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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr.

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Hermann von Gilm.

Halters Freiherrn von Bach war --, da war er nur in seiner Heimat Tirol
(er war in Innsbruck am 1, November 1812 geboren) und etwa noch in Linz
selbst als Dichter bekannt. Er holte sieben Jahre (1847--1854) in Wien
gelebt, war aber hier mit den litterarischen Kreisen gar nicht in Berührung
gekommen. Als er sich endlich nach jahrelanger Unentschlossenheit daran machte,
die dichterischen Früchte seines von tiefen und vielfachen Leidenschaften bewegten
Lebens zu ordnen und für den Druck einzurichten, da war es schon zu spät. Er
konnte mit der Arbeit nicht fertig werden, da ihn der Tod nach langem Leiden
abrief. Hierauf erschienen zwar endlich seine Gedichte von der Hand eines
Freundes, Vincenz von Ehrhard, geordnet (Wien, Gerold, 1364--1865). Sie
ernteten auch sehr viel Anerkennung, sogar begeistertes Lob, aber sie gerieten
schnell wieder in Vergessenheit. Nur von den litterarisch gebildeten Landsleuten
in Tirol wurde in der Stille gelehrter Zeitschriften der Kultus seiner Lyrik
weiter gepflegt -- in Deutschland selbst ist sie ganz unbekannt geblieben, nicht
einmal Litteraturgeschichten haben ihrer Erwähnung gethan.

Man hat die Frage aufgeworfen, warum dies so geschehen sei? Und man
hat geantwortet, die letzten Jahrzehnte hätten überhaupt wenig Interesse für
Lyrik bekundet. Aber dem ist durchaus nicht so. Lyriker wie Geibel, Storni,
Lingg, Scheffel, Baumbach, Griesebach u. s. w. sind seit Gnus Abgange trotz
des kriegerisch bewegten Geistes der Zeiten emporgekommen, und jeder von
ihnen hat sein Publikum gefunden; nicht zu reden von der großen Verbreitung,
welche die älteren Lyriker durch neue billige Ausgaben gewonnen haben. Warum
blieb Gilm, der hinter keinem der genannten Lyriker zurückzustehen hat, so
verschollen, wie er es zuweilen persönlich bei Lebzeiten war? Man wies
auf die Schwächen der ersten Ausgabe von Gnus Gedichten hin; sie
enthielt sehr viele seiner Gelegenheitsgedichte, viel von seiner echt tirolisch-
loyalen politischen Lyrik, aber seine freigeistigen Gedichte waren von dem
frommen Herausgeber fast ganz zurückgehalten worden. Indes blieben doch
noch Perlen genug in der Sammlung. Vielleicht mag auch der Verlagsort
Wien ihrer Verbreitung nicht förderlich gewesen sein, wie es unsre Dichter ja
häufig schmerzlich erfahren haben. Aber schließlich kann auch dieser äußerliche
Umstand für Gnus Verschollenheit nicht entscheidend gewesen sein, dies konnte
nur ein innerer Grund sein.

Gilm geriet unter die Gruppe der sogenannten Vormärzler. Man zählte
ihn jenen Lyrikern zu, die ihre Begeisterung nur in der Politik, in der Be¬
kämpfung des Metternichschen Systems der Zensur, der Geistesbedrückung, der
Polizeiallmacht gefunden, die oft in der That statt der Poesie rhetorisches
Feuerwerk, gereimte Leitartikel geboten haben. Es ist nun kaum zu sagen,
wie schnell diese Lyriker in Vergessenheit gerieten. Es geschah gleichsam über
Nacht. Der tiefe Gegensatz, in dem sich das Deutschland der vierziger Jahre
schon zu dem Deutschland der sechziger Jahre befand, ist gar nicht auszumessen.


Hermann von Gilm.

Halters Freiherrn von Bach war —, da war er nur in seiner Heimat Tirol
(er war in Innsbruck am 1, November 1812 geboren) und etwa noch in Linz
selbst als Dichter bekannt. Er holte sieben Jahre (1847—1854) in Wien
gelebt, war aber hier mit den litterarischen Kreisen gar nicht in Berührung
gekommen. Als er sich endlich nach jahrelanger Unentschlossenheit daran machte,
die dichterischen Früchte seines von tiefen und vielfachen Leidenschaften bewegten
Lebens zu ordnen und für den Druck einzurichten, da war es schon zu spät. Er
konnte mit der Arbeit nicht fertig werden, da ihn der Tod nach langem Leiden
abrief. Hierauf erschienen zwar endlich seine Gedichte von der Hand eines
Freundes, Vincenz von Ehrhard, geordnet (Wien, Gerold, 1364—1865). Sie
ernteten auch sehr viel Anerkennung, sogar begeistertes Lob, aber sie gerieten
schnell wieder in Vergessenheit. Nur von den litterarisch gebildeten Landsleuten
in Tirol wurde in der Stille gelehrter Zeitschriften der Kultus seiner Lyrik
weiter gepflegt — in Deutschland selbst ist sie ganz unbekannt geblieben, nicht
einmal Litteraturgeschichten haben ihrer Erwähnung gethan.

Man hat die Frage aufgeworfen, warum dies so geschehen sei? Und man
hat geantwortet, die letzten Jahrzehnte hätten überhaupt wenig Interesse für
Lyrik bekundet. Aber dem ist durchaus nicht so. Lyriker wie Geibel, Storni,
Lingg, Scheffel, Baumbach, Griesebach u. s. w. sind seit Gnus Abgange trotz
des kriegerisch bewegten Geistes der Zeiten emporgekommen, und jeder von
ihnen hat sein Publikum gefunden; nicht zu reden von der großen Verbreitung,
welche die älteren Lyriker durch neue billige Ausgaben gewonnen haben. Warum
blieb Gilm, der hinter keinem der genannten Lyriker zurückzustehen hat, so
verschollen, wie er es zuweilen persönlich bei Lebzeiten war? Man wies
auf die Schwächen der ersten Ausgabe von Gnus Gedichten hin; sie
enthielt sehr viele seiner Gelegenheitsgedichte, viel von seiner echt tirolisch-
loyalen politischen Lyrik, aber seine freigeistigen Gedichte waren von dem
frommen Herausgeber fast ganz zurückgehalten worden. Indes blieben doch
noch Perlen genug in der Sammlung. Vielleicht mag auch der Verlagsort
Wien ihrer Verbreitung nicht förderlich gewesen sein, wie es unsre Dichter ja
häufig schmerzlich erfahren haben. Aber schließlich kann auch dieser äußerliche
Umstand für Gnus Verschollenheit nicht entscheidend gewesen sein, dies konnte
nur ein innerer Grund sein.

Gilm geriet unter die Gruppe der sogenannten Vormärzler. Man zählte
ihn jenen Lyrikern zu, die ihre Begeisterung nur in der Politik, in der Be¬
kämpfung des Metternichschen Systems der Zensur, der Geistesbedrückung, der
Polizeiallmacht gefunden, die oft in der That statt der Poesie rhetorisches
Feuerwerk, gereimte Leitartikel geboten haben. Es ist nun kaum zu sagen,
wie schnell diese Lyriker in Vergessenheit gerieten. Es geschah gleichsam über
Nacht. Der tiefe Gegensatz, in dem sich das Deutschland der vierziger Jahre
schon zu dem Deutschland der sechziger Jahre befand, ist gar nicht auszumessen.


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[0592] Hermann von Gilm. Halters Freiherrn von Bach war —, da war er nur in seiner Heimat Tirol (er war in Innsbruck am 1, November 1812 geboren) und etwa noch in Linz selbst als Dichter bekannt. Er holte sieben Jahre (1847—1854) in Wien gelebt, war aber hier mit den litterarischen Kreisen gar nicht in Berührung gekommen. Als er sich endlich nach jahrelanger Unentschlossenheit daran machte, die dichterischen Früchte seines von tiefen und vielfachen Leidenschaften bewegten Lebens zu ordnen und für den Druck einzurichten, da war es schon zu spät. Er konnte mit der Arbeit nicht fertig werden, da ihn der Tod nach langem Leiden abrief. Hierauf erschienen zwar endlich seine Gedichte von der Hand eines Freundes, Vincenz von Ehrhard, geordnet (Wien, Gerold, 1364—1865). Sie ernteten auch sehr viel Anerkennung, sogar begeistertes Lob, aber sie gerieten schnell wieder in Vergessenheit. Nur von den litterarisch gebildeten Landsleuten in Tirol wurde in der Stille gelehrter Zeitschriften der Kultus seiner Lyrik weiter gepflegt — in Deutschland selbst ist sie ganz unbekannt geblieben, nicht einmal Litteraturgeschichten haben ihrer Erwähnung gethan. Man hat die Frage aufgeworfen, warum dies so geschehen sei? Und man hat geantwortet, die letzten Jahrzehnte hätten überhaupt wenig Interesse für Lyrik bekundet. Aber dem ist durchaus nicht so. Lyriker wie Geibel, Storni, Lingg, Scheffel, Baumbach, Griesebach u. s. w. sind seit Gnus Abgange trotz des kriegerisch bewegten Geistes der Zeiten emporgekommen, und jeder von ihnen hat sein Publikum gefunden; nicht zu reden von der großen Verbreitung, welche die älteren Lyriker durch neue billige Ausgaben gewonnen haben. Warum blieb Gilm, der hinter keinem der genannten Lyriker zurückzustehen hat, so verschollen, wie er es zuweilen persönlich bei Lebzeiten war? Man wies auf die Schwächen der ersten Ausgabe von Gnus Gedichten hin; sie enthielt sehr viele seiner Gelegenheitsgedichte, viel von seiner echt tirolisch- loyalen politischen Lyrik, aber seine freigeistigen Gedichte waren von dem frommen Herausgeber fast ganz zurückgehalten worden. Indes blieben doch noch Perlen genug in der Sammlung. Vielleicht mag auch der Verlagsort Wien ihrer Verbreitung nicht förderlich gewesen sein, wie es unsre Dichter ja häufig schmerzlich erfahren haben. Aber schließlich kann auch dieser äußerliche Umstand für Gnus Verschollenheit nicht entscheidend gewesen sein, dies konnte nur ein innerer Grund sein. Gilm geriet unter die Gruppe der sogenannten Vormärzler. Man zählte ihn jenen Lyrikern zu, die ihre Begeisterung nur in der Politik, in der Be¬ kämpfung des Metternichschen Systems der Zensur, der Geistesbedrückung, der Polizeiallmacht gefunden, die oft in der That statt der Poesie rhetorisches Feuerwerk, gereimte Leitartikel geboten haben. Es ist nun kaum zu sagen, wie schnell diese Lyriker in Vergessenheit gerieten. Es geschah gleichsam über Nacht. Der tiefe Gegensatz, in dem sich das Deutschland der vierziger Jahre schon zu dem Deutschland der sechziger Jahre befand, ist gar nicht auszumessen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_203434/592>, abgerufen am 04.07.2024.