Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr.Streifzüge durch die französische Litteratur der Gegenwart. haben ^- sagt Faquet -- einen nichtswürdigen Hang zur brutalen Litteratur. Diese letzte Bemerkung ist sehr richtig. Restif de la Bretonne wird kaum Auch Zola und seine einseitigen Anhänger wird dasselbe Schicksal treffen, Dieses Urteil wird nicht im geringsten durch Zolas soeben erschienenen Es ist unglaublich: nachdem Zola diese Richtung lächerlich gemacht, schreibt Angvliqne, die Heldin, ist ein Findelkind. Bei einem rohen Lohgerber in *) Zola brüstet sich wiederholt mit seiner kritischen Gewandheit und Stärke; aber gerade
die vornehmste Eigenschaft, über die ein Kritiker verfügen muß, das vielseitige Wissen und die Kenntnis fremder Litteraturen, fehlt ihm vollständig. In einem Gedicht von Victor Hugo findet er den Namen Niebuhr, und verwundert ruft er aus: MsvuKr? Hu' sse-of pus Aiodulir? On <ze>1ni-öl ovlni-ol Fisbudr? Hus I'on Awvns xrornxtomsnt, (moi<zu'un "mi von- Qiüsss Modubr! Streifzüge durch die französische Litteratur der Gegenwart. haben ^- sagt Faquet — einen nichtswürdigen Hang zur brutalen Litteratur. Diese letzte Bemerkung ist sehr richtig. Restif de la Bretonne wird kaum Auch Zola und seine einseitigen Anhänger wird dasselbe Schicksal treffen, Dieses Urteil wird nicht im geringsten durch Zolas soeben erschienenen Es ist unglaublich: nachdem Zola diese Richtung lächerlich gemacht, schreibt Angvliqne, die Heldin, ist ein Findelkind. Bei einem rohen Lohgerber in *) Zola brüstet sich wiederholt mit seiner kritischen Gewandheit und Stärke; aber gerade
die vornehmste Eigenschaft, über die ein Kritiker verfügen muß, das vielseitige Wissen und die Kenntnis fremder Litteraturen, fehlt ihm vollständig. In einem Gedicht von Victor Hugo findet er den Namen Niebuhr, und verwundert ruft er aus: MsvuKr? Hu' sse-of pus Aiodulir? On <ze>1ni-öl ovlni-ol Fisbudr? Hus I'on Awvns xrornxtomsnt, (moi<zu'un «mi von- Qiüsss Modubr! <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0516" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/203951"/> <fw type="header" place="top"> Streifzüge durch die französische Litteratur der Gegenwart.</fw><lb/> <p xml:id="ID_1324" prev="#ID_1323"> haben ^- sagt Faquet — einen nichtswürdigen Hang zur brutalen Litteratur.<lb/> Wir lieben die Gewaltthätigkeiten, Übertreibungen und Rohheiten in unsern<lb/> Schriftstellern, weil wir von Natur die friedlichsten Menschen (?) sind; es<lb/> ergötzt uns, Geschichten über wahnsinnige und entsetzliche Leidenschaften zu lesen,<lb/> weil wir selbst nur oberflächliche Leidenschaften (!) haben. Ro8 Mtsurs —<lb/> fährt er fort — <M non8 oonmÜWSnt exxloitsnt es trg.voi'8 3, tour xroüt.<lb/> Kais it ost ^usts ä'g,Mit,6r c^us nous n<z kaisou« g.ux soriv^ius <lui ussut 60<lb/> vstto g.ärss8ö, eins ach 8uev68 trof xsu ÄurablLs. (a. a. O. S. 451).</p><lb/> <p xml:id="ID_1325"> Diese letzte Bemerkung ist sehr richtig. Restif de la Bretonne wird kaum<lb/> mehr genannt; sein Roman 1^ xg.78g.iML xervortis ist vielleicht die einzige<lb/> Erinnerung an ihn, Bornhak erwähnt ihn in seiner sonst ziemlich ausführlichen<lb/> Litteraturgeschichte garnicht einmal.</p><lb/> <p xml:id="ID_1326"> Auch Zola und seine einseitigen Anhänger wird dasselbe Schicksal treffen,<lb/> denn der Naturalismus bildet keinen Abschluß einer „Evolution," sondern nur<lb/> eine bedeutungslose Verirrung der litterarischen Entwicklung; er bleibt trotz aller<lb/> kunsttheoretischen, kritischen") und naturwissenschaftlichen Bemäntelungen doch<lb/> nur eine neue Art von Bohrversuchen auf dem alten, litterarischen Schlammvulkan<lb/> gemeiner Sinnlichkeit.</p><lb/> <p xml:id="ID_1327"> Dieses Urteil wird nicht im geringsten durch Zolas soeben erschienenen<lb/> Roman 1,6 Mos geändert; denn entweder hat er diesen unschuldigen „Traum,"<lb/> den jeder Backfisch lesen kann, in der raffinirten Absicht geschrieben, den Gaumen<lb/> des Lesers für bald nachfolgende kräftigere Erzeugnisse vorzubereiten, oder er<lb/> hat diesen Teil der liouZou-NÄvqMrt absichtslos verfaßt und dann mit dieser<lb/> mystisch-romantischen Mondscheindichtung seine ganze Kunsttheorie geradezu ver¬<lb/> höhnt und verspottet. Zola sagt in seinem Buche 1^68 romimoiöi'3 ug.turg.1i8es8<lb/> von der Romantik in wegwerfender Weise: „In jener Zeit verlangten die Leser,<lb/> daß man sie aus der Wirklichkeit herauszöge, daß man ihnen Glücksträume<lb/> zeigte, die an einem Tage in Erfüllung gingen, Prinzen, die mit Diamanten<lb/> in den Taschen incognito umherschlenderten, eine triumphirende Liebe, welche<lb/> die Liebenden in eine göttliche Welt des Traumes entführte, kurz, daß man<lb/> ihnen alles zeigte, was man sich an Narrheit und Überfluß denken kann —<lb/> die ganze goldne Phantasie der Dichter."</p><lb/> <p xml:id="ID_1328"> Es ist unglaublich: nachdem Zola diese Richtung lächerlich gemacht, schreibt<lb/> er selbst nach den verurteilten Rezepten den Roman I-s RZvs.</p><lb/> <p xml:id="ID_1329" next="#ID_1330"> Angvliqne, die Heldin, ist ein Findelkind. Bei einem rohen Lohgerber in</p><lb/> <note xml:id="FID_44" place="foot"> *) Zola brüstet sich wiederholt mit seiner kritischen Gewandheit und Stärke; aber gerade<lb/> die vornehmste Eigenschaft, über die ein Kritiker verfügen muß, das vielseitige Wissen und<lb/> die Kenntnis fremder Litteraturen, fehlt ihm vollständig. In einem Gedicht von Victor Hugo<lb/> findet er den Namen Niebuhr, und verwundert ruft er aus: MsvuKr? Hu' sse-of pus<lb/> Aiodulir? On <ze>1ni-öl ovlni-ol Fisbudr? Hus I'on Awvns xrornxtomsnt, (moi<zu'un «mi von-<lb/> Qiüsss Modubr!</note><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0516]
Streifzüge durch die französische Litteratur der Gegenwart.
haben ^- sagt Faquet — einen nichtswürdigen Hang zur brutalen Litteratur.
Wir lieben die Gewaltthätigkeiten, Übertreibungen und Rohheiten in unsern
Schriftstellern, weil wir von Natur die friedlichsten Menschen (?) sind; es
ergötzt uns, Geschichten über wahnsinnige und entsetzliche Leidenschaften zu lesen,
weil wir selbst nur oberflächliche Leidenschaften (!) haben. Ro8 Mtsurs —
fährt er fort — <M non8 oonmÜWSnt exxloitsnt es trg.voi'8 3, tour xroüt.
Kais it ost ^usts ä'g,Mit,6r c^us nous n<z kaisou« g.ux soriv^ius <lui ussut 60
vstto g.ärss8ö, eins ach 8uev68 trof xsu ÄurablLs. (a. a. O. S. 451).
Diese letzte Bemerkung ist sehr richtig. Restif de la Bretonne wird kaum
mehr genannt; sein Roman 1^ xg.78g.iML xervortis ist vielleicht die einzige
Erinnerung an ihn, Bornhak erwähnt ihn in seiner sonst ziemlich ausführlichen
Litteraturgeschichte garnicht einmal.
Auch Zola und seine einseitigen Anhänger wird dasselbe Schicksal treffen,
denn der Naturalismus bildet keinen Abschluß einer „Evolution," sondern nur
eine bedeutungslose Verirrung der litterarischen Entwicklung; er bleibt trotz aller
kunsttheoretischen, kritischen") und naturwissenschaftlichen Bemäntelungen doch
nur eine neue Art von Bohrversuchen auf dem alten, litterarischen Schlammvulkan
gemeiner Sinnlichkeit.
Dieses Urteil wird nicht im geringsten durch Zolas soeben erschienenen
Roman 1,6 Mos geändert; denn entweder hat er diesen unschuldigen „Traum,"
den jeder Backfisch lesen kann, in der raffinirten Absicht geschrieben, den Gaumen
des Lesers für bald nachfolgende kräftigere Erzeugnisse vorzubereiten, oder er
hat diesen Teil der liouZou-NÄvqMrt absichtslos verfaßt und dann mit dieser
mystisch-romantischen Mondscheindichtung seine ganze Kunsttheorie geradezu ver¬
höhnt und verspottet. Zola sagt in seinem Buche 1^68 romimoiöi'3 ug.turg.1i8es8
von der Romantik in wegwerfender Weise: „In jener Zeit verlangten die Leser,
daß man sie aus der Wirklichkeit herauszöge, daß man ihnen Glücksträume
zeigte, die an einem Tage in Erfüllung gingen, Prinzen, die mit Diamanten
in den Taschen incognito umherschlenderten, eine triumphirende Liebe, welche
die Liebenden in eine göttliche Welt des Traumes entführte, kurz, daß man
ihnen alles zeigte, was man sich an Narrheit und Überfluß denken kann —
die ganze goldne Phantasie der Dichter."
Es ist unglaublich: nachdem Zola diese Richtung lächerlich gemacht, schreibt
er selbst nach den verurteilten Rezepten den Roman I-s RZvs.
Angvliqne, die Heldin, ist ein Findelkind. Bei einem rohen Lohgerber in
*) Zola brüstet sich wiederholt mit seiner kritischen Gewandheit und Stärke; aber gerade
die vornehmste Eigenschaft, über die ein Kritiker verfügen muß, das vielseitige Wissen und
die Kenntnis fremder Litteraturen, fehlt ihm vollständig. In einem Gedicht von Victor Hugo
findet er den Namen Niebuhr, und verwundert ruft er aus: MsvuKr? Hu' sse-of pus
Aiodulir? On <ze>1ni-öl ovlni-ol Fisbudr? Hus I'on Awvns xrornxtomsnt, (moi<zu'un «mi von-
Qiüsss Modubr!
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