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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr.

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Die Heiligen von Lecco.

Hügel um Lecco bestanden sind. Was konnte man also in einer Höhe gewär¬
tigen, die weit über die Grenze des Weinstocks hinaus liegt? Unwillkürlich
war ein Getränk wie das zu erwarten, das selbst die Eseltreiber auf der
Spitze des Monte Cavo zu verschmähen pflegen. Wie angenehm war die Ent¬
täuschung, als der ehrwürdige Bruder Pförtner eine Flasche einfachen, leichten,
aber vortrefflichen Weines herbeibrachte, der schon durch seine Farbe (es war
ein sogenannter Schleier oder Schiller) verriet, daß er nichts mit dem üblichen
Landesprodukt zu thun hatte. Die Erklärung ist sehr einfach: die klugen
Mönche lassen sich die Trauben von unten heraufbringen und keltern sie selbst.

San Ginnesio leidet an einer Schwierigkeit, die das Gegenteil der Eigen¬
tümlichkeit bildet, die den heiligen Girolamo Miami auszeichnet: man hat
nämlich unter den Heiligen des 25. August -- denn dies ist sein Tag und
nicht der 27., wie im Kloster gesagt wird -- die Auswahl zwischen einem
Genesius aus Arles, dessen Leben der heilige Paulinus (Bischof von Nola im
Anfange des fünften Jahrhunderts) erzählt hat und einem Römer desselben
Namens. Der Provenyale war Gerichtsschreiber und fühlte die Neigung zum
Christen- und Märthrertum in sich erwachen, als er den Befehl zu einer
grausamen Verfolgung der Christen Protokolliren sollte. Er warf dem Richter
die Wachstafeln vor die Füße, entfloh und wollte sich insgeheim taufen lassen.
Der Priester, den er darum bat, trug wegen des jugendlichen Alters des Bitt¬
stellers Bedenken, ihn zu taufen und erteilte ihm den praktischen Rat, sich
lieber gleich kurzer Hand der Vluttcmfe des Märtyrertums zu unterziehen.
Genesius floh weiter, schwamm durch die Rhone und erlitt, nachdem er in
wunderbarer Weise das jenseitige Ufer erreicht hatte, den Märtyrertod durch das
Schwert.

Sehr viel interessanter ist die Leidensgeschichte des zweiten Genesius. Er
war ein Schauspieler zur Zeit des Diocletian und hatte die "Mysterien" der
Christen genau studirt, um dem Kaiser durch die Nachäffung derselben auf der
Bühne einen Spaß zu machen. Als aber seine Truppe die Darstellung vor¬
nahm, erschien ihm bei der Nachahmung der Taufe ein Engel und bekehrte
ihn, worauf ihn dann der Kaiser lange grausam foltern und endlich hinrichten
ließ. Daß die Mönche im San Ginnesio aus Diocletian Nero machen, braucht
nicht Wunder zu nehmen, da nun einmal Nero zur überlieferungsmäßigen
Personification des gottlosen Cäsarismus geworden ist.




Grenzboten IV. 1888.
Die Heiligen von Lecco.

Hügel um Lecco bestanden sind. Was konnte man also in einer Höhe gewär¬
tigen, die weit über die Grenze des Weinstocks hinaus liegt? Unwillkürlich
war ein Getränk wie das zu erwarten, das selbst die Eseltreiber auf der
Spitze des Monte Cavo zu verschmähen pflegen. Wie angenehm war die Ent¬
täuschung, als der ehrwürdige Bruder Pförtner eine Flasche einfachen, leichten,
aber vortrefflichen Weines herbeibrachte, der schon durch seine Farbe (es war
ein sogenannter Schleier oder Schiller) verriet, daß er nichts mit dem üblichen
Landesprodukt zu thun hatte. Die Erklärung ist sehr einfach: die klugen
Mönche lassen sich die Trauben von unten heraufbringen und keltern sie selbst.

San Ginnesio leidet an einer Schwierigkeit, die das Gegenteil der Eigen¬
tümlichkeit bildet, die den heiligen Girolamo Miami auszeichnet: man hat
nämlich unter den Heiligen des 25. August — denn dies ist sein Tag und
nicht der 27., wie im Kloster gesagt wird — die Auswahl zwischen einem
Genesius aus Arles, dessen Leben der heilige Paulinus (Bischof von Nola im
Anfange des fünften Jahrhunderts) erzählt hat und einem Römer desselben
Namens. Der Provenyale war Gerichtsschreiber und fühlte die Neigung zum
Christen- und Märthrertum in sich erwachen, als er den Befehl zu einer
grausamen Verfolgung der Christen Protokolliren sollte. Er warf dem Richter
die Wachstafeln vor die Füße, entfloh und wollte sich insgeheim taufen lassen.
Der Priester, den er darum bat, trug wegen des jugendlichen Alters des Bitt¬
stellers Bedenken, ihn zu taufen und erteilte ihm den praktischen Rat, sich
lieber gleich kurzer Hand der Vluttcmfe des Märtyrertums zu unterziehen.
Genesius floh weiter, schwamm durch die Rhone und erlitt, nachdem er in
wunderbarer Weise das jenseitige Ufer erreicht hatte, den Märtyrertod durch das
Schwert.

Sehr viel interessanter ist die Leidensgeschichte des zweiten Genesius. Er
war ein Schauspieler zur Zeit des Diocletian und hatte die „Mysterien" der
Christen genau studirt, um dem Kaiser durch die Nachäffung derselben auf der
Bühne einen Spaß zu machen. Als aber seine Truppe die Darstellung vor¬
nahm, erschien ihm bei der Nachahmung der Taufe ein Engel und bekehrte
ihn, worauf ihn dann der Kaiser lange grausam foltern und endlich hinrichten
ließ. Daß die Mönche im San Ginnesio aus Diocletian Nero machen, braucht
nicht Wunder zu nehmen, da nun einmal Nero zur überlieferungsmäßigen
Personification des gottlosen Cäsarismus geworden ist.




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[0529] Die Heiligen von Lecco. Hügel um Lecco bestanden sind. Was konnte man also in einer Höhe gewär¬ tigen, die weit über die Grenze des Weinstocks hinaus liegt? Unwillkürlich war ein Getränk wie das zu erwarten, das selbst die Eseltreiber auf der Spitze des Monte Cavo zu verschmähen pflegen. Wie angenehm war die Ent¬ täuschung, als der ehrwürdige Bruder Pförtner eine Flasche einfachen, leichten, aber vortrefflichen Weines herbeibrachte, der schon durch seine Farbe (es war ein sogenannter Schleier oder Schiller) verriet, daß er nichts mit dem üblichen Landesprodukt zu thun hatte. Die Erklärung ist sehr einfach: die klugen Mönche lassen sich die Trauben von unten heraufbringen und keltern sie selbst. San Ginnesio leidet an einer Schwierigkeit, die das Gegenteil der Eigen¬ tümlichkeit bildet, die den heiligen Girolamo Miami auszeichnet: man hat nämlich unter den Heiligen des 25. August — denn dies ist sein Tag und nicht der 27., wie im Kloster gesagt wird — die Auswahl zwischen einem Genesius aus Arles, dessen Leben der heilige Paulinus (Bischof von Nola im Anfange des fünften Jahrhunderts) erzählt hat und einem Römer desselben Namens. Der Provenyale war Gerichtsschreiber und fühlte die Neigung zum Christen- und Märthrertum in sich erwachen, als er den Befehl zu einer grausamen Verfolgung der Christen Protokolliren sollte. Er warf dem Richter die Wachstafeln vor die Füße, entfloh und wollte sich insgeheim taufen lassen. Der Priester, den er darum bat, trug wegen des jugendlichen Alters des Bitt¬ stellers Bedenken, ihn zu taufen und erteilte ihm den praktischen Rat, sich lieber gleich kurzer Hand der Vluttcmfe des Märtyrertums zu unterziehen. Genesius floh weiter, schwamm durch die Rhone und erlitt, nachdem er in wunderbarer Weise das jenseitige Ufer erreicht hatte, den Märtyrertod durch das Schwert. Sehr viel interessanter ist die Leidensgeschichte des zweiten Genesius. Er war ein Schauspieler zur Zeit des Diocletian und hatte die „Mysterien" der Christen genau studirt, um dem Kaiser durch die Nachäffung derselben auf der Bühne einen Spaß zu machen. Als aber seine Truppe die Darstellung vor¬ nahm, erschien ihm bei der Nachahmung der Taufe ein Engel und bekehrte ihn, worauf ihn dann der Kaiser lange grausam foltern und endlich hinrichten ließ. Daß die Mönche im San Ginnesio aus Diocletian Nero machen, braucht nicht Wunder zu nehmen, da nun einmal Nero zur überlieferungsmäßigen Personification des gottlosen Cäsarismus geworden ist. Grenzboten IV. 1888.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_203434/529>, abgerufen am 24.08.2024.