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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr.

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Die vereinigten Staaten im Lichte der letzten Präsidentenwahl.

Aber der Präsident und Präsidentschaftskandidat Cleveland zwang seiner
Partei die Zolltariffrage als den Hauptinhalt des Wahlkampfes auf, weil er
nur in diesem Zeichen siegen zu können hoffte. Es stand ihm in der That
kein andrer Sammelruf von gleicher Zugkraft zu Gebote. Die Staatsdienst¬
reformfrage ließ sich diesmal nicht zum Angelpunkte machen. Sie hatte im
Herbst 1884 ihre Dienste gethan, sie hatte die unabhängigen Republikaner und
Gegner Blaines, des damaligen republikanischen Präsidentschaftskandidaten, im
Staate New-Ivrk der Fahne Clevelands gewonnen und dadurch den Sieg des¬
selben herbeigeführt. Der demokratische Präsident versuchte es im Anfange
seiner Verwaltung auch wirklich, die niedern Bundesämter ohne unmittelbare
Rücksicht auf Parteidienstleistungen zu vergeben. Er ließ ferner eine Anzahl
Republikaner bis zum Ablauf ihrer Amtszeit (vier Jahre) in ihren Stellen.
Aber er sah sich doch später gezwungen, der heißhungriger Strömung in der
eignen Partei nachzugeben und bei Neubesetzungen den politischen Einfluß der
Ämter in demokratische Hände zu liefern. Mit dem ewigen Personenwechsel
in den Bundesämtern, mit den ewigen Neuwahlen in Bundesstaat, Einzelstaat
und Gemeinde ist eben ein fester Beamtenstamm und Veamtenstand unvereinbar
und unverträglich, und alle Versuche, ihn nach englischem Muster wenigstens
für die Masse der untern Verwaltungsorgane zu schaffen, haben bis jetzt nur
schwache Erfolge gehalten. Welche halbe Arbeit das erst seit 1882 bestehende
Staatsdienstreformgesetz ist, erhellt schon daraus, daß in ihm von Pensionirung
von Beamten mit keinem Worte die Rede ist. Während des diesjährigen
Wahlkampfes ist denn auch von strenger Ausführung jenes Gesetzes, geschweige
denn von seiner Erweiterung von keiner Seite ernstlich gesprochen worden.
Nur daß republikanische Redner dem Präsidenten Cleveland einige Male den Vor¬
wurf machten, seinen 1884 gegebenen Versprechungen untreu geworden zu sein.

Während somit dem demokratischen Präsidentschaftsbeamten nichts andres
übrig blieb, als die Herabsetzung der Eingangszölle seiner Partei als Sammel¬
ruf aufzuzwingen, verließ sich die republikanische auf die bewährte Macht der
Trägheit und auf den mächtigen Einfluß der unter dem Schutzzoll hoch ent¬
wickelten Großindustrie, und schrieb zum erstenmale den Grundsatz des Schutz¬
zolls 8M8 xurass, d. h. ohne alle frühern bundesschatzlichen Entschuldigungen,
auf ihre Fahne. Es war vergebens, daß man auf demokratischer Seite auf
den Widerspruch hinwies, in den dadurch die Republikaner mit ihren frühern
Aufstellungen, mit ihren letzten Präsidenten Garficld und Arthur gerieten, die
wiederholt die Ermäßigung der Eingangszölle empfahlen, um der Aufhäufung
von Hunderten müßiger Millionen im Bundesschatze ein Ziel zu setzen und der
Bevölkerung endlich einen Teil der Last der sogenannten Kriegssteucrn abzu¬
nehmen. Es war umsonst, daß man den Bericht einer republikanischen Tarif¬
kommission vom Jahre 1883 wieder abdruckte, worin eine viel weiter gehende
Ermäßigung der Zölle empfohlen war, als die im Sommer des laufenden


Die vereinigten Staaten im Lichte der letzten Präsidentenwahl.

Aber der Präsident und Präsidentschaftskandidat Cleveland zwang seiner
Partei die Zolltariffrage als den Hauptinhalt des Wahlkampfes auf, weil er
nur in diesem Zeichen siegen zu können hoffte. Es stand ihm in der That
kein andrer Sammelruf von gleicher Zugkraft zu Gebote. Die Staatsdienst¬
reformfrage ließ sich diesmal nicht zum Angelpunkte machen. Sie hatte im
Herbst 1884 ihre Dienste gethan, sie hatte die unabhängigen Republikaner und
Gegner Blaines, des damaligen republikanischen Präsidentschaftskandidaten, im
Staate New-Ivrk der Fahne Clevelands gewonnen und dadurch den Sieg des¬
selben herbeigeführt. Der demokratische Präsident versuchte es im Anfange
seiner Verwaltung auch wirklich, die niedern Bundesämter ohne unmittelbare
Rücksicht auf Parteidienstleistungen zu vergeben. Er ließ ferner eine Anzahl
Republikaner bis zum Ablauf ihrer Amtszeit (vier Jahre) in ihren Stellen.
Aber er sah sich doch später gezwungen, der heißhungriger Strömung in der
eignen Partei nachzugeben und bei Neubesetzungen den politischen Einfluß der
Ämter in demokratische Hände zu liefern. Mit dem ewigen Personenwechsel
in den Bundesämtern, mit den ewigen Neuwahlen in Bundesstaat, Einzelstaat
und Gemeinde ist eben ein fester Beamtenstamm und Veamtenstand unvereinbar
und unverträglich, und alle Versuche, ihn nach englischem Muster wenigstens
für die Masse der untern Verwaltungsorgane zu schaffen, haben bis jetzt nur
schwache Erfolge gehalten. Welche halbe Arbeit das erst seit 1882 bestehende
Staatsdienstreformgesetz ist, erhellt schon daraus, daß in ihm von Pensionirung
von Beamten mit keinem Worte die Rede ist. Während des diesjährigen
Wahlkampfes ist denn auch von strenger Ausführung jenes Gesetzes, geschweige
denn von seiner Erweiterung von keiner Seite ernstlich gesprochen worden.
Nur daß republikanische Redner dem Präsidenten Cleveland einige Male den Vor¬
wurf machten, seinen 1884 gegebenen Versprechungen untreu geworden zu sein.

Während somit dem demokratischen Präsidentschaftsbeamten nichts andres
übrig blieb, als die Herabsetzung der Eingangszölle seiner Partei als Sammel¬
ruf aufzuzwingen, verließ sich die republikanische auf die bewährte Macht der
Trägheit und auf den mächtigen Einfluß der unter dem Schutzzoll hoch ent¬
wickelten Großindustrie, und schrieb zum erstenmale den Grundsatz des Schutz¬
zolls 8M8 xurass, d. h. ohne alle frühern bundesschatzlichen Entschuldigungen,
auf ihre Fahne. Es war vergebens, daß man auf demokratischer Seite auf
den Widerspruch hinwies, in den dadurch die Republikaner mit ihren frühern
Aufstellungen, mit ihren letzten Präsidenten Garficld und Arthur gerieten, die
wiederholt die Ermäßigung der Eingangszölle empfahlen, um der Aufhäufung
von Hunderten müßiger Millionen im Bundesschatze ein Ziel zu setzen und der
Bevölkerung endlich einen Teil der Last der sogenannten Kriegssteucrn abzu¬
nehmen. Es war umsonst, daß man den Bericht einer republikanischen Tarif¬
kommission vom Jahre 1883 wieder abdruckte, worin eine viel weiter gehende
Ermäßigung der Zölle empfohlen war, als die im Sommer des laufenden


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_203434/626>, abgerufen am 24.08.2024.