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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr.

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Halle in der Litteratur.

der ersten Dämmerung klagte. Aber so viel ergiebt sich doch aus diesen und
ähnlichen Klagen, daß dies erste Zusammenschließen der Gleichgesinnten, Gleich-
bestrebten Anziehungskraft gehabt und Befriedigung erweckt haben muß.

Unmittelbar nach dem siebenjährigen Kriege treten poetische Bestrebungen,
soweit sie an Halle geknüpft sind, wieder etwas in den Hintergrund; die
Sturm- und Drangperiode, die so verschiedenartige Gesichter und entgegengesetzte
Erscheinungen zeigte, bedeutete für Halle einen stürmischen Aufschwung des
Rationalismus, wobei dem ehrwürdigen Vater desselben, dem frommen und
milden Semler, wohl bange und manchmal himmelangst werden mochte. Zuerst
machte sich eine unbedingte und frivole Weltlichkeit in der Erscheinung von
Christian Adolf Klotz geltend, der in den sechziger Jahren des achtzehnten
Jahrhunderts seine große Rolle an der Hallischen Universität spielte. Ju dem
Abschnitt "Klotz und die Klotzicmer" hat Kawerau sehr ergötzlich und lebendig
das wunderliche Treiben dieses von Lessing moralisch vernichteten Philologen-
bclletristen und seines Schweifes schlechter und cmmaßlicher Skribenten vor
uns heraufbeschworen. Zur Beschämung der Gegenwart erkennen wir, daß der
eitle, oberflächliche und ränkevolle Klotz bei alledem ein Heros an Gelehrsam¬
keit im Vergleich zu seinen heutigen Nachkommen gewesen ist. Er war eben
ein Streber im schlimmsten Sinne des Wortes, nie nahm er mit vollem Herz¬
schlag teil an dem, was die Zeit und die Geister bewegte. Alles galt immer
nur dem eignen kleinen Ich, so daß schließlich sein gesamtes schriftstellerisches
Wirken nur noch aus dem Boden des nacktesten Egoismus emporwuchs. Ju
diesem Spiegel mögen sich unzählige der litterarischen Talente von heute wieder¬
erkennen, Stümper und Kabalenmacher, die leider sicher genug sind, daß ihnen
kein Lessing entgegentreten wird. Die interessanteste Partie in der Erzählung
von Klotzens Fahrten, Schicksalen und Abenteuern ist die vom Auseinander-
ftäubeu der mit so vielen Schweißtropfen zusammengekehrten Klique. Denn
nach Lessings gewaltigem Strafgerichte "boten gerade die allernächsten Freunde
des Gestürzten der Welt ein Schauspiel zum Erbarmen. Feige drückten sich
die einen leise von diniren, andre fielen ganz offen ab, ja der schäbige Professor
Hausen war gar gesinnungslos genug, gleich nach Klotzens Tode eine wahre
Schandschrift als Biographie seines Freundes auszubieten und darin mit
cynischen Behagen die ganze Gemeinheit der Sippe zu enthüllen." Nur zwei
Poetische Naturen, mittelmäßige Poeten, aber doch poetische Naturen, der
Laublinger Lange und Georg Jacobi, fanden es unter ihrer Würde, ihre
Freundschaft für Klotz zu verleugnen. Im Augenblick ist ihnen das sicherlich
gewaltig verdacht worden, der Parteigeist auch der guten Partei ist ja stets
unbillig und unduldsam, aber in der Erinnerung wirkt Kaweraus Bericht
darüber wohlthätig, und man hat die Empfindung, daß es selbst in dem immer
skandalfrohen Publikum Leute genug gab, die das Verhalten der dankbareren
Naturen billigten. Wenn Klotz durch seine Art und Weise, zu sein, die Moralischen


Grenzboten IV. 1883. 70
Halle in der Litteratur.

der ersten Dämmerung klagte. Aber so viel ergiebt sich doch aus diesen und
ähnlichen Klagen, daß dies erste Zusammenschließen der Gleichgesinnten, Gleich-
bestrebten Anziehungskraft gehabt und Befriedigung erweckt haben muß.

Unmittelbar nach dem siebenjährigen Kriege treten poetische Bestrebungen,
soweit sie an Halle geknüpft sind, wieder etwas in den Hintergrund; die
Sturm- und Drangperiode, die so verschiedenartige Gesichter und entgegengesetzte
Erscheinungen zeigte, bedeutete für Halle einen stürmischen Aufschwung des
Rationalismus, wobei dem ehrwürdigen Vater desselben, dem frommen und
milden Semler, wohl bange und manchmal himmelangst werden mochte. Zuerst
machte sich eine unbedingte und frivole Weltlichkeit in der Erscheinung von
Christian Adolf Klotz geltend, der in den sechziger Jahren des achtzehnten
Jahrhunderts seine große Rolle an der Hallischen Universität spielte. Ju dem
Abschnitt „Klotz und die Klotzicmer" hat Kawerau sehr ergötzlich und lebendig
das wunderliche Treiben dieses von Lessing moralisch vernichteten Philologen-
bclletristen und seines Schweifes schlechter und cmmaßlicher Skribenten vor
uns heraufbeschworen. Zur Beschämung der Gegenwart erkennen wir, daß der
eitle, oberflächliche und ränkevolle Klotz bei alledem ein Heros an Gelehrsam¬
keit im Vergleich zu seinen heutigen Nachkommen gewesen ist. Er war eben
ein Streber im schlimmsten Sinne des Wortes, nie nahm er mit vollem Herz¬
schlag teil an dem, was die Zeit und die Geister bewegte. Alles galt immer
nur dem eignen kleinen Ich, so daß schließlich sein gesamtes schriftstellerisches
Wirken nur noch aus dem Boden des nacktesten Egoismus emporwuchs. Ju
diesem Spiegel mögen sich unzählige der litterarischen Talente von heute wieder¬
erkennen, Stümper und Kabalenmacher, die leider sicher genug sind, daß ihnen
kein Lessing entgegentreten wird. Die interessanteste Partie in der Erzählung
von Klotzens Fahrten, Schicksalen und Abenteuern ist die vom Auseinander-
ftäubeu der mit so vielen Schweißtropfen zusammengekehrten Klique. Denn
nach Lessings gewaltigem Strafgerichte „boten gerade die allernächsten Freunde
des Gestürzten der Welt ein Schauspiel zum Erbarmen. Feige drückten sich
die einen leise von diniren, andre fielen ganz offen ab, ja der schäbige Professor
Hausen war gar gesinnungslos genug, gleich nach Klotzens Tode eine wahre
Schandschrift als Biographie seines Freundes auszubieten und darin mit
cynischen Behagen die ganze Gemeinheit der Sippe zu enthüllen." Nur zwei
Poetische Naturen, mittelmäßige Poeten, aber doch poetische Naturen, der
Laublinger Lange und Georg Jacobi, fanden es unter ihrer Würde, ihre
Freundschaft für Klotz zu verleugnen. Im Augenblick ist ihnen das sicherlich
gewaltig verdacht worden, der Parteigeist auch der guten Partei ist ja stets
unbillig und unduldsam, aber in der Erinnerung wirkt Kaweraus Bericht
darüber wohlthätig, und man hat die Empfindung, daß es selbst in dem immer
skandalfrohen Publikum Leute genug gab, die das Verhalten der dankbareren
Naturen billigten. Wenn Klotz durch seine Art und Weise, zu sein, die Moralischen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_203434/561>, abgerufen am 22.07.2024.