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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr.

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Kaiser Max und seine Jäger.

spiele des Zeitgenossen Vigil Räder aus Sterzing vor; sie sind erst vor wenigen
Jahren von Oswald Zingerle herausgegeben worden. Das Stück wird im
Burghofe des kaiserlichen Hauses "zum goldenen Dachl," das jeder, der Inns¬
bruck je besucht hat, wohl kennt, gespielt. Wie einen reichen Gutsherrn, der
mit seinen Leuten familiär verkehrt, hat Baumbach den Kaiser Max hier dar¬
gestellt. Wenn sich seine Jäger raufen, so läßt sie der Kaiser einsperren.
Und die Gedichte, die er dichtet, müssen andre schreiben, was anch großer
Herren Art ist. Also ein im Tone des Volksliedes gehaltenes Genrebild, ohne
Anspruch auf bedeutendere Wirkung hat Baumbach entworfen, etwa so wie Julius
Wolfs mit seinem Roman "Das Recht der Hagestolze." Im Einklang damit steht die
Sorgfalt, die er auf die Schilderung der Volkssitten und Gebräuche, von
Aberglauben und Märchen verwendet hat: ein sehr schöner Gesang schildert
eine Sommernacht auf dem Tummelplatz, in der Dirnen und Buben durch eines
der zahlreich auf den Bergen angezündeten Johannisfeuer springen, ohne das
flackernde Feuer oder gar sich selbst zu versehren; der glückliche Sprung bedeutet
eine baldige Hochzeit des Mädchens. In ein andres Kapitel hat er die Sage
von den "saligen Franken" verwoben. Es sind schneeweiße, goldhaarige, engel¬
reine Feen, Beschützer des Edelwildes im Gebirge; sie werden von Niesen ver¬
folgt und können sich nur schützen, wenn sie eines der vielen Kreuze erreichen,
die der fromme Bauer eigens deswegen auf den Bergen errichtet. Ist das
aber nicht möglich, so flüchten sich die "saligen Franken" zu den Menschen,
denen sie so lange segensreiche Dienste leisten, bis ihr Feind stirbt. Und endlich
hat Baumbach auch die bekannteste Sage der Landschaft, die von der Martins¬
wand, mit in seine Dichtung verwoben; er hat ein sehr schönes, vielleicht das
schönste balladenartige Kapitel seiner Dichtung daraus gemacht. Die märchen¬
hafte Rettung des Kaisers durch einen Engel Gottes wird natürlich rationalistisch
umgedeutet, der Engel ist der Jäger Sixt Thurnwaltcr, der in Baum¬
bachs Erfindung eine große Rolle spielt. Doch kann dieser Schluß nicht
befriedigen. Wer Storms "Schimmelreiter" gelesen hat, wird die Kunst, die
Entstehung einer Sage poetisch zu veranschaulichen und zu erklären, wohl nicht
wenig bewundert haben. Damit kann sich Baumbach nicht vergleichen. Er hat
es zwar, wie man sieht, verstanden, alte volkstümliche Züge hübsch neuzuordnen,
(denn auch die Geschichte der saligen Frauen ist oft verwertet worden; eine
der begabtesten Dichterinnen Tirols, Angelika von Hörmann, hat schon vor einem
Jahrzehnt aus dem Stoff ein anmutiges kleines Epos geschaffen); aber gerade
Baumbachs eigenste Erfindung ist zwar auch nett und anmutig, aber doch
gar zu harmlos und nicht sehr originell.

Zufällig, auf einem seiner Jagdwege, trifft Kaiser Max mit dem poetischen
Schuster Hans Sachs, der zur Zeit noch ein jugendlicher Wanderbursche ist,
in einem Wirtshause vor Innsbruck zusammen. Auch das ist für Baumbachs
genrehafte Phantasie bezeichnend, daß er die markige, männlich würdige Gestalt


Kaiser Max und seine Jäger.

spiele des Zeitgenossen Vigil Räder aus Sterzing vor; sie sind erst vor wenigen
Jahren von Oswald Zingerle herausgegeben worden. Das Stück wird im
Burghofe des kaiserlichen Hauses „zum goldenen Dachl," das jeder, der Inns¬
bruck je besucht hat, wohl kennt, gespielt. Wie einen reichen Gutsherrn, der
mit seinen Leuten familiär verkehrt, hat Baumbach den Kaiser Max hier dar¬
gestellt. Wenn sich seine Jäger raufen, so läßt sie der Kaiser einsperren.
Und die Gedichte, die er dichtet, müssen andre schreiben, was anch großer
Herren Art ist. Also ein im Tone des Volksliedes gehaltenes Genrebild, ohne
Anspruch auf bedeutendere Wirkung hat Baumbach entworfen, etwa so wie Julius
Wolfs mit seinem Roman „Das Recht der Hagestolze." Im Einklang damit steht die
Sorgfalt, die er auf die Schilderung der Volkssitten und Gebräuche, von
Aberglauben und Märchen verwendet hat: ein sehr schöner Gesang schildert
eine Sommernacht auf dem Tummelplatz, in der Dirnen und Buben durch eines
der zahlreich auf den Bergen angezündeten Johannisfeuer springen, ohne das
flackernde Feuer oder gar sich selbst zu versehren; der glückliche Sprung bedeutet
eine baldige Hochzeit des Mädchens. In ein andres Kapitel hat er die Sage
von den „saligen Franken" verwoben. Es sind schneeweiße, goldhaarige, engel¬
reine Feen, Beschützer des Edelwildes im Gebirge; sie werden von Niesen ver¬
folgt und können sich nur schützen, wenn sie eines der vielen Kreuze erreichen,
die der fromme Bauer eigens deswegen auf den Bergen errichtet. Ist das
aber nicht möglich, so flüchten sich die „saligen Franken" zu den Menschen,
denen sie so lange segensreiche Dienste leisten, bis ihr Feind stirbt. Und endlich
hat Baumbach auch die bekannteste Sage der Landschaft, die von der Martins¬
wand, mit in seine Dichtung verwoben; er hat ein sehr schönes, vielleicht das
schönste balladenartige Kapitel seiner Dichtung daraus gemacht. Die märchen¬
hafte Rettung des Kaisers durch einen Engel Gottes wird natürlich rationalistisch
umgedeutet, der Engel ist der Jäger Sixt Thurnwaltcr, der in Baum¬
bachs Erfindung eine große Rolle spielt. Doch kann dieser Schluß nicht
befriedigen. Wer Storms „Schimmelreiter" gelesen hat, wird die Kunst, die
Entstehung einer Sage poetisch zu veranschaulichen und zu erklären, wohl nicht
wenig bewundert haben. Damit kann sich Baumbach nicht vergleichen. Er hat
es zwar, wie man sieht, verstanden, alte volkstümliche Züge hübsch neuzuordnen,
(denn auch die Geschichte der saligen Frauen ist oft verwertet worden; eine
der begabtesten Dichterinnen Tirols, Angelika von Hörmann, hat schon vor einem
Jahrzehnt aus dem Stoff ein anmutiges kleines Epos geschaffen); aber gerade
Baumbachs eigenste Erfindung ist zwar auch nett und anmutig, aber doch
gar zu harmlos und nicht sehr originell.

Zufällig, auf einem seiner Jagdwege, trifft Kaiser Max mit dem poetischen
Schuster Hans Sachs, der zur Zeit noch ein jugendlicher Wanderbursche ist,
in einem Wirtshause vor Innsbruck zusammen. Auch das ist für Baumbachs
genrehafte Phantasie bezeichnend, daß er die markige, männlich würdige Gestalt


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[0477] Kaiser Max und seine Jäger. spiele des Zeitgenossen Vigil Räder aus Sterzing vor; sie sind erst vor wenigen Jahren von Oswald Zingerle herausgegeben worden. Das Stück wird im Burghofe des kaiserlichen Hauses „zum goldenen Dachl," das jeder, der Inns¬ bruck je besucht hat, wohl kennt, gespielt. Wie einen reichen Gutsherrn, der mit seinen Leuten familiär verkehrt, hat Baumbach den Kaiser Max hier dar¬ gestellt. Wenn sich seine Jäger raufen, so läßt sie der Kaiser einsperren. Und die Gedichte, die er dichtet, müssen andre schreiben, was anch großer Herren Art ist. Also ein im Tone des Volksliedes gehaltenes Genrebild, ohne Anspruch auf bedeutendere Wirkung hat Baumbach entworfen, etwa so wie Julius Wolfs mit seinem Roman „Das Recht der Hagestolze." Im Einklang damit steht die Sorgfalt, die er auf die Schilderung der Volkssitten und Gebräuche, von Aberglauben und Märchen verwendet hat: ein sehr schöner Gesang schildert eine Sommernacht auf dem Tummelplatz, in der Dirnen und Buben durch eines der zahlreich auf den Bergen angezündeten Johannisfeuer springen, ohne das flackernde Feuer oder gar sich selbst zu versehren; der glückliche Sprung bedeutet eine baldige Hochzeit des Mädchens. In ein andres Kapitel hat er die Sage von den „saligen Franken" verwoben. Es sind schneeweiße, goldhaarige, engel¬ reine Feen, Beschützer des Edelwildes im Gebirge; sie werden von Niesen ver¬ folgt und können sich nur schützen, wenn sie eines der vielen Kreuze erreichen, die der fromme Bauer eigens deswegen auf den Bergen errichtet. Ist das aber nicht möglich, so flüchten sich die „saligen Franken" zu den Menschen, denen sie so lange segensreiche Dienste leisten, bis ihr Feind stirbt. Und endlich hat Baumbach auch die bekannteste Sage der Landschaft, die von der Martins¬ wand, mit in seine Dichtung verwoben; er hat ein sehr schönes, vielleicht das schönste balladenartige Kapitel seiner Dichtung daraus gemacht. Die märchen¬ hafte Rettung des Kaisers durch einen Engel Gottes wird natürlich rationalistisch umgedeutet, der Engel ist der Jäger Sixt Thurnwaltcr, der in Baum¬ bachs Erfindung eine große Rolle spielt. Doch kann dieser Schluß nicht befriedigen. Wer Storms „Schimmelreiter" gelesen hat, wird die Kunst, die Entstehung einer Sage poetisch zu veranschaulichen und zu erklären, wohl nicht wenig bewundert haben. Damit kann sich Baumbach nicht vergleichen. Er hat es zwar, wie man sieht, verstanden, alte volkstümliche Züge hübsch neuzuordnen, (denn auch die Geschichte der saligen Frauen ist oft verwertet worden; eine der begabtesten Dichterinnen Tirols, Angelika von Hörmann, hat schon vor einem Jahrzehnt aus dem Stoff ein anmutiges kleines Epos geschaffen); aber gerade Baumbachs eigenste Erfindung ist zwar auch nett und anmutig, aber doch gar zu harmlos und nicht sehr originell. Zufällig, auf einem seiner Jagdwege, trifft Kaiser Max mit dem poetischen Schuster Hans Sachs, der zur Zeit noch ein jugendlicher Wanderbursche ist, in einem Wirtshause vor Innsbruck zusammen. Auch das ist für Baumbachs genrehafte Phantasie bezeichnend, daß er die markige, männlich würdige Gestalt

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_203434/477>, abgerufen am 24.08.2024.