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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr.

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Kleinere Mitteilungen.

große That entzieht, hat Baumbach ganz übersehen. Man wird uns wohl
zu allerletzt Parteilichkeit für Ultramontane vorwerfen; aber weil Baumbachs
Vorgang so undichterisch ist, weil ferner die ganze Gestalt des Sixt Thurn-
wcilter so unbedeutend ist, daß wir sie schlechterdings nicht gegen den überlieferten
Engel des Kaisers vertauschen mögen, und weil endlich die Lösung des Konflikts in
der erdichteten Geschichte durch die Herbeizerrung der Martinswandsage gar so
äußerlich ist, darum haben wir diesen Schluß der Ballade geradezu schmerzlich
empfunden. Auch im "Paten des Todes" ist Baumbach unerwartet aus dem
Märchentone gefallen; wir haben dies damals an dieser Stelle ebenso getadelt.
Merkwürdig, daß Baumbach seine liebenswürdigen Schöpfungen durch solch eine
heillose, stilwidrige Wendung zu verderben pflegt! Zum Glück hört Baum¬
bachs Dichtung nicht mit dieser Pointe auf. Es folgt noch eine schöne
Ballade -- wie ja sein ganzes Gedicht in solche Romanzen und Balladen zer¬
fällt --, die mit ihrem feinen Humor sehr anspricht. Sixt, noch immer flüchtig,
wird gefangen, und erscheint gefesselt vor dem Kaiser, der ihm zum Lohne für
die Rettung seines Lebens die Tochter zum Weibe giebt.

So legt man die Dichtung in bester Stimmung aus der Hand. Für uns
leidet es bei allen kritischen Bedenken (oder vielleicht gerade wegen derselben)
keinen Zweifel, daß diese neue Dichtung Baumbachs so beliebt wie alle seine
frühern werden wird.




Kleinere Mitteilungen.

Nochmals die Arbeiterunterstützungsverbände. In unserm Aufsatz:
"Sind die heutigen Arbeiterunterstützungsvcrbände Versicherungsgesellschaften?" (in
Ur. 30 u. 31 dieses Jahrganges) war der juristische Nachweis geführt worden,
daß die Arbeiterberufsverbände, soweit sie ihre Mitglieder gegen Arbeitslosigkeit
und ähnliche Notfalle sicherstellen, nach der Versicherungsgesetzgebung in Preußen,
Baiern u. f. w. der staatlichen Genehmigung bedürfen. Am 22. Oktober hat ein
derartiger Fall in dritter Instanz das Berliner Kcnninergcricht beschäftigt. An¬
geklagt waren die Bremer Vorstandsmitglieder des "Unterstützungsvereins deutscher
Tabakarbeiter," weil sie den Geschäftsbetrieb des Vereins durch Errichtung einer
Zahlstelle in Hannover auf preußisches Gebiet ohne die erforderliche Genehmigung
der preußischen Regierung ausgedehnt hatten. Das Kammergericht verwarf jedoch
die Revision der Staatsanwaltschaft.

Obwohl nun die bündigen Erkenntnisgründe keinerlei Zweifel darüber lassen,
daß diese Entscheidung lediglich aus formellen Gründen erfolgt ist, weil eine Nach¬
prüfung der thatsächlichen Feststellung des Berufnngsrichters oder die Bemänge¬
lung formeller Rechtsverletzungen in der Revisionsinstanz nicht mehr zulässig ist,


Greuzbott'u IV. 1333. ö0
Kleinere Mitteilungen.

große That entzieht, hat Baumbach ganz übersehen. Man wird uns wohl
zu allerletzt Parteilichkeit für Ultramontane vorwerfen; aber weil Baumbachs
Vorgang so undichterisch ist, weil ferner die ganze Gestalt des Sixt Thurn-
wcilter so unbedeutend ist, daß wir sie schlechterdings nicht gegen den überlieferten
Engel des Kaisers vertauschen mögen, und weil endlich die Lösung des Konflikts in
der erdichteten Geschichte durch die Herbeizerrung der Martinswandsage gar so
äußerlich ist, darum haben wir diesen Schluß der Ballade geradezu schmerzlich
empfunden. Auch im „Paten des Todes" ist Baumbach unerwartet aus dem
Märchentone gefallen; wir haben dies damals an dieser Stelle ebenso getadelt.
Merkwürdig, daß Baumbach seine liebenswürdigen Schöpfungen durch solch eine
heillose, stilwidrige Wendung zu verderben pflegt! Zum Glück hört Baum¬
bachs Dichtung nicht mit dieser Pointe auf. Es folgt noch eine schöne
Ballade — wie ja sein ganzes Gedicht in solche Romanzen und Balladen zer¬
fällt —, die mit ihrem feinen Humor sehr anspricht. Sixt, noch immer flüchtig,
wird gefangen, und erscheint gefesselt vor dem Kaiser, der ihm zum Lohne für
die Rettung seines Lebens die Tochter zum Weibe giebt.

So legt man die Dichtung in bester Stimmung aus der Hand. Für uns
leidet es bei allen kritischen Bedenken (oder vielleicht gerade wegen derselben)
keinen Zweifel, daß diese neue Dichtung Baumbachs so beliebt wie alle seine
frühern werden wird.




Kleinere Mitteilungen.

Nochmals die Arbeiterunterstützungsverbände. In unserm Aufsatz:
„Sind die heutigen Arbeiterunterstützungsvcrbände Versicherungsgesellschaften?" (in
Ur. 30 u. 31 dieses Jahrganges) war der juristische Nachweis geführt worden,
daß die Arbeiterberufsverbände, soweit sie ihre Mitglieder gegen Arbeitslosigkeit
und ähnliche Notfalle sicherstellen, nach der Versicherungsgesetzgebung in Preußen,
Baiern u. f. w. der staatlichen Genehmigung bedürfen. Am 22. Oktober hat ein
derartiger Fall in dritter Instanz das Berliner Kcnninergcricht beschäftigt. An¬
geklagt waren die Bremer Vorstandsmitglieder des „Unterstützungsvereins deutscher
Tabakarbeiter," weil sie den Geschäftsbetrieb des Vereins durch Errichtung einer
Zahlstelle in Hannover auf preußisches Gebiet ohne die erforderliche Genehmigung
der preußischen Regierung ausgedehnt hatten. Das Kammergericht verwarf jedoch
die Revision der Staatsanwaltschaft.

Obwohl nun die bündigen Erkenntnisgründe keinerlei Zweifel darüber lassen,
daß diese Entscheidung lediglich aus formellen Gründen erfolgt ist, weil eine Nach¬
prüfung der thatsächlichen Feststellung des Berufnngsrichters oder die Bemänge¬
lung formeller Rechtsverletzungen in der Revisionsinstanz nicht mehr zulässig ist,


Greuzbott'u IV. 1333. ö0
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_203434/481>, abgerufen am 01.07.2024.