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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr.

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Der Zollanschluß Hamburgs und Bremens.

lauter geradezu ein undenkbarer Gedanke, daß die großen Thore des englischen
Welthandels, daß London, Liverpool und Glasgow außerhalb der Zvllordnungen
des Königreichs sich befinden sollten! Und während in Livorno und Genua,
Marseille und Havre, Antwerpen, Amsterdam und Rotterdam, London und
Bristol, New-Aork und Baltimore die gesamte Einwohnerschaft dem Zollinlande
angehört, ist in allen diesen Städten der ehemalige, die gesamte Stadt umfassende
..Freihafen" zu dem hermetisch abgeschlossenen Freihafenbezirk zusammen¬
geschrumpft und nur einzelne Teile der Städte und der Häfen sind als Ausland
außerhalb der Zollgrenze verblieben. In diesen zollfreien Entrepots werden
die vom Auslande kommenden Waren, genau wie in den frühern Freihafen,
als exterritorial betrachtet. Dem Eigentümer derselben bleibt damit sowohl die
sofortige Zollverlegung für diejenigen erspart, die erst später einmal in den
Verbrauch des Binnenlandes übergehen sollen, als auch die leichte Wiederausfuhr
in das Ausland ohne die Lasten und Mißbräuchlichkeiten des Nückzolles er¬
möglicht. In solchen Freilagern kann der Zwischenhändler die eingeführten
Waren nach Belieben für die Wiederausfuhr sortiren, reinigen, aus- und ein¬
packen und veredeln und überdies das darin steckende Kapital durch indossirbare
Lagerscheine im höchsten Grade umlauffähig machen. Indem in diesen großen
Entrepots zu bestimmten Zeiten öffentliche Versteigerungen stattfinden, ist gleich¬
zeitig ein gewisser moderner Ersatz für die mittelalterlichen Stapel und Messen
gefunden. Daß überdies solche Weltmärkte, wie Bremen für Tabak und Hamburg
für Kaffee, nicht unbedingt eines Freihafens bedürfen, beweist mehr als genügend
der Liverpooler Baumwollenmarkt. In allen andern Häfen der Welt werden
durch diesen verständigen Dualismus die gerechten Forderungen deö Zwischen¬
handels sowie des freien Verkehrs mit dem Binnenlande zugleich befriedigt.
In allen andern Ländern ist durch dieses vernünftige System den Hafenstädten
ihr voller Einfluß auf die Wirtschaftspolitik des Vaterlandes gewahrt und
jeder Jntercsscnstreit zwischen Hinterland und Handelsstadt von vornherein un¬
möglich gemacht. Und nicht nur haben in andern Ländern die Kaufleute solche
Entrepots so vorteilhaft gefunden, daß sie nicht selten auch zollfreie Waren
darin lagern, sondern überall, in England, in Frankreich und Nordamerika,
an den Mündungen der Maas, des Rheins und der Scheide, hat sich neben
jenen Freilagern hinter nationalen Zolllinien eine Reihe so blühender Handels¬
plätze entwickelt, daß man mit Recht die Frage aufwerfen darf, ob nicht die
Hansestädte trotz ihres unzweifelhaften Gedeihens relativ in den letzten Jahr¬
zehnten hinter denselben zurückgeblieben sind. Schon zu den parlamentarischen
Verhandlungen von 1867 wurde mit Recht bemerkt, daß sie bei trefflichster
Lage für ein Hinterland mit 40 Millionen Menschen, an den Mündungen des
dicht bevölkerten, gewerbreichen Eid- und Wesergebiets, bei der unvergleichlichen
Thätigkeit ihrer Geschäftswelt, doch kaum 400 000 Einwohner zählten, während
Amsterdam, Rotterdam und Antwerpen bei einem Hinterkante von 8 Millionen


Der Zollanschluß Hamburgs und Bremens.

lauter geradezu ein undenkbarer Gedanke, daß die großen Thore des englischen
Welthandels, daß London, Liverpool und Glasgow außerhalb der Zvllordnungen
des Königreichs sich befinden sollten! Und während in Livorno und Genua,
Marseille und Havre, Antwerpen, Amsterdam und Rotterdam, London und
Bristol, New-Aork und Baltimore die gesamte Einwohnerschaft dem Zollinlande
angehört, ist in allen diesen Städten der ehemalige, die gesamte Stadt umfassende
..Freihafen" zu dem hermetisch abgeschlossenen Freihafenbezirk zusammen¬
geschrumpft und nur einzelne Teile der Städte und der Häfen sind als Ausland
außerhalb der Zollgrenze verblieben. In diesen zollfreien Entrepots werden
die vom Auslande kommenden Waren, genau wie in den frühern Freihafen,
als exterritorial betrachtet. Dem Eigentümer derselben bleibt damit sowohl die
sofortige Zollverlegung für diejenigen erspart, die erst später einmal in den
Verbrauch des Binnenlandes übergehen sollen, als auch die leichte Wiederausfuhr
in das Ausland ohne die Lasten und Mißbräuchlichkeiten des Nückzolles er¬
möglicht. In solchen Freilagern kann der Zwischenhändler die eingeführten
Waren nach Belieben für die Wiederausfuhr sortiren, reinigen, aus- und ein¬
packen und veredeln und überdies das darin steckende Kapital durch indossirbare
Lagerscheine im höchsten Grade umlauffähig machen. Indem in diesen großen
Entrepots zu bestimmten Zeiten öffentliche Versteigerungen stattfinden, ist gleich¬
zeitig ein gewisser moderner Ersatz für die mittelalterlichen Stapel und Messen
gefunden. Daß überdies solche Weltmärkte, wie Bremen für Tabak und Hamburg
für Kaffee, nicht unbedingt eines Freihafens bedürfen, beweist mehr als genügend
der Liverpooler Baumwollenmarkt. In allen andern Häfen der Welt werden
durch diesen verständigen Dualismus die gerechten Forderungen deö Zwischen¬
handels sowie des freien Verkehrs mit dem Binnenlande zugleich befriedigt.
In allen andern Ländern ist durch dieses vernünftige System den Hafenstädten
ihr voller Einfluß auf die Wirtschaftspolitik des Vaterlandes gewahrt und
jeder Jntercsscnstreit zwischen Hinterland und Handelsstadt von vornherein un¬
möglich gemacht. Und nicht nur haben in andern Ländern die Kaufleute solche
Entrepots so vorteilhaft gefunden, daß sie nicht selten auch zollfreie Waren
darin lagern, sondern überall, in England, in Frankreich und Nordamerika,
an den Mündungen der Maas, des Rheins und der Scheide, hat sich neben
jenen Freilagern hinter nationalen Zolllinien eine Reihe so blühender Handels¬
plätze entwickelt, daß man mit Recht die Frage aufwerfen darf, ob nicht die
Hansestädte trotz ihres unzweifelhaften Gedeihens relativ in den letzten Jahr¬
zehnten hinter denselben zurückgeblieben sind. Schon zu den parlamentarischen
Verhandlungen von 1867 wurde mit Recht bemerkt, daß sie bei trefflichster
Lage für ein Hinterland mit 40 Millionen Menschen, an den Mündungen des
dicht bevölkerten, gewerbreichen Eid- und Wesergebiets, bei der unvergleichlichen
Thätigkeit ihrer Geschäftswelt, doch kaum 400 000 Einwohner zählten, während
Amsterdam, Rotterdam und Antwerpen bei einem Hinterkante von 8 Millionen


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[0501] Der Zollanschluß Hamburgs und Bremens. lauter geradezu ein undenkbarer Gedanke, daß die großen Thore des englischen Welthandels, daß London, Liverpool und Glasgow außerhalb der Zvllordnungen des Königreichs sich befinden sollten! Und während in Livorno und Genua, Marseille und Havre, Antwerpen, Amsterdam und Rotterdam, London und Bristol, New-Aork und Baltimore die gesamte Einwohnerschaft dem Zollinlande angehört, ist in allen diesen Städten der ehemalige, die gesamte Stadt umfassende ..Freihafen" zu dem hermetisch abgeschlossenen Freihafenbezirk zusammen¬ geschrumpft und nur einzelne Teile der Städte und der Häfen sind als Ausland außerhalb der Zollgrenze verblieben. In diesen zollfreien Entrepots werden die vom Auslande kommenden Waren, genau wie in den frühern Freihafen, als exterritorial betrachtet. Dem Eigentümer derselben bleibt damit sowohl die sofortige Zollverlegung für diejenigen erspart, die erst später einmal in den Verbrauch des Binnenlandes übergehen sollen, als auch die leichte Wiederausfuhr in das Ausland ohne die Lasten und Mißbräuchlichkeiten des Nückzolles er¬ möglicht. In solchen Freilagern kann der Zwischenhändler die eingeführten Waren nach Belieben für die Wiederausfuhr sortiren, reinigen, aus- und ein¬ packen und veredeln und überdies das darin steckende Kapital durch indossirbare Lagerscheine im höchsten Grade umlauffähig machen. Indem in diesen großen Entrepots zu bestimmten Zeiten öffentliche Versteigerungen stattfinden, ist gleich¬ zeitig ein gewisser moderner Ersatz für die mittelalterlichen Stapel und Messen gefunden. Daß überdies solche Weltmärkte, wie Bremen für Tabak und Hamburg für Kaffee, nicht unbedingt eines Freihafens bedürfen, beweist mehr als genügend der Liverpooler Baumwollenmarkt. In allen andern Häfen der Welt werden durch diesen verständigen Dualismus die gerechten Forderungen deö Zwischen¬ handels sowie des freien Verkehrs mit dem Binnenlande zugleich befriedigt. In allen andern Ländern ist durch dieses vernünftige System den Hafenstädten ihr voller Einfluß auf die Wirtschaftspolitik des Vaterlandes gewahrt und jeder Jntercsscnstreit zwischen Hinterland und Handelsstadt von vornherein un¬ möglich gemacht. Und nicht nur haben in andern Ländern die Kaufleute solche Entrepots so vorteilhaft gefunden, daß sie nicht selten auch zollfreie Waren darin lagern, sondern überall, in England, in Frankreich und Nordamerika, an den Mündungen der Maas, des Rheins und der Scheide, hat sich neben jenen Freilagern hinter nationalen Zolllinien eine Reihe so blühender Handels¬ plätze entwickelt, daß man mit Recht die Frage aufwerfen darf, ob nicht die Hansestädte trotz ihres unzweifelhaften Gedeihens relativ in den letzten Jahr¬ zehnten hinter denselben zurückgeblieben sind. Schon zu den parlamentarischen Verhandlungen von 1867 wurde mit Recht bemerkt, daß sie bei trefflichster Lage für ein Hinterland mit 40 Millionen Menschen, an den Mündungen des dicht bevölkerten, gewerbreichen Eid- und Wesergebiets, bei der unvergleichlichen Thätigkeit ihrer Geschäftswelt, doch kaum 400 000 Einwohner zählten, während Amsterdam, Rotterdam und Antwerpen bei einem Hinterkante von 8 Millionen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_203434/501>, abgerufen am 22.07.2024.