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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr.

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Hermann von Gilm.

und die Parteien stehen sich gerade so noch gegenüber wie damals, als die Gedichte
von ihm geschrieben wurden. Die Welt ändert sich nicht so schnell, wie Dichter
glauben, sie wird von andern Mächten geleitet als vom begeisterten Liede und
poetischen Idealismus. Zu seinen Lebzeiten hatte Gilm von seiner antijesuitischen
Lyrik nur Kummer. Schon sein bester Freund Friedrich Lentner, der ihm mit
aufrichtiger Kritik zur Seite stand, schrieb ihm am 17. April 1345: "Sie
wissen zu gut, daß man bei uns Präsidenten mit einem Jesuitenlied wohl
wütend machen kann, daß sie aber den Dichter als keine Macht betrachten, mit
der man unterhandelt, sondern nur als eine Maschine, die man entweder mit
Goldsalbe schmiert, damit sie nicht mehr raßle, oder gar zerbricht. In Tirol
läßt man für politische Lieder niemand bluten; man läßt die Leute ewig
praktiziren." Das war das persönliche Schicksal Gnus. Handschriftlich fanden
seine Streitgedichte im ganzen Lande Verbreitung. Aus Rücksicht aber auf
sein Fortkommen im Staatsdienste hatte er nicht den Mut, sie zu sammeln
und als Buch in die Welt zu schicken. Nicht einmal Ludwig Steub, seinem
Freunde, der sie in seinen Schriften über Tirol verflechten wollte, erteilte er
die Erlaubnis dazu. Man muß Gnus ganze Erziehung und seinen Mangel
an Weltkenntnis für diese ängstliche Vorsicht verantwortlich machen. Gilm
war der Sohn einer seit einem Jahrhundert dem Staate dienenden Beamten¬
familie; Ergebenheit gegen die Regierung war ihm gleichsam eingeimpft. Er
mochte in der Begeisterung den Mut zum oppositionellen Liede finden, aber
bis er sich entschloß, als Schriftsteller öffentlich Opposition zu machen, vergingen
Jahrzehnte, während derer die Opposition selbst Negierung geworden war.
Man darf bei Beurteilung von Gnus Charakter nie seine Abstammung und
Erziehung aus dem Auge lassen.

Genützt hat ihm aber seine Zurückhaltung gar nichts. Erst am 2. Oktober
1845 erhielt er, nachdem er sein ganzes Vermögen, das übrigens bescheiden
war, aufgezehrt hatte, ein "Adjutum" von 300 Gulden zugesprochen und
wurde gleichzeitig von Brunneck, wo er sich so glücklich fühlte und eine Braut
verlassen wußte, nach dem südtirolischen Noveredo versetzt, das für ihn eine
ganz neue Welt war und ihn anfänglich tief verstimmte. Oft kam über den
Dichter in den so mageren Jahren, die bis zu seiner 1847 erfolgten Über¬
siedlung nach Wien in eine Konzipistenstelle der Hofkanzlei andauerten, ein
Kleinmut. Er fürchtete sich vor der Rache der "Schwarzen", er versuchte, sich
mit ihnen zu versöhnen, er wollte sich ganz von dem Kampfe um die Geistes-
freiheit zurückziehen und am Herzen seines Weibes die Welt vergessen. So
singt er schon in Schwaz wahrhaft rührend:


Gebt sie zum Weibe mir, gebt nur so vieles.
Daß ich nebst ihr auch noch ein Kind ernähre,
Daß freundlich ich vom Fenster des Asyles
Ein Nebenblatt erblick' und eine Ähre.

Hermann von Gilm.

und die Parteien stehen sich gerade so noch gegenüber wie damals, als die Gedichte
von ihm geschrieben wurden. Die Welt ändert sich nicht so schnell, wie Dichter
glauben, sie wird von andern Mächten geleitet als vom begeisterten Liede und
poetischen Idealismus. Zu seinen Lebzeiten hatte Gilm von seiner antijesuitischen
Lyrik nur Kummer. Schon sein bester Freund Friedrich Lentner, der ihm mit
aufrichtiger Kritik zur Seite stand, schrieb ihm am 17. April 1345: „Sie
wissen zu gut, daß man bei uns Präsidenten mit einem Jesuitenlied wohl
wütend machen kann, daß sie aber den Dichter als keine Macht betrachten, mit
der man unterhandelt, sondern nur als eine Maschine, die man entweder mit
Goldsalbe schmiert, damit sie nicht mehr raßle, oder gar zerbricht. In Tirol
läßt man für politische Lieder niemand bluten; man läßt die Leute ewig
praktiziren." Das war das persönliche Schicksal Gnus. Handschriftlich fanden
seine Streitgedichte im ganzen Lande Verbreitung. Aus Rücksicht aber auf
sein Fortkommen im Staatsdienste hatte er nicht den Mut, sie zu sammeln
und als Buch in die Welt zu schicken. Nicht einmal Ludwig Steub, seinem
Freunde, der sie in seinen Schriften über Tirol verflechten wollte, erteilte er
die Erlaubnis dazu. Man muß Gnus ganze Erziehung und seinen Mangel
an Weltkenntnis für diese ängstliche Vorsicht verantwortlich machen. Gilm
war der Sohn einer seit einem Jahrhundert dem Staate dienenden Beamten¬
familie; Ergebenheit gegen die Regierung war ihm gleichsam eingeimpft. Er
mochte in der Begeisterung den Mut zum oppositionellen Liede finden, aber
bis er sich entschloß, als Schriftsteller öffentlich Opposition zu machen, vergingen
Jahrzehnte, während derer die Opposition selbst Negierung geworden war.
Man darf bei Beurteilung von Gnus Charakter nie seine Abstammung und
Erziehung aus dem Auge lassen.

Genützt hat ihm aber seine Zurückhaltung gar nichts. Erst am 2. Oktober
1845 erhielt er, nachdem er sein ganzes Vermögen, das übrigens bescheiden
war, aufgezehrt hatte, ein „Adjutum" von 300 Gulden zugesprochen und
wurde gleichzeitig von Brunneck, wo er sich so glücklich fühlte und eine Braut
verlassen wußte, nach dem südtirolischen Noveredo versetzt, das für ihn eine
ganz neue Welt war und ihn anfänglich tief verstimmte. Oft kam über den
Dichter in den so mageren Jahren, die bis zu seiner 1847 erfolgten Über¬
siedlung nach Wien in eine Konzipistenstelle der Hofkanzlei andauerten, ein
Kleinmut. Er fürchtete sich vor der Rache der „Schwarzen", er versuchte, sich
mit ihnen zu versöhnen, er wollte sich ganz von dem Kampfe um die Geistes-
freiheit zurückziehen und am Herzen seines Weibes die Welt vergessen. So
singt er schon in Schwaz wahrhaft rührend:


Gebt sie zum Weibe mir, gebt nur so vieles.
Daß ich nebst ihr auch noch ein Kind ernähre,
Daß freundlich ich vom Fenster des Asyles
Ein Nebenblatt erblick' und eine Ähre.

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[0606] Hermann von Gilm. und die Parteien stehen sich gerade so noch gegenüber wie damals, als die Gedichte von ihm geschrieben wurden. Die Welt ändert sich nicht so schnell, wie Dichter glauben, sie wird von andern Mächten geleitet als vom begeisterten Liede und poetischen Idealismus. Zu seinen Lebzeiten hatte Gilm von seiner antijesuitischen Lyrik nur Kummer. Schon sein bester Freund Friedrich Lentner, der ihm mit aufrichtiger Kritik zur Seite stand, schrieb ihm am 17. April 1345: „Sie wissen zu gut, daß man bei uns Präsidenten mit einem Jesuitenlied wohl wütend machen kann, daß sie aber den Dichter als keine Macht betrachten, mit der man unterhandelt, sondern nur als eine Maschine, die man entweder mit Goldsalbe schmiert, damit sie nicht mehr raßle, oder gar zerbricht. In Tirol läßt man für politische Lieder niemand bluten; man läßt die Leute ewig praktiziren." Das war das persönliche Schicksal Gnus. Handschriftlich fanden seine Streitgedichte im ganzen Lande Verbreitung. Aus Rücksicht aber auf sein Fortkommen im Staatsdienste hatte er nicht den Mut, sie zu sammeln und als Buch in die Welt zu schicken. Nicht einmal Ludwig Steub, seinem Freunde, der sie in seinen Schriften über Tirol verflechten wollte, erteilte er die Erlaubnis dazu. Man muß Gnus ganze Erziehung und seinen Mangel an Weltkenntnis für diese ängstliche Vorsicht verantwortlich machen. Gilm war der Sohn einer seit einem Jahrhundert dem Staate dienenden Beamten¬ familie; Ergebenheit gegen die Regierung war ihm gleichsam eingeimpft. Er mochte in der Begeisterung den Mut zum oppositionellen Liede finden, aber bis er sich entschloß, als Schriftsteller öffentlich Opposition zu machen, vergingen Jahrzehnte, während derer die Opposition selbst Negierung geworden war. Man darf bei Beurteilung von Gnus Charakter nie seine Abstammung und Erziehung aus dem Auge lassen. Genützt hat ihm aber seine Zurückhaltung gar nichts. Erst am 2. Oktober 1845 erhielt er, nachdem er sein ganzes Vermögen, das übrigens bescheiden war, aufgezehrt hatte, ein „Adjutum" von 300 Gulden zugesprochen und wurde gleichzeitig von Brunneck, wo er sich so glücklich fühlte und eine Braut verlassen wußte, nach dem südtirolischen Noveredo versetzt, das für ihn eine ganz neue Welt war und ihn anfänglich tief verstimmte. Oft kam über den Dichter in den so mageren Jahren, die bis zu seiner 1847 erfolgten Über¬ siedlung nach Wien in eine Konzipistenstelle der Hofkanzlei andauerten, ein Kleinmut. Er fürchtete sich vor der Rache der „Schwarzen", er versuchte, sich mit ihnen zu versöhnen, er wollte sich ganz von dem Kampfe um die Geistes- freiheit zurückziehen und am Herzen seines Weibes die Welt vergessen. So singt er schon in Schwaz wahrhaft rührend: Gebt sie zum Weibe mir, gebt nur so vieles. Daß ich nebst ihr auch noch ein Kind ernähre, Daß freundlich ich vom Fenster des Asyles Ein Nebenblatt erblick' und eine Ähre.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_203434/606>, abgerufen am 24.08.2024.