Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
!veihnachtsfest in einem Pfarrhause.

erlöschender Begeistrung für die Sache der Jugend, für die Hoffnungen der
Zukunft. Und Fritz hatte seine Hand auf die ihre gelegt und den Bund mit
ihnen geschlossen.

Aber daheim in seinem Pfarrhause ging der Pfarrer finster einher, er fing
an zu fühlen, daß er auch dort nicht mehr so sicher war, wie er geglaubt
hatte. Und Lise hatte eine Last auf ihrer Seele und wußte selber nicht, wie
sie sie tragen sollte. Sie wurde abwechselnd rot und blaß, sobald sie mit halb
bangem, halb sehnsuchtsvollen Blick verstohlen zum Vater hinüberschaute. Und
Fritz senkte unwillkürlich den Blick, wenn der Vater ihn ansah und Worte der
Verdammnis über die Gedanken aussprach, die seine Brust barg. Aber in
seinem Innern regte sich ein stiller Widerspruch, und er ärgerte sich über sich
selber, weil er ihm keine Worte lieh.

Der Pfarrer sah und verstand das alles, und seine Seele füllte sich mit
Groll und Trauer, und der Kummer nagte an seinem Herzen. Wandten sich
auch seine Kinder von ihm, um auf Irrwege zu geraten? Hätte er sich nur
zwischen sie setzen und alles mit ihnen besprechen können, hätte er seine Arme
um sie schlingen können und sie festhalten, wie die Mutter es gekonnt hatte,
das wäre eine wohlthuende Erleichterung gewesen. Aber das konnte er nicht.
Er wollte ja nur das Wahre und Rechte, und er hatte ein Recht, von den
andern zu verlangen, daß sie sich dem fügten. Darum betteln, das konnte er
nicht. Seine Seele war zermartert. Er mußte sich Luft machen, und dazu
verhalf ihm Otto Blein.

Er kam in das Pfarrhaus, erfüllt von Begeistrung und dem edeln Drange,
ihr Worte zu verleihen, wo und wann es sei, und er begab sich, ehe noch eine
Stunde verflossen war, wieder auf den Heimweg, mit dunkelrotem Gesicht,
verlegen und unglücklich.

Dieser Windbeutel! sagte der Pfarrer mit bebender Stimme. Der
soll mir nicht wieder über meine Schwelle kommen, und wer es mit ihm hält,
mit dem habe ich nichts mehr zu schaffen.

Fritz schlang den Arm um Lise und sandte seinem Vater zum erstenmal
einen herausfordernden Blick zu.

Vater! sagte er, und sein Antlitz war bleich, seine Stimme bebte, Lise
und ich, wir halten es beide mit Otto.

Da entfuhr dem Auge des Pfarrers ein Blitz, er wandte sich um und sah
seinen Sohn an, und in diesem Blick lag zu viel von der alten Gewalt, als
daß Fritz ihm hätte widerstehen können. Er beugte sein Haupt, über sein
Antlitz flog eine brennende Röte, und der Pfarrer verließ schweigend das
Zimmer, um sich in seiner Kammer einzuschließen. Lise aber lehnte den Kopf
an Fritzens Schulter und weinte.

Und fo begann für die drei das begeisterte Leben, das sie sich gelobt
hatten von nun an mit einander zu führen.

(Schluß folgt.)




!veihnachtsfest in einem Pfarrhause.

erlöschender Begeistrung für die Sache der Jugend, für die Hoffnungen der
Zukunft. Und Fritz hatte seine Hand auf die ihre gelegt und den Bund mit
ihnen geschlossen.

Aber daheim in seinem Pfarrhause ging der Pfarrer finster einher, er fing
an zu fühlen, daß er auch dort nicht mehr so sicher war, wie er geglaubt
hatte. Und Lise hatte eine Last auf ihrer Seele und wußte selber nicht, wie
sie sie tragen sollte. Sie wurde abwechselnd rot und blaß, sobald sie mit halb
bangem, halb sehnsuchtsvollen Blick verstohlen zum Vater hinüberschaute. Und
Fritz senkte unwillkürlich den Blick, wenn der Vater ihn ansah und Worte der
Verdammnis über die Gedanken aussprach, die seine Brust barg. Aber in
seinem Innern regte sich ein stiller Widerspruch, und er ärgerte sich über sich
selber, weil er ihm keine Worte lieh.

Der Pfarrer sah und verstand das alles, und seine Seele füllte sich mit
Groll und Trauer, und der Kummer nagte an seinem Herzen. Wandten sich
auch seine Kinder von ihm, um auf Irrwege zu geraten? Hätte er sich nur
zwischen sie setzen und alles mit ihnen besprechen können, hätte er seine Arme
um sie schlingen können und sie festhalten, wie die Mutter es gekonnt hatte,
das wäre eine wohlthuende Erleichterung gewesen. Aber das konnte er nicht.
Er wollte ja nur das Wahre und Rechte, und er hatte ein Recht, von den
andern zu verlangen, daß sie sich dem fügten. Darum betteln, das konnte er
nicht. Seine Seele war zermartert. Er mußte sich Luft machen, und dazu
verhalf ihm Otto Blein.

Er kam in das Pfarrhaus, erfüllt von Begeistrung und dem edeln Drange,
ihr Worte zu verleihen, wo und wann es sei, und er begab sich, ehe noch eine
Stunde verflossen war, wieder auf den Heimweg, mit dunkelrotem Gesicht,
verlegen und unglücklich.

Dieser Windbeutel! sagte der Pfarrer mit bebender Stimme. Der
soll mir nicht wieder über meine Schwelle kommen, und wer es mit ihm hält,
mit dem habe ich nichts mehr zu schaffen.

Fritz schlang den Arm um Lise und sandte seinem Vater zum erstenmal
einen herausfordernden Blick zu.

Vater! sagte er, und sein Antlitz war bleich, seine Stimme bebte, Lise
und ich, wir halten es beide mit Otto.

Da entfuhr dem Auge des Pfarrers ein Blitz, er wandte sich um und sah
seinen Sohn an, und in diesem Blick lag zu viel von der alten Gewalt, als
daß Fritz ihm hätte widerstehen können. Er beugte sein Haupt, über sein
Antlitz flog eine brennende Röte, und der Pfarrer verließ schweigend das
Zimmer, um sich in seiner Kammer einzuschließen. Lise aber lehnte den Kopf
an Fritzens Schulter und weinte.

Und fo begann für die drei das begeisterte Leben, das sie sich gelobt
hatten von nun an mit einander zu führen.

(Schluß folgt.)




<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0583" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/204018"/>
          <fw type="header" place="top"> !veihnachtsfest in einem Pfarrhause.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1518" prev="#ID_1517"> erlöschender Begeistrung für die Sache der Jugend, für die Hoffnungen der<lb/>
Zukunft. Und Fritz hatte seine Hand auf die ihre gelegt und den Bund mit<lb/>
ihnen geschlossen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1519"> Aber daheim in seinem Pfarrhause ging der Pfarrer finster einher, er fing<lb/>
an zu fühlen, daß er auch dort nicht mehr so sicher war, wie er geglaubt<lb/>
hatte. Und Lise hatte eine Last auf ihrer Seele und wußte selber nicht, wie<lb/>
sie sie tragen sollte. Sie wurde abwechselnd rot und blaß, sobald sie mit halb<lb/>
bangem, halb sehnsuchtsvollen Blick verstohlen zum Vater hinüberschaute. Und<lb/>
Fritz senkte unwillkürlich den Blick, wenn der Vater ihn ansah und Worte der<lb/>
Verdammnis über die Gedanken aussprach, die seine Brust barg. Aber in<lb/>
seinem Innern regte sich ein stiller Widerspruch, und er ärgerte sich über sich<lb/>
selber, weil er ihm keine Worte lieh.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1520"> Der Pfarrer sah und verstand das alles, und seine Seele füllte sich mit<lb/>
Groll und Trauer, und der Kummer nagte an seinem Herzen. Wandten sich<lb/>
auch seine Kinder von ihm, um auf Irrwege zu geraten? Hätte er sich nur<lb/>
zwischen sie setzen und alles mit ihnen besprechen können, hätte er seine Arme<lb/>
um sie schlingen können und sie festhalten, wie die Mutter es gekonnt hatte,<lb/>
das wäre eine wohlthuende Erleichterung gewesen. Aber das konnte er nicht.<lb/>
Er wollte ja nur das Wahre und Rechte, und er hatte ein Recht, von den<lb/>
andern zu verlangen, daß sie sich dem fügten. Darum betteln, das konnte er<lb/>
nicht. Seine Seele war zermartert. Er mußte sich Luft machen, und dazu<lb/>
verhalf ihm Otto Blein.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1521"> Er kam in das Pfarrhaus, erfüllt von Begeistrung und dem edeln Drange,<lb/>
ihr Worte zu verleihen, wo und wann es sei, und er begab sich, ehe noch eine<lb/>
Stunde verflossen war, wieder auf den Heimweg, mit dunkelrotem Gesicht,<lb/>
verlegen und unglücklich.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1522"> Dieser Windbeutel! sagte der Pfarrer mit bebender Stimme. Der<lb/>
soll mir nicht wieder über meine Schwelle kommen, und wer es mit ihm hält,<lb/>
mit dem habe ich nichts mehr zu schaffen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1523"> Fritz schlang den Arm um Lise und sandte seinem Vater zum erstenmal<lb/>
einen herausfordernden Blick zu.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1524"> Vater! sagte er, und sein Antlitz war bleich, seine Stimme bebte, Lise<lb/>
und ich, wir halten es beide mit Otto.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1525"> Da entfuhr dem Auge des Pfarrers ein Blitz, er wandte sich um und sah<lb/>
seinen Sohn an, und in diesem Blick lag zu viel von der alten Gewalt, als<lb/>
daß Fritz ihm hätte widerstehen können. Er beugte sein Haupt, über sein<lb/>
Antlitz flog eine brennende Röte, und der Pfarrer verließ schweigend das<lb/>
Zimmer, um sich in seiner Kammer einzuschließen. Lise aber lehnte den Kopf<lb/>
an Fritzens Schulter und weinte.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1526"> Und fo begann für die drei das begeisterte Leben, das sie sich gelobt<lb/>
hatten von nun an mit einander zu führen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1527"> (Schluß folgt.)</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0583] !veihnachtsfest in einem Pfarrhause. erlöschender Begeistrung für die Sache der Jugend, für die Hoffnungen der Zukunft. Und Fritz hatte seine Hand auf die ihre gelegt und den Bund mit ihnen geschlossen. Aber daheim in seinem Pfarrhause ging der Pfarrer finster einher, er fing an zu fühlen, daß er auch dort nicht mehr so sicher war, wie er geglaubt hatte. Und Lise hatte eine Last auf ihrer Seele und wußte selber nicht, wie sie sie tragen sollte. Sie wurde abwechselnd rot und blaß, sobald sie mit halb bangem, halb sehnsuchtsvollen Blick verstohlen zum Vater hinüberschaute. Und Fritz senkte unwillkürlich den Blick, wenn der Vater ihn ansah und Worte der Verdammnis über die Gedanken aussprach, die seine Brust barg. Aber in seinem Innern regte sich ein stiller Widerspruch, und er ärgerte sich über sich selber, weil er ihm keine Worte lieh. Der Pfarrer sah und verstand das alles, und seine Seele füllte sich mit Groll und Trauer, und der Kummer nagte an seinem Herzen. Wandten sich auch seine Kinder von ihm, um auf Irrwege zu geraten? Hätte er sich nur zwischen sie setzen und alles mit ihnen besprechen können, hätte er seine Arme um sie schlingen können und sie festhalten, wie die Mutter es gekonnt hatte, das wäre eine wohlthuende Erleichterung gewesen. Aber das konnte er nicht. Er wollte ja nur das Wahre und Rechte, und er hatte ein Recht, von den andern zu verlangen, daß sie sich dem fügten. Darum betteln, das konnte er nicht. Seine Seele war zermartert. Er mußte sich Luft machen, und dazu verhalf ihm Otto Blein. Er kam in das Pfarrhaus, erfüllt von Begeistrung und dem edeln Drange, ihr Worte zu verleihen, wo und wann es sei, und er begab sich, ehe noch eine Stunde verflossen war, wieder auf den Heimweg, mit dunkelrotem Gesicht, verlegen und unglücklich. Dieser Windbeutel! sagte der Pfarrer mit bebender Stimme. Der soll mir nicht wieder über meine Schwelle kommen, und wer es mit ihm hält, mit dem habe ich nichts mehr zu schaffen. Fritz schlang den Arm um Lise und sandte seinem Vater zum erstenmal einen herausfordernden Blick zu. Vater! sagte er, und sein Antlitz war bleich, seine Stimme bebte, Lise und ich, wir halten es beide mit Otto. Da entfuhr dem Auge des Pfarrers ein Blitz, er wandte sich um und sah seinen Sohn an, und in diesem Blick lag zu viel von der alten Gewalt, als daß Fritz ihm hätte widerstehen können. Er beugte sein Haupt, über sein Antlitz flog eine brennende Röte, und der Pfarrer verließ schweigend das Zimmer, um sich in seiner Kammer einzuschließen. Lise aber lehnte den Kopf an Fritzens Schulter und weinte. Und fo begann für die drei das begeisterte Leben, das sie sich gelobt hatten von nun an mit einander zu führen. (Schluß folgt.)

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_203434
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_203434/583
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_203434/583>, abgerufen am 30.06.2024.