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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr.

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Unsre Zeit im Spiegel ihrer Kunst.

die unsre eben ausgesprochenen Erwartungen rechtfertigen. Aber bestellte Kunst
hat leicht etwas Absichtliches. Erdachtes statt des Frcierfundenen, Gcnialge-
schaffencn. Sie ist mehr Illustration zu einem gegebenen Stoffe, als eigne
Dichtung nach freier Eingebung, mehr Arbeitsleistung als Kunstwerk. Nur
dann wird der Künstler dieser Gefahr entgehen, wenn er durch den Auftrag
nicht in eine Sphäre versetzt wird, die seinen sonstigen künstlerischen Konzep¬
tionen fern liegt, wenn er Historienmaler von Beruf, nicht auf Bestellung ist.

Es ist ein wohl nicht zufälliges Zusammentreffen mit der gegen die ein¬
seitige klassische Schulbildung gerichteten Bewegung, daß die antike Geschichte
von der Kunst unsrer Tage keinerlei Pflege findet. Mit der Kräftigung und
Vertiefung unsers deutsch-christlichen Bcwußseins nimmt Verständnis und Inter¬
esse für das vorchristliche Altertum, soweit es nicht in Dichtung und Philo¬
sophie Unvergängliches geschaffen hat, ab. Hildebrands Tullia ist nicht Historie,
sondern unwahre, wenn auch farbenprächtige Phantasie des Unmenschlichen;
und Liskas dem Kaiser Maximian erscheinende Märtyrer sind Gespensterspuk,
der den einen gruseln macht, den andern lächeln, aber eine künstlerische Wir¬
kung nicht erzielen kann. Über der Darstellung von Alexanders Tod, eines
Stoffes, der ebenso durch seine erschütternde Tragik wie durch seine welt¬
geschichtliche Bedeutung über den Nahmen der antiken Geschichte hinausragt, ist
dem großen Historienmaler der Periode der Farben, der Kostüme und der
Pose, Piloty, der Pinsel aus den vom Tode erfaßten Händen gefallen.

Aber auch das Mittelalter war in München nur mit Bildern vertreten,
die wir schon von frühern Jahren kennen. Lindenschmidts Einzug Alarichs in
Rom, wobei die jugendlich frischen, unverdorbenen germanischen Gestalten die
höchste, reinste Frucht der unter ihrem Fußtritt zusammenstürzenden alten,
durch ihre Träger als abgelebt und kraftlos trefflich charakterisirten Welt, die
Heiligtümer des christlichen Glaubens, in ihren Schutz nehmen, ist leider nicht
befriedigend in der technischen Ausführung. Hermann Kaulbachs Krönung der
heiligen Elisabeth dnrch Kaiser Friedrich ist trotz manches köstlichen Zuges im
nnzelucu und trotz malerischer Vorzüge doch als Ganzes zu steif feierlich, im
Stoffe zu sehr eine Verherrlichung mittelalterlicher Romantik; es spricht nicht
die Sprache unsrer thatenfrohen und realistischen Zeit, sondern vcrklungener
Tage süß verschwommenen Klang, der das Herz nicht packt. Nicht weniger als
fünfmal ist die heilige Elisabeth noch vertreten, deren Abschied von ihren Kilt.
dern beim Eintritt ins Kloster uus O. Friedrich schon im letzten Jahre er¬
greifend, wenn auch ohne der herbe" Thatsache durch Schilderung der idealen
Seite mittelalterlicher Frömmigkeit etwas versöhnendes zu geben, gemalt hatte:
einmal vom süßen Zauber der Romantik umflossen als lebendige Statue in
einer Mauernische gemalt, von Engeln angebetet, im Augenblick des Rosen¬
wunders (Luise Max-Ehrlcr), dann als wirkliche Statue in GyPs (Scnyei),
"is Statuette in Silber (Se. Schwach), daneben im kalkfarbigsten Freilicht


Unsre Zeit im Spiegel ihrer Kunst.

die unsre eben ausgesprochenen Erwartungen rechtfertigen. Aber bestellte Kunst
hat leicht etwas Absichtliches. Erdachtes statt des Frcierfundenen, Gcnialge-
schaffencn. Sie ist mehr Illustration zu einem gegebenen Stoffe, als eigne
Dichtung nach freier Eingebung, mehr Arbeitsleistung als Kunstwerk. Nur
dann wird der Künstler dieser Gefahr entgehen, wenn er durch den Auftrag
nicht in eine Sphäre versetzt wird, die seinen sonstigen künstlerischen Konzep¬
tionen fern liegt, wenn er Historienmaler von Beruf, nicht auf Bestellung ist.

Es ist ein wohl nicht zufälliges Zusammentreffen mit der gegen die ein¬
seitige klassische Schulbildung gerichteten Bewegung, daß die antike Geschichte
von der Kunst unsrer Tage keinerlei Pflege findet. Mit der Kräftigung und
Vertiefung unsers deutsch-christlichen Bcwußseins nimmt Verständnis und Inter¬
esse für das vorchristliche Altertum, soweit es nicht in Dichtung und Philo¬
sophie Unvergängliches geschaffen hat, ab. Hildebrands Tullia ist nicht Historie,
sondern unwahre, wenn auch farbenprächtige Phantasie des Unmenschlichen;
und Liskas dem Kaiser Maximian erscheinende Märtyrer sind Gespensterspuk,
der den einen gruseln macht, den andern lächeln, aber eine künstlerische Wir¬
kung nicht erzielen kann. Über der Darstellung von Alexanders Tod, eines
Stoffes, der ebenso durch seine erschütternde Tragik wie durch seine welt¬
geschichtliche Bedeutung über den Nahmen der antiken Geschichte hinausragt, ist
dem großen Historienmaler der Periode der Farben, der Kostüme und der
Pose, Piloty, der Pinsel aus den vom Tode erfaßten Händen gefallen.

Aber auch das Mittelalter war in München nur mit Bildern vertreten,
die wir schon von frühern Jahren kennen. Lindenschmidts Einzug Alarichs in
Rom, wobei die jugendlich frischen, unverdorbenen germanischen Gestalten die
höchste, reinste Frucht der unter ihrem Fußtritt zusammenstürzenden alten,
durch ihre Träger als abgelebt und kraftlos trefflich charakterisirten Welt, die
Heiligtümer des christlichen Glaubens, in ihren Schutz nehmen, ist leider nicht
befriedigend in der technischen Ausführung. Hermann Kaulbachs Krönung der
heiligen Elisabeth dnrch Kaiser Friedrich ist trotz manches köstlichen Zuges im
nnzelucu und trotz malerischer Vorzüge doch als Ganzes zu steif feierlich, im
Stoffe zu sehr eine Verherrlichung mittelalterlicher Romantik; es spricht nicht
die Sprache unsrer thatenfrohen und realistischen Zeit, sondern vcrklungener
Tage süß verschwommenen Klang, der das Herz nicht packt. Nicht weniger als
fünfmal ist die heilige Elisabeth noch vertreten, deren Abschied von ihren Kilt.
dern beim Eintritt ins Kloster uus O. Friedrich schon im letzten Jahre er¬
greifend, wenn auch ohne der herbe» Thatsache durch Schilderung der idealen
Seite mittelalterlicher Frömmigkeit etwas versöhnendes zu geben, gemalt hatte:
einmal vom süßen Zauber der Romantik umflossen als lebendige Statue in
einer Mauernische gemalt, von Engeln angebetet, im Augenblick des Rosen¬
wunders (Luise Max-Ehrlcr), dann als wirkliche Statue in GyPs (Scnyei),
«is Statuette in Silber (Se. Schwach), daneben im kalkfarbigsten Freilicht


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[0567] Unsre Zeit im Spiegel ihrer Kunst. die unsre eben ausgesprochenen Erwartungen rechtfertigen. Aber bestellte Kunst hat leicht etwas Absichtliches. Erdachtes statt des Frcierfundenen, Gcnialge- schaffencn. Sie ist mehr Illustration zu einem gegebenen Stoffe, als eigne Dichtung nach freier Eingebung, mehr Arbeitsleistung als Kunstwerk. Nur dann wird der Künstler dieser Gefahr entgehen, wenn er durch den Auftrag nicht in eine Sphäre versetzt wird, die seinen sonstigen künstlerischen Konzep¬ tionen fern liegt, wenn er Historienmaler von Beruf, nicht auf Bestellung ist. Es ist ein wohl nicht zufälliges Zusammentreffen mit der gegen die ein¬ seitige klassische Schulbildung gerichteten Bewegung, daß die antike Geschichte von der Kunst unsrer Tage keinerlei Pflege findet. Mit der Kräftigung und Vertiefung unsers deutsch-christlichen Bcwußseins nimmt Verständnis und Inter¬ esse für das vorchristliche Altertum, soweit es nicht in Dichtung und Philo¬ sophie Unvergängliches geschaffen hat, ab. Hildebrands Tullia ist nicht Historie, sondern unwahre, wenn auch farbenprächtige Phantasie des Unmenschlichen; und Liskas dem Kaiser Maximian erscheinende Märtyrer sind Gespensterspuk, der den einen gruseln macht, den andern lächeln, aber eine künstlerische Wir¬ kung nicht erzielen kann. Über der Darstellung von Alexanders Tod, eines Stoffes, der ebenso durch seine erschütternde Tragik wie durch seine welt¬ geschichtliche Bedeutung über den Nahmen der antiken Geschichte hinausragt, ist dem großen Historienmaler der Periode der Farben, der Kostüme und der Pose, Piloty, der Pinsel aus den vom Tode erfaßten Händen gefallen. Aber auch das Mittelalter war in München nur mit Bildern vertreten, die wir schon von frühern Jahren kennen. Lindenschmidts Einzug Alarichs in Rom, wobei die jugendlich frischen, unverdorbenen germanischen Gestalten die höchste, reinste Frucht der unter ihrem Fußtritt zusammenstürzenden alten, durch ihre Träger als abgelebt und kraftlos trefflich charakterisirten Welt, die Heiligtümer des christlichen Glaubens, in ihren Schutz nehmen, ist leider nicht befriedigend in der technischen Ausführung. Hermann Kaulbachs Krönung der heiligen Elisabeth dnrch Kaiser Friedrich ist trotz manches köstlichen Zuges im nnzelucu und trotz malerischer Vorzüge doch als Ganzes zu steif feierlich, im Stoffe zu sehr eine Verherrlichung mittelalterlicher Romantik; es spricht nicht die Sprache unsrer thatenfrohen und realistischen Zeit, sondern vcrklungener Tage süß verschwommenen Klang, der das Herz nicht packt. Nicht weniger als fünfmal ist die heilige Elisabeth noch vertreten, deren Abschied von ihren Kilt. dern beim Eintritt ins Kloster uus O. Friedrich schon im letzten Jahre er¬ greifend, wenn auch ohne der herbe» Thatsache durch Schilderung der idealen Seite mittelalterlicher Frömmigkeit etwas versöhnendes zu geben, gemalt hatte: einmal vom süßen Zauber der Romantik umflossen als lebendige Statue in einer Mauernische gemalt, von Engeln angebetet, im Augenblick des Rosen¬ wunders (Luise Max-Ehrlcr), dann als wirkliche Statue in GyPs (Scnyei), «is Statuette in Silber (Se. Schwach), daneben im kalkfarbigsten Freilicht

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_203434/567>, abgerufen am 24.08.2024.