Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Der Zollanschluß Hamburgs und Bremens.

ihrer Söhne bei Loigny ebenso herzlich, wie es nur in einem altpreußischen
Garnisonstädtchen der Fall sein könnte. Die jungen Patriziersöhne dienen als
Offiziere in den preußischen Reiterregimentern und auf unsern neuen deutschen
Orlogschiffen.

Was die Hanseaten vor allem hinderte, ihre Sonderstellung endgiltig
aufzugeben, war die eigensinnige Schwerfälligkeit, die gerade der große Kauf¬
mann zu zeigen pflegt, wenn ihm eine vollständige Veränderung seines Handels¬
betriebes und seiner Geschäftsformen zugemutet wird. Die Hanseaten lebten
ferner der festen Überzeugung, daß das Binnenland dem hanseatischen Handel
nimmermehr die Gesetze seiner Existenz vorschreiben dürfe, sondern ihn unter
den Bedingungen hinnehmen müsse, wie er sich einmal geschichtlich entwickelt
habe. Obwohl die einflußreichsten Elemente der hanseatischen Bevölkerung ihre
Schule im Auslande und größtenteils in fernen Weltteilen durchzumachen haben,
obwohl die ganze Einwohnerschaft einer Stadt, die so nahe am Meere gelegen
ist, sich in täglichem Wechselverkehr mit der ganzen Erde befindet, verschlossen
sich doch die Hamburger mit sehenden Augen der Einsicht, daß, jemehr alle
Staaten allmählich zu wirtschaftlicher Selbständigkeit zu gelangen suchen, die
Bedeutung des internationalen Zwischenhandels verhältnismäßig sinken muß,
daß der Hamburger Zwischenhandel schon seit drei Jahrzehnten nicht mehr
gleichen Schritt gehalten hat mit dem deutschen Aus- und Einfuhrgeschäfte,
daß für einen Platz, der das natürliche Aus- und Einfuhrorgan eines bedeu¬
tenden, hochkultivirten Hinterlandes ist, umfangreiche, zollfreie Entrepots den
zeitgemäßen Ersatz für den altmodischen Freihafen bilden.

Denn in Wirklichkeit haben nur diejenigen Freihafen, die als isolirte Plätze
des Zwischenhandels ihr Hauptgewerbe möglichst schonen mußten, wie Ormuz,
Se. Thomas, Singapore, Aden, Gibraltar, Helgoland, die Häfen der englisch¬
normannischen Inseln und des Isthmus von Panama ihre Freihafenprivilegien
bis zum heutigen Tage bewahrt. Dagegen haben alle übrigen großen Freihafen
in Europa, nur Hamburg, Bremen und das halbitalienische Trieft aus¬
genommen, auf die Dauer nicht daran festgehalten, sondern sich bemüht, sie
als nachteilig und lästig wieder abzustoßen. Die großen modernen See¬
städte bedürfen statt jenes Ausschlusses und jener Absperrung vom Zoll¬
system des Hinterlandes, die nur noch wie der luous g, non, luvöQäo mit
dem altfränkischen Ausdruck "Freihafen" bezeichnet wird, einer doppelten
wirklichen Freiheit. Sie brauchen vor allem einen völlig freien und un-
belcistigten Verkehr von und nach dem eignen Vaterlande, und zweitens als
Asyl für ihren Zwischenhandel, so groß oder so klein er auch sein mag, zoll¬
freie Entrepots oder Niederlagen. Daher sind kraft einer zwingenden wirt¬
schaftlichen Notwendigkeit nach und nach alle großen Seehäfen mit ihrem
Wohngebiete, mit ihrer konsumirenden und produzirenden Bevölkerung, dem
nationalen Wirthschaftsgebiete angeschlossen worden. Es wäre für einen Eng-


Der Zollanschluß Hamburgs und Bremens.

ihrer Söhne bei Loigny ebenso herzlich, wie es nur in einem altpreußischen
Garnisonstädtchen der Fall sein könnte. Die jungen Patriziersöhne dienen als
Offiziere in den preußischen Reiterregimentern und auf unsern neuen deutschen
Orlogschiffen.

Was die Hanseaten vor allem hinderte, ihre Sonderstellung endgiltig
aufzugeben, war die eigensinnige Schwerfälligkeit, die gerade der große Kauf¬
mann zu zeigen pflegt, wenn ihm eine vollständige Veränderung seines Handels¬
betriebes und seiner Geschäftsformen zugemutet wird. Die Hanseaten lebten
ferner der festen Überzeugung, daß das Binnenland dem hanseatischen Handel
nimmermehr die Gesetze seiner Existenz vorschreiben dürfe, sondern ihn unter
den Bedingungen hinnehmen müsse, wie er sich einmal geschichtlich entwickelt
habe. Obwohl die einflußreichsten Elemente der hanseatischen Bevölkerung ihre
Schule im Auslande und größtenteils in fernen Weltteilen durchzumachen haben,
obwohl die ganze Einwohnerschaft einer Stadt, die so nahe am Meere gelegen
ist, sich in täglichem Wechselverkehr mit der ganzen Erde befindet, verschlossen
sich doch die Hamburger mit sehenden Augen der Einsicht, daß, jemehr alle
Staaten allmählich zu wirtschaftlicher Selbständigkeit zu gelangen suchen, die
Bedeutung des internationalen Zwischenhandels verhältnismäßig sinken muß,
daß der Hamburger Zwischenhandel schon seit drei Jahrzehnten nicht mehr
gleichen Schritt gehalten hat mit dem deutschen Aus- und Einfuhrgeschäfte,
daß für einen Platz, der das natürliche Aus- und Einfuhrorgan eines bedeu¬
tenden, hochkultivirten Hinterlandes ist, umfangreiche, zollfreie Entrepots den
zeitgemäßen Ersatz für den altmodischen Freihafen bilden.

Denn in Wirklichkeit haben nur diejenigen Freihafen, die als isolirte Plätze
des Zwischenhandels ihr Hauptgewerbe möglichst schonen mußten, wie Ormuz,
Se. Thomas, Singapore, Aden, Gibraltar, Helgoland, die Häfen der englisch¬
normannischen Inseln und des Isthmus von Panama ihre Freihafenprivilegien
bis zum heutigen Tage bewahrt. Dagegen haben alle übrigen großen Freihafen
in Europa, nur Hamburg, Bremen und das halbitalienische Trieft aus¬
genommen, auf die Dauer nicht daran festgehalten, sondern sich bemüht, sie
als nachteilig und lästig wieder abzustoßen. Die großen modernen See¬
städte bedürfen statt jenes Ausschlusses und jener Absperrung vom Zoll¬
system des Hinterlandes, die nur noch wie der luous g, non, luvöQäo mit
dem altfränkischen Ausdruck „Freihafen" bezeichnet wird, einer doppelten
wirklichen Freiheit. Sie brauchen vor allem einen völlig freien und un-
belcistigten Verkehr von und nach dem eignen Vaterlande, und zweitens als
Asyl für ihren Zwischenhandel, so groß oder so klein er auch sein mag, zoll¬
freie Entrepots oder Niederlagen. Daher sind kraft einer zwingenden wirt¬
schaftlichen Notwendigkeit nach und nach alle großen Seehäfen mit ihrem
Wohngebiete, mit ihrer konsumirenden und produzirenden Bevölkerung, dem
nationalen Wirthschaftsgebiete angeschlossen worden. Es wäre für einen Eng-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0500" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/203935"/>
          <fw type="header" place="top"> Der Zollanschluß Hamburgs und Bremens.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1279" prev="#ID_1278"> ihrer Söhne bei Loigny ebenso herzlich, wie es nur in einem altpreußischen<lb/>
Garnisonstädtchen der Fall sein könnte. Die jungen Patriziersöhne dienen als<lb/>
Offiziere in den preußischen Reiterregimentern und auf unsern neuen deutschen<lb/>
Orlogschiffen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1280"> Was die Hanseaten vor allem hinderte, ihre Sonderstellung endgiltig<lb/>
aufzugeben, war die eigensinnige Schwerfälligkeit, die gerade der große Kauf¬<lb/>
mann zu zeigen pflegt, wenn ihm eine vollständige Veränderung seines Handels¬<lb/>
betriebes und seiner Geschäftsformen zugemutet wird. Die Hanseaten lebten<lb/>
ferner der festen Überzeugung, daß das Binnenland dem hanseatischen Handel<lb/>
nimmermehr die Gesetze seiner Existenz vorschreiben dürfe, sondern ihn unter<lb/>
den Bedingungen hinnehmen müsse, wie er sich einmal geschichtlich entwickelt<lb/>
habe. Obwohl die einflußreichsten Elemente der hanseatischen Bevölkerung ihre<lb/>
Schule im Auslande und größtenteils in fernen Weltteilen durchzumachen haben,<lb/>
obwohl die ganze Einwohnerschaft einer Stadt, die so nahe am Meere gelegen<lb/>
ist, sich in täglichem Wechselverkehr mit der ganzen Erde befindet, verschlossen<lb/>
sich doch die Hamburger mit sehenden Augen der Einsicht, daß, jemehr alle<lb/>
Staaten allmählich zu wirtschaftlicher Selbständigkeit zu gelangen suchen, die<lb/>
Bedeutung des internationalen Zwischenhandels verhältnismäßig sinken muß,<lb/>
daß der Hamburger Zwischenhandel schon seit drei Jahrzehnten nicht mehr<lb/>
gleichen Schritt gehalten hat mit dem deutschen Aus- und Einfuhrgeschäfte,<lb/>
daß für einen Platz, der das natürliche Aus- und Einfuhrorgan eines bedeu¬<lb/>
tenden, hochkultivirten Hinterlandes ist, umfangreiche, zollfreie Entrepots den<lb/>
zeitgemäßen Ersatz für den altmodischen Freihafen bilden.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1281" next="#ID_1282"> Denn in Wirklichkeit haben nur diejenigen Freihafen, die als isolirte Plätze<lb/>
des Zwischenhandels ihr Hauptgewerbe möglichst schonen mußten, wie Ormuz,<lb/>
Se. Thomas, Singapore, Aden, Gibraltar, Helgoland, die Häfen der englisch¬<lb/>
normannischen Inseln und des Isthmus von Panama ihre Freihafenprivilegien<lb/>
bis zum heutigen Tage bewahrt. Dagegen haben alle übrigen großen Freihafen<lb/>
in Europa, nur Hamburg, Bremen und das halbitalienische Trieft aus¬<lb/>
genommen, auf die Dauer nicht daran festgehalten, sondern sich bemüht, sie<lb/>
als nachteilig und lästig wieder abzustoßen. Die großen modernen See¬<lb/>
städte bedürfen statt jenes Ausschlusses und jener Absperrung vom Zoll¬<lb/>
system des Hinterlandes, die nur noch wie der luous g, non, luvöQäo mit<lb/>
dem altfränkischen Ausdruck &#x201E;Freihafen" bezeichnet wird, einer doppelten<lb/>
wirklichen Freiheit. Sie brauchen vor allem einen völlig freien und un-<lb/>
belcistigten Verkehr von und nach dem eignen Vaterlande, und zweitens als<lb/>
Asyl für ihren Zwischenhandel, so groß oder so klein er auch sein mag, zoll¬<lb/>
freie Entrepots oder Niederlagen. Daher sind kraft einer zwingenden wirt¬<lb/>
schaftlichen Notwendigkeit nach und nach alle großen Seehäfen mit ihrem<lb/>
Wohngebiete, mit ihrer konsumirenden und produzirenden Bevölkerung, dem<lb/>
nationalen Wirthschaftsgebiete angeschlossen worden.  Es wäre für einen Eng-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0500] Der Zollanschluß Hamburgs und Bremens. ihrer Söhne bei Loigny ebenso herzlich, wie es nur in einem altpreußischen Garnisonstädtchen der Fall sein könnte. Die jungen Patriziersöhne dienen als Offiziere in den preußischen Reiterregimentern und auf unsern neuen deutschen Orlogschiffen. Was die Hanseaten vor allem hinderte, ihre Sonderstellung endgiltig aufzugeben, war die eigensinnige Schwerfälligkeit, die gerade der große Kauf¬ mann zu zeigen pflegt, wenn ihm eine vollständige Veränderung seines Handels¬ betriebes und seiner Geschäftsformen zugemutet wird. Die Hanseaten lebten ferner der festen Überzeugung, daß das Binnenland dem hanseatischen Handel nimmermehr die Gesetze seiner Existenz vorschreiben dürfe, sondern ihn unter den Bedingungen hinnehmen müsse, wie er sich einmal geschichtlich entwickelt habe. Obwohl die einflußreichsten Elemente der hanseatischen Bevölkerung ihre Schule im Auslande und größtenteils in fernen Weltteilen durchzumachen haben, obwohl die ganze Einwohnerschaft einer Stadt, die so nahe am Meere gelegen ist, sich in täglichem Wechselverkehr mit der ganzen Erde befindet, verschlossen sich doch die Hamburger mit sehenden Augen der Einsicht, daß, jemehr alle Staaten allmählich zu wirtschaftlicher Selbständigkeit zu gelangen suchen, die Bedeutung des internationalen Zwischenhandels verhältnismäßig sinken muß, daß der Hamburger Zwischenhandel schon seit drei Jahrzehnten nicht mehr gleichen Schritt gehalten hat mit dem deutschen Aus- und Einfuhrgeschäfte, daß für einen Platz, der das natürliche Aus- und Einfuhrorgan eines bedeu¬ tenden, hochkultivirten Hinterlandes ist, umfangreiche, zollfreie Entrepots den zeitgemäßen Ersatz für den altmodischen Freihafen bilden. Denn in Wirklichkeit haben nur diejenigen Freihafen, die als isolirte Plätze des Zwischenhandels ihr Hauptgewerbe möglichst schonen mußten, wie Ormuz, Se. Thomas, Singapore, Aden, Gibraltar, Helgoland, die Häfen der englisch¬ normannischen Inseln und des Isthmus von Panama ihre Freihafenprivilegien bis zum heutigen Tage bewahrt. Dagegen haben alle übrigen großen Freihafen in Europa, nur Hamburg, Bremen und das halbitalienische Trieft aus¬ genommen, auf die Dauer nicht daran festgehalten, sondern sich bemüht, sie als nachteilig und lästig wieder abzustoßen. Die großen modernen See¬ städte bedürfen statt jenes Ausschlusses und jener Absperrung vom Zoll¬ system des Hinterlandes, die nur noch wie der luous g, non, luvöQäo mit dem altfränkischen Ausdruck „Freihafen" bezeichnet wird, einer doppelten wirklichen Freiheit. Sie brauchen vor allem einen völlig freien und un- belcistigten Verkehr von und nach dem eignen Vaterlande, und zweitens als Asyl für ihren Zwischenhandel, so groß oder so klein er auch sein mag, zoll¬ freie Entrepots oder Niederlagen. Daher sind kraft einer zwingenden wirt¬ schaftlichen Notwendigkeit nach und nach alle großen Seehäfen mit ihrem Wohngebiete, mit ihrer konsumirenden und produzirenden Bevölkerung, dem nationalen Wirthschaftsgebiete angeschlossen worden. Es wäre für einen Eng-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_203434
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_203434/500
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_203434/500>, abgerufen am 22.07.2024.