegen ihre Ehre der Staatsgewalt weniger Anlaß zur Verfolgung
des Angreifenden geben, als ein Angriff gegen das Eigentum? Ist wirklich —
abgesehen vielleicht von dem sittlichen Werte des Thäters — ein Eingriff in das
Eigentum, verübt durch Diebstahl, vom Standpunkte der Rechtsordnung und
des Verletzten, etwas so wesentlich andres, als ein solcher Eingriff, verübt
durch Sachbeschädigung? In beiden Fällen wird die Rechtsordnung durch
einen Eingriff in das Eigentum des Einzelnen verletzt. Das Recht und die
Pflicht des Staates auf Strafverfolgung gründet sich aber lediglich auf sein
Recht und seine Pflicht, die Rechtsordnung aufrecht zu erhalten. Ist diese
verletzt, so muß er strafen, und es geht nicht an, einzelne Zuwiderhandlungen
mit Rücksicht auf hergebrachte Anschauungen als minderwertig auszuscheiden,
ihre Verfolgung lediglich dem Verletzten zu überlassen. Es mag ja zweckmäßig
sein, in einzelnen Fällen das Vorgehen der staatlichen Strafgewalt von dem
Vorgehen des Verletzten abhängig zu machen, allein dem wird durch Auf¬
nahme der sogenannten Antragsdelikte in das Strafgesetz vollständig Rech¬
nung getragen. Hat in solchen Fällen der zunächst Betroffene seinen Willen,
Bestrafung herbeizuführen, zu erkennen gegeben, dann muß auch der Staat die
gegen den Einzelnen verübte Verletzung der Ordnung durch Strafung des Thäters
sühnen. Es darf dem Einzelnen niemals zukommen, diese Sühne selbst, wenn auch


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[0074] Die Privatklage. der Pflichten des Staates auf dem Gebiete der Strafrechtspflege beruhen. Es läßt sich aus der Praxis, wenn auch nicht aus rechtlichen und sittlichen Grün¬ den rechtfertigen, wenn die Motive der Strafprozeßordnung bei Begründung der Aufnahme des Privntklageverfahrcns für Beleidigungen und leichte Körper¬ verletzungen sagen: „Beleidigungen und leichte Mißhandlungen sind alltägliche Vorkommnisse; sie berühren das allgemeine Wohl der bürgerlichen Gesellschaft meistens wenig, und selbst für die Beteiligten haben sie in der Regel eine viel zu geringe Bedeutung, als daß ein rechtliches oder sittliches Bedürfnis vorläge, stets eine Bestrafung herbeizuführen." Allein diese Geringschätzung der Bedeutung der genannten Strafthaten — sie hat schon zu vielen Klagen Anlaß gegeben und wird nicht immer als berechtigt anerkannt — auch noch auf andre Delikte auszudehnen, scheint doch sehr bedenklich. Die Pflicht des Staates, zur Auf- rechthaltung der Rechtsordnung dem Einzelnen, dessen Recht verletzt wird, seinen Arm zur Wiederherstellung dieses Rechtes zu leihen, ist heute allgemein aner¬ kannt. In gleicher Weise ist anerkannt die Pflicht des Staates, diejenigen Zuwiderhandlungen gegen die Rechtsordnung, die von dem Gesetze als solche bezeichnet sind, gleichviel ob sie gegen einen Einzelnen oder die Allgemeinheit verübt werden, Mit Strafe zu bedrohen und im Falle ihres Vorkommens zu bestrafen Empfiehlt es sich wohl da, einzelne mit Strafe bedrohte Thaten als minderwertig zu behandeln und ausdrücklich zu erklären, man überlaste es dem Einzelnen, die Bestrafung derartiger Eingriffe in seine Rechtssphäre selbst herbei¬ zuführen? Warum soll ein Angriff gegen den Körper, die Gesundheit einer Person oder gegen ihre Ehre der Staatsgewalt weniger Anlaß zur Verfolgung des Angreifenden geben, als ein Angriff gegen das Eigentum? Ist wirklich — abgesehen vielleicht von dem sittlichen Werte des Thäters — ein Eingriff in das Eigentum, verübt durch Diebstahl, vom Standpunkte der Rechtsordnung und des Verletzten, etwas so wesentlich andres, als ein solcher Eingriff, verübt durch Sachbeschädigung? In beiden Fällen wird die Rechtsordnung durch einen Eingriff in das Eigentum des Einzelnen verletzt. Das Recht und die Pflicht des Staates auf Strafverfolgung gründet sich aber lediglich auf sein Recht und seine Pflicht, die Rechtsordnung aufrecht zu erhalten. Ist diese verletzt, so muß er strafen, und es geht nicht an, einzelne Zuwiderhandlungen mit Rücksicht auf hergebrachte Anschauungen als minderwertig auszuscheiden, ihre Verfolgung lediglich dem Verletzten zu überlassen. Es mag ja zweckmäßig sein, in einzelnen Fällen das Vorgehen der staatlichen Strafgewalt von dem Vorgehen des Verletzten abhängig zu machen, allein dem wird durch Auf¬ nahme der sogenannten Antragsdelikte in das Strafgesetz vollständig Rech¬ nung getragen. Hat in solchen Fällen der zunächst Betroffene seinen Willen, Bestrafung herbeizuführen, zu erkennen gegeben, dann muß auch der Staat die gegen den Einzelnen verübte Verletzung der Ordnung durch Strafung des Thäters sühnen. Es darf dem Einzelnen niemals zukommen, diese Sühne selbst, wenn auch

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_203434/74>, abgerufen am 22.07.2024.