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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr.

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Gebt sie zum Weibe mir! Was ihr verschuldet,
Ich will's nicht mehr in Liedern niederschreiben;
Thut, was ihr wollt, so lang's der Frühling duldet
Und diese Berge unbeweglich bleiben.

Schließlich war er doch auch ein Mensch wie andre: heroisch in den Augen¬
blicken der Begeisterung, schwach in den nüchternen Stunden. Man kann es
in der Geschichte der meisten Vorkämpfer der Menschheit beobachten, daß an
sie die Versuchung herantritt, sich der selbstbegonnenen Arbeit zu entziehen,
den Kelch nicht zu leeren, den sie schon angesetzt haben. Man darf darum
Gnus zeitweilige Schwäche nicht zum Angelpunkte seines Charakters machen,
vielmehr liegt dieser in seiner poetischen Natur. Es ist ein Beweis mehr,
daß Gilm ein echter Dichter war, daß er von dem Augenblicke, wo er
leiblich dem Kampfplatze entrückt war, auch politisch zu dichten aufgehört hat.
Für abstrakte Ideen litterarisch zu kämpfen, ist nicht des echten Lyrikers Sache;
Gnus Antijesuitenliedcr sind ein im edelsten Sinne persönlicher Kampf zwischen
zwei grundverschiedenen Lebensanschauungen, zwischen der Weltfreude und der
Weltflucht. Darin besteht ihr unvergänglicher Wert.

Mit diesen Betrachtungen haben wir indes weder den Inhalt der Lyrik
Gnus noch den Gehalt seines Lebens erschöpft. Einen sehr hervorragenden
Teil seines Schaffens, den die neue Ausgabe seiner Gedichte mit großem Un¬
recht Übergängen hat (man weiß überhaupt nicht, nach welchen Grundsätzen
Arnold v. d. Passer die Auswahl getroffen hat, Rechenschaft giebt er keine
darüber und stillschweigend läßt er auch keine erkennen), nämlich Gnus Schützen-
Poesie hätten wir noch zu besprechen; ferner seine schönen Balladen; seine Ge¬
legenheitsgedichte; es wäre noch von Gnus Anteil an der Märzrevolution, von
seiner Niedergeschlagenheit nach ihr zu sprechen; es wäre seine Wandlung in
nachmärzlicher Zeit zu beleuchten, seine nationaldeutsche Gesinnung endlich, die
nicht müde wurde, die Landsleute zu mahnen, nicht römisch, sondern deutsch
zu fühlen; noch am dänischen Kriege nahm er lebhaften Anteil; sein letztes
Gedicht "Das Adoptivkind" galt dem Preise des hochherzigen General Gablonz
-- doch alles dies ist schon von den genannten Kritikern und Biographen
hervorgehoben worden, worauf wir hier verweisen dürfen. Es bleibt nur zu
wünschen, daß Gilm rechte Verbreitung finde, damit eine zweite Ausgabe seiner
Gedichte die Lücken ausfüllen könne, welche die vorliegende zum Bedauern aller
seiner Kenner aufweist.





Gebt sie zum Weibe mir! Was ihr verschuldet,
Ich will's nicht mehr in Liedern niederschreiben;
Thut, was ihr wollt, so lang's der Frühling duldet
Und diese Berge unbeweglich bleiben.

Schließlich war er doch auch ein Mensch wie andre: heroisch in den Augen¬
blicken der Begeisterung, schwach in den nüchternen Stunden. Man kann es
in der Geschichte der meisten Vorkämpfer der Menschheit beobachten, daß an
sie die Versuchung herantritt, sich der selbstbegonnenen Arbeit zu entziehen,
den Kelch nicht zu leeren, den sie schon angesetzt haben. Man darf darum
Gnus zeitweilige Schwäche nicht zum Angelpunkte seines Charakters machen,
vielmehr liegt dieser in seiner poetischen Natur. Es ist ein Beweis mehr,
daß Gilm ein echter Dichter war, daß er von dem Augenblicke, wo er
leiblich dem Kampfplatze entrückt war, auch politisch zu dichten aufgehört hat.
Für abstrakte Ideen litterarisch zu kämpfen, ist nicht des echten Lyrikers Sache;
Gnus Antijesuitenliedcr sind ein im edelsten Sinne persönlicher Kampf zwischen
zwei grundverschiedenen Lebensanschauungen, zwischen der Weltfreude und der
Weltflucht. Darin besteht ihr unvergänglicher Wert.

Mit diesen Betrachtungen haben wir indes weder den Inhalt der Lyrik
Gnus noch den Gehalt seines Lebens erschöpft. Einen sehr hervorragenden
Teil seines Schaffens, den die neue Ausgabe seiner Gedichte mit großem Un¬
recht Übergängen hat (man weiß überhaupt nicht, nach welchen Grundsätzen
Arnold v. d. Passer die Auswahl getroffen hat, Rechenschaft giebt er keine
darüber und stillschweigend läßt er auch keine erkennen), nämlich Gnus Schützen-
Poesie hätten wir noch zu besprechen; ferner seine schönen Balladen; seine Ge¬
legenheitsgedichte; es wäre noch von Gnus Anteil an der Märzrevolution, von
seiner Niedergeschlagenheit nach ihr zu sprechen; es wäre seine Wandlung in
nachmärzlicher Zeit zu beleuchten, seine nationaldeutsche Gesinnung endlich, die
nicht müde wurde, die Landsleute zu mahnen, nicht römisch, sondern deutsch
zu fühlen; noch am dänischen Kriege nahm er lebhaften Anteil; sein letztes
Gedicht „Das Adoptivkind" galt dem Preise des hochherzigen General Gablonz
— doch alles dies ist schon von den genannten Kritikern und Biographen
hervorgehoben worden, worauf wir hier verweisen dürfen. Es bleibt nur zu
wünschen, daß Gilm rechte Verbreitung finde, damit eine zweite Ausgabe seiner
Gedichte die Lücken ausfüllen könne, welche die vorliegende zum Bedauern aller
seiner Kenner aufweist.




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[0607] Gebt sie zum Weibe mir! Was ihr verschuldet, Ich will's nicht mehr in Liedern niederschreiben; Thut, was ihr wollt, so lang's der Frühling duldet Und diese Berge unbeweglich bleiben. Schließlich war er doch auch ein Mensch wie andre: heroisch in den Augen¬ blicken der Begeisterung, schwach in den nüchternen Stunden. Man kann es in der Geschichte der meisten Vorkämpfer der Menschheit beobachten, daß an sie die Versuchung herantritt, sich der selbstbegonnenen Arbeit zu entziehen, den Kelch nicht zu leeren, den sie schon angesetzt haben. Man darf darum Gnus zeitweilige Schwäche nicht zum Angelpunkte seines Charakters machen, vielmehr liegt dieser in seiner poetischen Natur. Es ist ein Beweis mehr, daß Gilm ein echter Dichter war, daß er von dem Augenblicke, wo er leiblich dem Kampfplatze entrückt war, auch politisch zu dichten aufgehört hat. Für abstrakte Ideen litterarisch zu kämpfen, ist nicht des echten Lyrikers Sache; Gnus Antijesuitenliedcr sind ein im edelsten Sinne persönlicher Kampf zwischen zwei grundverschiedenen Lebensanschauungen, zwischen der Weltfreude und der Weltflucht. Darin besteht ihr unvergänglicher Wert. Mit diesen Betrachtungen haben wir indes weder den Inhalt der Lyrik Gnus noch den Gehalt seines Lebens erschöpft. Einen sehr hervorragenden Teil seines Schaffens, den die neue Ausgabe seiner Gedichte mit großem Un¬ recht Übergängen hat (man weiß überhaupt nicht, nach welchen Grundsätzen Arnold v. d. Passer die Auswahl getroffen hat, Rechenschaft giebt er keine darüber und stillschweigend läßt er auch keine erkennen), nämlich Gnus Schützen- Poesie hätten wir noch zu besprechen; ferner seine schönen Balladen; seine Ge¬ legenheitsgedichte; es wäre noch von Gnus Anteil an der Märzrevolution, von seiner Niedergeschlagenheit nach ihr zu sprechen; es wäre seine Wandlung in nachmärzlicher Zeit zu beleuchten, seine nationaldeutsche Gesinnung endlich, die nicht müde wurde, die Landsleute zu mahnen, nicht römisch, sondern deutsch zu fühlen; noch am dänischen Kriege nahm er lebhaften Anteil; sein letztes Gedicht „Das Adoptivkind" galt dem Preise des hochherzigen General Gablonz — doch alles dies ist schon von den genannten Kritikern und Biographen hervorgehoben worden, worauf wir hier verweisen dürfen. Es bleibt nur zu wünschen, daß Gilm rechte Verbreitung finde, damit eine zweite Ausgabe seiner Gedichte die Lücken ausfüllen könne, welche die vorliegende zum Bedauern aller seiner Kenner aufweist.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_203434/607>, abgerufen am 22.07.2024.