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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr.

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Die Staatsphilosophie Friedrichs des Grossen.

Wendungen und Redeweisen der revolutionären Naturrechtslehre aneignete, wäh¬
rend in Wahrheit sein grundsätzlicher Standpunkt diesem ganzen Gedankensystem
widerspricht. Welches ist das oberste Prinzip, aus dem das Naturrecht seine
Sätze ableitet? Das Zusammenleben gleichberechtigter Lebewesen. Wo findet
Friedrich das gestaltende Prinzip staatlicher Ordnung? In der natürlichen
Autorität. Von Jean Jacques Rousseau kannte der König den Omnis, über
den er sich in verschiedenen Stellen seiner Briefe sehr abfällig äußert; gegen
Rousseaus Anpreisung der Gleichheit im Naturzustande richtet sich eine am
27. Januar 1772 in der Berliner Akademie verlesene Abhandlung Friedrichs,
in der er den Genfer Philosophen einen Wahnwitzigen nennt. Des Rousseauschen
volitrat sooial hat er nirgends Erwähnung gethan. Der Ausdruck "Gesell¬
schaftsvertrag"-- und zwar unterschiedslos x^öls soviel oder eontrg.ti soviel--
findet sich in den Werken des Königs äußerst selten; außer in dem 1777 ver¬
faßten "Versuch über die Regierungsformen", wo er einmal vorkommt, besonders
in den "Briefen über die Vaterlandsliebe", wo man ihm siebenmal begegnet. Nichts
ist klarer, als daß Friedrich weit entfernt war von jeder Ahnung, daß er in
dem Ausdruck "Gesellschaftsvertrag" das Stichwort einer großen sozialen und
politischen Revolution vor sich habe. Aus der gleichen Arglosigkeit erklärt es
sich, wenn er (Oeuvres VHI, 66) ohne weiters von den Völkern spricht, die
sich Souveräne gegeben haben, um von ihnen beschützt zu werden, und nur
unter dieser Bedingung sich ihnen unterworfen haben. Haben sich die Kinder
einen Vater gegeben? Von der väterlichen Autorität und Gewalt leitet aber
Friedrich an verschiedenen Stellen seiner Werke die Zwangsgewalt her, die der
Obrigkeit zusteht, wenn auch gewöhnlich nicht mit dem vollen Bewußtsein des
Gegensatzes gegen die naturrechtliche Doktrin. "Das Bedürfnis, Ordnung zu
schaffen in ihren Häusern, hat die Familienväter ohne Zweifel genötigt, feste
Regeln aufzustellen für das häusliche Verhalten der Familienmitglieder.
Dieses Bedürfnis wiederholte sich in erweitertem Maße: man veröffentlichte Ge¬
setze, man setzte Obrigkeiten ein, um für Beobachtung derselben zu sorgen." Wie?
mit welchen Mitteln? Von der durchschlagenden Wichtigkeit gerade dieser Frage
hat sich Friedrich offenbar nicht volle Rechenschaft gegeben, er nennt an ver¬
schiedenen Orten das allgemeine Vertrauen als die notwendige Vorbedingung
für eine zweckentsprechende Ausübung der obrigkeitlichen Gewalt. Das allgemeine
Vertrauen kann aber selbstverständlich nur demjenigen entgegengebracht werden,
der durch gemeinnützige Thätigkeit und Bewährung darin sich bereits Autorität
erworben hat. Im Eingange des "Antimachiavel" ist gesagt, daß "es die
Völker für ihre Ruhe und ihre Erhaltung nötig fanden, Richter für die Schlich¬
tung ihrer Streitigkeiten, Schirmherren zur Verteidigung von Hab und Gut
gegen ihre Feinde, Herrscher für die Vereinigung ihrer Sonderinteresfen zu
einem Gemeininteresse zu haben; daß sie aus ihrer Mitte diejenigen zu Regenten
wählten, die sie für die weisesten, unparteiischsten, uneigennützigsten, menschen-


Die Staatsphilosophie Friedrichs des Grossen.

Wendungen und Redeweisen der revolutionären Naturrechtslehre aneignete, wäh¬
rend in Wahrheit sein grundsätzlicher Standpunkt diesem ganzen Gedankensystem
widerspricht. Welches ist das oberste Prinzip, aus dem das Naturrecht seine
Sätze ableitet? Das Zusammenleben gleichberechtigter Lebewesen. Wo findet
Friedrich das gestaltende Prinzip staatlicher Ordnung? In der natürlichen
Autorität. Von Jean Jacques Rousseau kannte der König den Omnis, über
den er sich in verschiedenen Stellen seiner Briefe sehr abfällig äußert; gegen
Rousseaus Anpreisung der Gleichheit im Naturzustande richtet sich eine am
27. Januar 1772 in der Berliner Akademie verlesene Abhandlung Friedrichs,
in der er den Genfer Philosophen einen Wahnwitzigen nennt. Des Rousseauschen
volitrat sooial hat er nirgends Erwähnung gethan. Der Ausdruck „Gesell¬
schaftsvertrag"— und zwar unterschiedslos x^öls soviel oder eontrg.ti soviel—
findet sich in den Werken des Königs äußerst selten; außer in dem 1777 ver¬
faßten „Versuch über die Regierungsformen", wo er einmal vorkommt, besonders
in den „Briefen über die Vaterlandsliebe", wo man ihm siebenmal begegnet. Nichts
ist klarer, als daß Friedrich weit entfernt war von jeder Ahnung, daß er in
dem Ausdruck „Gesellschaftsvertrag" das Stichwort einer großen sozialen und
politischen Revolution vor sich habe. Aus der gleichen Arglosigkeit erklärt es
sich, wenn er (Oeuvres VHI, 66) ohne weiters von den Völkern spricht, die
sich Souveräne gegeben haben, um von ihnen beschützt zu werden, und nur
unter dieser Bedingung sich ihnen unterworfen haben. Haben sich die Kinder
einen Vater gegeben? Von der väterlichen Autorität und Gewalt leitet aber
Friedrich an verschiedenen Stellen seiner Werke die Zwangsgewalt her, die der
Obrigkeit zusteht, wenn auch gewöhnlich nicht mit dem vollen Bewußtsein des
Gegensatzes gegen die naturrechtliche Doktrin. „Das Bedürfnis, Ordnung zu
schaffen in ihren Häusern, hat die Familienväter ohne Zweifel genötigt, feste
Regeln aufzustellen für das häusliche Verhalten der Familienmitglieder.
Dieses Bedürfnis wiederholte sich in erweitertem Maße: man veröffentlichte Ge¬
setze, man setzte Obrigkeiten ein, um für Beobachtung derselben zu sorgen." Wie?
mit welchen Mitteln? Von der durchschlagenden Wichtigkeit gerade dieser Frage
hat sich Friedrich offenbar nicht volle Rechenschaft gegeben, er nennt an ver¬
schiedenen Orten das allgemeine Vertrauen als die notwendige Vorbedingung
für eine zweckentsprechende Ausübung der obrigkeitlichen Gewalt. Das allgemeine
Vertrauen kann aber selbstverständlich nur demjenigen entgegengebracht werden,
der durch gemeinnützige Thätigkeit und Bewährung darin sich bereits Autorität
erworben hat. Im Eingange des „Antimachiavel" ist gesagt, daß „es die
Völker für ihre Ruhe und ihre Erhaltung nötig fanden, Richter für die Schlich¬
tung ihrer Streitigkeiten, Schirmherren zur Verteidigung von Hab und Gut
gegen ihre Feinde, Herrscher für die Vereinigung ihrer Sonderinteresfen zu
einem Gemeininteresse zu haben; daß sie aus ihrer Mitte diejenigen zu Regenten
wählten, die sie für die weisesten, unparteiischsten, uneigennützigsten, menschen-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_203434/61>, abgerufen am 24.08.2024.