Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr.Hermann von Gilm, Hof vertrieben hatte. Lutherische Bibeln, Hauspostillen waren zurückgeblieben, Als Gilm in Schwaz lebte (19. Oktober 1840 bis 10. Dezember 1842),
Von dieser Zeit an hat Gnus Muse ein neues Pathos: Haß gegen die
Hermann von Gilm, Hof vertrieben hatte. Lutherische Bibeln, Hauspostillen waren zurückgeblieben, Als Gilm in Schwaz lebte (19. Oktober 1840 bis 10. Dezember 1842),
Von dieser Zeit an hat Gnus Muse ein neues Pathos: Haß gegen die
<TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0602" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/204037"/> <fw type="header" place="top"> Hermann von Gilm,</fw><lb/> <p xml:id="ID_1585" prev="#ID_1584"> Hof vertrieben hatte. Lutherische Bibeln, Hauspostillen waren zurückgeblieben,<lb/> deren Lesung den erstickten protestantischen Geist entfacht und die Bewegung<lb/> unter den Zillerthalern hervorgerufen hatte.</p><lb/> <p xml:id="ID_1586"> Als Gilm in Schwaz lebte (19. Oktober 1840 bis 10. Dezember 1842),<lb/> da war die Erinnerung an diese rohe That theologischer Unduldsamkeit noch<lb/> ganz lebendig. Der Kreishauptmann v. Gasteiger, in dessen Hause Gilm ver¬<lb/> kehrte, war selbst der, wie man versichert, humane Vollstrecker des furchtbaren<lb/> Regierungsaktes gewesen, und man mag oft genug bei ihm davon gesprochen<lb/> haben. Man kann sich leicht vorstellen, wie der junge Dichter von dieser<lb/> Thatsache ergriffen wurde. In seinen Gedichten spiegelt sich sein hocherregter<lb/> Zustand.</p><lb/> <quote> <lg xml:id="POEMID_42" type="poem"> <l> Ich stand wohl auch an goldner Sessellehne<lb/> Und sog den Duft von parfümirten Locken;<lb/> Ich küßte Mädchenhäude, weiß wie Schwäne,<lb/> Und ließ von ihren Kleidern mich umflockcn.</l> <l> Mich machten all die dunkeln Augen eitel,<lb/> Die lieblich winkten, näher herzutrcten;<lb/> Dur Lorbeer grünte schon auf meinem Scheitel,<lb/> Und weiche Arme lockten den Poeten.</l> <l> Da scholl durchs Thal das Halloh wilder Treiber —<lb/> Ein Hauch des Mundes wurde zum Verräter;<lb/> Ich sah der Männer Wut, den Schmerz der Weiber,<lb/> Der Kinder letzten Blick zum Haus der Väter.</l> <l> Der sanfte Buchwald stöhnte vor Entsetzen,<lb/> Die Berge standen starr vor der Mißhandlung;<lb/> Ich riß die Fahne Cynthias zu Fetzen<lb/> In meines Herzens plötzlicher Umwandlung.</l> </lg> </quote><lb/> <p xml:id="ID_1587"> Von dieser Zeit an hat Gnus Muse ein neues Pathos: Haß gegen die<lb/> Klerisei, Forderung der geistigen Freiheit. Auch Gnus Stil ändert sich seit¬<lb/> dem; um ja nicht mißverstanden zu werden, hat er seitdem auch nur die rein<lb/> künstlerische Verwertung kirchlicher Bilder streng vermieden, und dieselbe Natur,<lb/> in die er früher ganze Meßopfer hineinschaute, die ihm an Christus zu glauben<lb/> schien, bekehrt sich nun zu einem andern Glauben, zu dem an die Freiheit, z. B.:</p><lb/> <quote> <lg xml:id="POEMID_43" type="poem"> <l> Mein ist der Wald, und mir sind unterthänig<lb/> Die freien Tannen und die stolzen Buchen<lb/> Und alle wilden Rosen! Ich bin König,<lb/> Doch nach mir wirds kein anderer versuchen.</l> <l> Denn heimlich hassen Blumen und die Bäume<lb/> Den Menschen, jedes stillen Glücks Zerstörer.<lb/> Wie hochverräterisch sind oft Lilienträume,<lb/> Wie stürmt in mancher Eiche der Empörer!</l> </lg> </quote><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0602]
Hermann von Gilm,
Hof vertrieben hatte. Lutherische Bibeln, Hauspostillen waren zurückgeblieben,
deren Lesung den erstickten protestantischen Geist entfacht und die Bewegung
unter den Zillerthalern hervorgerufen hatte.
Als Gilm in Schwaz lebte (19. Oktober 1840 bis 10. Dezember 1842),
da war die Erinnerung an diese rohe That theologischer Unduldsamkeit noch
ganz lebendig. Der Kreishauptmann v. Gasteiger, in dessen Hause Gilm ver¬
kehrte, war selbst der, wie man versichert, humane Vollstrecker des furchtbaren
Regierungsaktes gewesen, und man mag oft genug bei ihm davon gesprochen
haben. Man kann sich leicht vorstellen, wie der junge Dichter von dieser
Thatsache ergriffen wurde. In seinen Gedichten spiegelt sich sein hocherregter
Zustand.
Ich stand wohl auch an goldner Sessellehne
Und sog den Duft von parfümirten Locken;
Ich küßte Mädchenhäude, weiß wie Schwäne,
Und ließ von ihren Kleidern mich umflockcn. Mich machten all die dunkeln Augen eitel,
Die lieblich winkten, näher herzutrcten;
Dur Lorbeer grünte schon auf meinem Scheitel,
Und weiche Arme lockten den Poeten. Da scholl durchs Thal das Halloh wilder Treiber —
Ein Hauch des Mundes wurde zum Verräter;
Ich sah der Männer Wut, den Schmerz der Weiber,
Der Kinder letzten Blick zum Haus der Väter. Der sanfte Buchwald stöhnte vor Entsetzen,
Die Berge standen starr vor der Mißhandlung;
Ich riß die Fahne Cynthias zu Fetzen
In meines Herzens plötzlicher Umwandlung.
Von dieser Zeit an hat Gnus Muse ein neues Pathos: Haß gegen die
Klerisei, Forderung der geistigen Freiheit. Auch Gnus Stil ändert sich seit¬
dem; um ja nicht mißverstanden zu werden, hat er seitdem auch nur die rein
künstlerische Verwertung kirchlicher Bilder streng vermieden, und dieselbe Natur,
in die er früher ganze Meßopfer hineinschaute, die ihm an Christus zu glauben
schien, bekehrt sich nun zu einem andern Glauben, zu dem an die Freiheit, z. B.:
Mein ist der Wald, und mir sind unterthänig
Die freien Tannen und die stolzen Buchen
Und alle wilden Rosen! Ich bin König,
Doch nach mir wirds kein anderer versuchen. Denn heimlich hassen Blumen und die Bäume
Den Menschen, jedes stillen Glücks Zerstörer.
Wie hochverräterisch sind oft Lilienträume,
Wie stürmt in mancher Eiche der Empörer!
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