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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr.

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Streifzüge durch die französische Litteratur der Gegenwart.

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I^s Re>MÄN öxxörimeQtg,1 S. 128).

Das sind sehr selbstbewußte und hochfahrende Worte; viele litterarische
Wetterfahnen haben sich denn auch schleunigst nach dieser Windrichtung ge¬
dreht, und selbst verständige Männer stehen bewundernd vor diesem Erfolge,
als hätten die Naturalisten das litterarische Rätsel dieses Jahrhunderts gelöst,
als sei Zola der geniale Held der befreienden That, der Prophet des schwe¬
benden Zeitgeistes. Und doch muß man auch hier sagen:


Was ihr den Geist der Zeiten heißt,
Das ist im Grund der Herren eigner Geist.

Zolas buchhändlerische Erfolge übertreffen allerdings bei weitem die der
sogenannten Idealisten, eines Octave Feuillee, Cherbuliez, Theuriet, Claretie;
mit ihm können sich in dieser Beziehung überhaupt nur Alphonse Daudet und
Georges Ohnet messen. Aber Daudet wird, obwohl er sein Bestes Dickens
verdankt, von Zola zu den Naturalisten gerechnet, und der unschuldige Ohnet
wird, wie der vielgelesene Zotenreißer Adolphe Belot, mit Stillschweigen über¬
gangen.

Ist der Erfolg auf schriftstellerischen Gebiete überhaupt jemals eine Bürg¬
schaft für die Wahrheit und Berechtigung einer litterarischen Richtung, für die
geschichtliche Bedeutung eines Dichters gewesen? Es ist wiederholt -- beson¬
ders von Brunetiöre in der Rövuo clss ctsux inoväos (16. Februar 1880 und
1. September 1887) -- darauf aufmerksam gemacht worden, daß dieselbe Rolle,
in der Zola heut zu Tage mit soviel Würde auftritt, schon im vorigen Jahr¬
hundert von einem ebenso selbstbewußten und lüngstvergessenen Schriftsteller
Restif de la Bretonne gespielt worden sei. Auch dieser einst vielgelesene oon-
teur 5, ig. raoäö wollte, wie Zola, mit seinen Werken nichts geringeres, als
eine Ergänzung zur Naturwissenschaft, zu Buffons Histoirs ng-truMs liefern.
Auch Restif hielt sich den zeitgenössischen Schriftstellern, einem Marmontel und
Louvet, für weit überlegen; und wenn Zola glaubt, durch die Schlagwörter
Beobachtung, Analyse, Experiment eine neue Kunsttheorie begründet zu haben,
so ist er in starkem Irrtum befangen, denn schon Restif arbeitete, oder rich¬
tiger "scharwerkte" nach solcher Methode. Aber dieser Sonderling experimen-
tirte nicht, wie Zola, nur mit Worten, sondern in Wirklichkeit; er schrieb glü¬
hende Liebesbriefe an dieses oder jenes ihm sonst völlig unbekannte Mädchen,
und die Antworten wurden alsdann in den nächsten Roman wörtlich als Be¬
weisstücke der Wahrheit aufgenommen. Er stürzte sich in die wüstesten Aus¬
schweifungen, um an seinem eignen Körper zu "experimentiren." Er gesteht
das offen zu. Er sagt: ^'etais loros als in'instruirs xour vorirs 8ur vor-
winsL uiittiöi'68, se 1'ein vo psut ßtrs partaitöinöllt instruit ein'su tu,i8g,ut, soi-
lliizwö. Das ist denn doch Begeisterung für Natur und Wahrheit. Dagegen
ist Zola der reine MetaPhysiker! Woran will man auch Experimente machen,


Streifzüge durch die französische Litteratur der Gegenwart.

tsrinins oonrant . . . o'est rin nouvoM Sisel« littsrairs <^ni s'ouvre (Zola,
I^s Re>MÄN öxxörimeQtg,1 S. 128).

Das sind sehr selbstbewußte und hochfahrende Worte; viele litterarische
Wetterfahnen haben sich denn auch schleunigst nach dieser Windrichtung ge¬
dreht, und selbst verständige Männer stehen bewundernd vor diesem Erfolge,
als hätten die Naturalisten das litterarische Rätsel dieses Jahrhunderts gelöst,
als sei Zola der geniale Held der befreienden That, der Prophet des schwe¬
benden Zeitgeistes. Und doch muß man auch hier sagen:


Was ihr den Geist der Zeiten heißt,
Das ist im Grund der Herren eigner Geist.

Zolas buchhändlerische Erfolge übertreffen allerdings bei weitem die der
sogenannten Idealisten, eines Octave Feuillee, Cherbuliez, Theuriet, Claretie;
mit ihm können sich in dieser Beziehung überhaupt nur Alphonse Daudet und
Georges Ohnet messen. Aber Daudet wird, obwohl er sein Bestes Dickens
verdankt, von Zola zu den Naturalisten gerechnet, und der unschuldige Ohnet
wird, wie der vielgelesene Zotenreißer Adolphe Belot, mit Stillschweigen über¬
gangen.

Ist der Erfolg auf schriftstellerischen Gebiete überhaupt jemals eine Bürg¬
schaft für die Wahrheit und Berechtigung einer litterarischen Richtung, für die
geschichtliche Bedeutung eines Dichters gewesen? Es ist wiederholt — beson¬
ders von Brunetiöre in der Rövuo clss ctsux inoväos (16. Februar 1880 und
1. September 1887) — darauf aufmerksam gemacht worden, daß dieselbe Rolle,
in der Zola heut zu Tage mit soviel Würde auftritt, schon im vorigen Jahr¬
hundert von einem ebenso selbstbewußten und lüngstvergessenen Schriftsteller
Restif de la Bretonne gespielt worden sei. Auch dieser einst vielgelesene oon-
teur 5, ig. raoäö wollte, wie Zola, mit seinen Werken nichts geringeres, als
eine Ergänzung zur Naturwissenschaft, zu Buffons Histoirs ng-truMs liefern.
Auch Restif hielt sich den zeitgenössischen Schriftstellern, einem Marmontel und
Louvet, für weit überlegen; und wenn Zola glaubt, durch die Schlagwörter
Beobachtung, Analyse, Experiment eine neue Kunsttheorie begründet zu haben,
so ist er in starkem Irrtum befangen, denn schon Restif arbeitete, oder rich¬
tiger „scharwerkte" nach solcher Methode. Aber dieser Sonderling experimen-
tirte nicht, wie Zola, nur mit Worten, sondern in Wirklichkeit; er schrieb glü¬
hende Liebesbriefe an dieses oder jenes ihm sonst völlig unbekannte Mädchen,
und die Antworten wurden alsdann in den nächsten Roman wörtlich als Be¬
weisstücke der Wahrheit aufgenommen. Er stürzte sich in die wüstesten Aus¬
schweifungen, um an seinem eignen Körper zu „experimentiren." Er gesteht
das offen zu. Er sagt: ^'etais loros als in'instruirs xour vorirs 8ur vor-
winsL uiittiöi'68, se 1'ein vo psut ßtrs partaitöinöllt instruit ein'su tu,i8g,ut, soi-
lliizwö. Das ist denn doch Begeisterung für Natur und Wahrheit. Dagegen
ist Zola der reine MetaPhysiker! Woran will man auch Experimente machen,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_203434/514>, abgerufen am 22.07.2024.