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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr.

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Kaiser Max und seine Jäger.

schaft als Gesamtheit berühren. Sie gewinnen, indem sie hinausliegen über
den Kreis des eignen Erlebens des Betrachters, auf der einen Seite eine gewisse
dramatische Objektivität und haben dennoch zugleich die höchste und gewichtigste
Bedeutung für die Beschauer alle, deren Vertreter auf der Bühne der Geschichte
ihrer aller Geschicke darstellen und entscheiden. Jeder einzelne lebt, streitet,
leidet in jenen geschichtlichen Personifikationen der Gesamtheit mit. Es sind
ewige Wahrheiten, es sind allmenschliche Erlebnisse, eingekleidet in ganz konkrete
zeitlich bestimmte Erscheinungen. Wenn es anders der Beruf der Kunst ist,
nicht blos; Thatsächliches naturgetreu zu kopiren, sondern das Einzelne auf die
Höhe des Allgemeingiltigen zu heben, das Zeitliche in seiner bleibenden Be¬
deutung zu verewigen, durch das Reale überall die Idee durchleuchten zu lassen,
kurz die Dinge darzustellen, nicht bloß wie sie sich auf der Netzhaut jedes, auch
des tierischen Auges spiegeln, sondern wie sie sich im menschlichen Geiste zu
geistigen Thatsachen verklären, giebt es dann einen Stoff, von dem man mit
mehr Recht sagen könnte, daß er für sie geschaffen sei, zu dessen Darstellung
sie selbst unmittelbarer recht eigentlich berufen und geschaffen erscheint, als die
Geschichte? Eine wie gewaltige, wie unmittelbare Wirkung ihrer Gestalten und
Szenen müßte gerade die sogenannte moderne Kunst erzielen, mit ihrem aller
Romantik von halb Traum, halb Leben baaren Realismus, der Gestalten zu
schaffen vermöchte, an deren Wirklichkeit man glauben würde, mit ihrer hoch¬
entwickelten Fähigkeit, kräftig zu charakterisiren und scharf zu individualisiren,
die uns davor sichert, nicht nur lebende Bilder in einer Pose zu erhalten, deren
Absichtlichkeit, wenn auch nicht verstimmt, so doch das Interesse abkühlt.

(Fortsetzung folgt.)




Kaiser Max und seine Jäger.

er einmal an einem schönen Sommertage auf der hohen Platt¬
form des Schlosses Ambras bei Innsbruck gestanden und einen
Blick hinab auf das Jnnthal zu seinen Füßen geworfen hat, der
wird das Landschaftsbild, das sich ihm da bot, nie wieder ver¬
gessen. An jener Stelle ist das Jnnthal keine halbe Stunde
breit. Die mächtige Kette der nördlichen Kalkalpen, deren Gipfel nur im Hoch¬
sommer schneefrei ist, zieht sich meilenlang ohne Unterbrechung vom Kufsteiner
Kaisergebirge bis über Innsbruck und Zirl hinaus von Nordost nach Nordwest.WM
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Kaiser Max und seine Jäger.

schaft als Gesamtheit berühren. Sie gewinnen, indem sie hinausliegen über
den Kreis des eignen Erlebens des Betrachters, auf der einen Seite eine gewisse
dramatische Objektivität und haben dennoch zugleich die höchste und gewichtigste
Bedeutung für die Beschauer alle, deren Vertreter auf der Bühne der Geschichte
ihrer aller Geschicke darstellen und entscheiden. Jeder einzelne lebt, streitet,
leidet in jenen geschichtlichen Personifikationen der Gesamtheit mit. Es sind
ewige Wahrheiten, es sind allmenschliche Erlebnisse, eingekleidet in ganz konkrete
zeitlich bestimmte Erscheinungen. Wenn es anders der Beruf der Kunst ist,
nicht blos; Thatsächliches naturgetreu zu kopiren, sondern das Einzelne auf die
Höhe des Allgemeingiltigen zu heben, das Zeitliche in seiner bleibenden Be¬
deutung zu verewigen, durch das Reale überall die Idee durchleuchten zu lassen,
kurz die Dinge darzustellen, nicht bloß wie sie sich auf der Netzhaut jedes, auch
des tierischen Auges spiegeln, sondern wie sie sich im menschlichen Geiste zu
geistigen Thatsachen verklären, giebt es dann einen Stoff, von dem man mit
mehr Recht sagen könnte, daß er für sie geschaffen sei, zu dessen Darstellung
sie selbst unmittelbarer recht eigentlich berufen und geschaffen erscheint, als die
Geschichte? Eine wie gewaltige, wie unmittelbare Wirkung ihrer Gestalten und
Szenen müßte gerade die sogenannte moderne Kunst erzielen, mit ihrem aller
Romantik von halb Traum, halb Leben baaren Realismus, der Gestalten zu
schaffen vermöchte, an deren Wirklichkeit man glauben würde, mit ihrer hoch¬
entwickelten Fähigkeit, kräftig zu charakterisiren und scharf zu individualisiren,
die uns davor sichert, nicht nur lebende Bilder in einer Pose zu erhalten, deren
Absichtlichkeit, wenn auch nicht verstimmt, so doch das Interesse abkühlt.

(Fortsetzung folgt.)




Kaiser Max und seine Jäger.

er einmal an einem schönen Sommertage auf der hohen Platt¬
form des Schlosses Ambras bei Innsbruck gestanden und einen
Blick hinab auf das Jnnthal zu seinen Füßen geworfen hat, der
wird das Landschaftsbild, das sich ihm da bot, nie wieder ver¬
gessen. An jener Stelle ist das Jnnthal keine halbe Stunde
breit. Die mächtige Kette der nördlichen Kalkalpen, deren Gipfel nur im Hoch¬
sommer schneefrei ist, zieht sich meilenlang ohne Unterbrechung vom Kufsteiner
Kaisergebirge bis über Innsbruck und Zirl hinaus von Nordost nach Nordwest.WM
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_203434/474>, abgerufen am 22.07.2024.