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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr.

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soweit sie nicht der venezianischen Koloristcnschule angehören, übertragen worden
sind, während den Nadirern die Wiedergabe der Kolvristcn, also der spätern
Niederländer, der Venezianer des 16. und der Spanier des 17. Jahrhunderts
zugefallen ist.

In dieser Scheidung liegt ein Fingerzeig, wie etwa das Arbeitsgebiet des
Kupferstichs begrenzt werden könnte, um ihm wieder zu dem alten Ansehen zu
verhelfen, das zum Teil vielleicht nur dadurch gelitten hat, daß der Kupferstich
sich an Aufgaben gemacht hatte, zu deren Lösung seine beschränkten Mittel
nicht ausreichten. Es wäre auch in Hinblick auf die oben erwähnten Versuche
Dürers den Kupferstechern anzuraten, auf eine Erweiterung ihrer Darstellungs-
mittel zu denken und, statt in der starren Abgeschlossenheit des reinen Linien¬
stiches zu verharren, die Radirnadcl noch mehr zur Mitarbeiterschaft heran¬
zuziehen, als es bisher der Fall gewesen ist. Doch damit geraten wir ans ein
Gebiet, das wir nicht betreten wollten. Es lag uns nur daran, in Form eines
geschichtlichen Überblicks ans einige der Ursachen hinzuweisen, die mitgewirkt
haben, den Kupferstich ans seiner frühern Stellung zu verdrängen und den Um¬
fang seiner Thätigkeit wesentlich zu beschränken. Einen wirklichen Verfall der
Knpferstechcrkttnst, d. h. ein Herabsinken von einer zu irgend einer frühern Zeit
erreichten Stufe vermögen wir nicht zu entdecken. Wenn man Blätter wie
Mantels "Sixtinische Madonna", Johann Burgers "Aurora" uach Guido
Reni und Rudolf Stangs "Abendmahl" nach Leonardo da Vinci ins Auge
faßt, gewinnt man vielmehr die Überzeugung, daß sich die Technik unablässig
vervollkommnet, soweit es innerhalb der einmal gesteckten Grenzen möglich ist.
Die mißliche Lage des Kupferstichs ist demnach mehr auf rein wirtschaftliche
und auf Gründe der Konkurrenz zurückzuführen, von denen wir einige hervor¬
gehoben haben. Ob diese Notlage durch äußre Umstände, etwa durch Staats¬
hilfe oder durch das Eingreifen von Gesellschaften und Vereinen zu beseitigen
ist, oder ob nicht vielmehr die Kupferstecher selbst darauf werden bedacht sein
müssen, durch größere Beweglichkeit ihrer Technik oder durch andre Reformen
der Konkurrenz zu begegnen, das sind Fragen, die sich unsrer Meinung nach
nicht auf dem Wege theoretischer Auseinandersetzungen lösen lassen. In kriti¬
schen Zeiten hat stets die That mehr gegolten, als die kluge Meinung oder der
gute Rat. Wenn der Kupferstich noch die Lebenskraft besitzt, die er nunmehr
vierhundertuudfünfzig Jahre hindurch bewährt hat, so wird er sich auch ohne
fremde Hilfe im Kampfe mit Mächten behaupten, die selbst aus sehr unsichern
Füßen stehen und zum Teil mehr den Charakter von vorübergehenden Er¬
scheinungen haben.




soweit sie nicht der venezianischen Koloristcnschule angehören, übertragen worden
sind, während den Nadirern die Wiedergabe der Kolvristcn, also der spätern
Niederländer, der Venezianer des 16. und der Spanier des 17. Jahrhunderts
zugefallen ist.

In dieser Scheidung liegt ein Fingerzeig, wie etwa das Arbeitsgebiet des
Kupferstichs begrenzt werden könnte, um ihm wieder zu dem alten Ansehen zu
verhelfen, das zum Teil vielleicht nur dadurch gelitten hat, daß der Kupferstich
sich an Aufgaben gemacht hatte, zu deren Lösung seine beschränkten Mittel
nicht ausreichten. Es wäre auch in Hinblick auf die oben erwähnten Versuche
Dürers den Kupferstechern anzuraten, auf eine Erweiterung ihrer Darstellungs-
mittel zu denken und, statt in der starren Abgeschlossenheit des reinen Linien¬
stiches zu verharren, die Radirnadcl noch mehr zur Mitarbeiterschaft heran¬
zuziehen, als es bisher der Fall gewesen ist. Doch damit geraten wir ans ein
Gebiet, das wir nicht betreten wollten. Es lag uns nur daran, in Form eines
geschichtlichen Überblicks ans einige der Ursachen hinzuweisen, die mitgewirkt
haben, den Kupferstich ans seiner frühern Stellung zu verdrängen und den Um¬
fang seiner Thätigkeit wesentlich zu beschränken. Einen wirklichen Verfall der
Knpferstechcrkttnst, d. h. ein Herabsinken von einer zu irgend einer frühern Zeit
erreichten Stufe vermögen wir nicht zu entdecken. Wenn man Blätter wie
Mantels „Sixtinische Madonna", Johann Burgers „Aurora" uach Guido
Reni und Rudolf Stangs „Abendmahl" nach Leonardo da Vinci ins Auge
faßt, gewinnt man vielmehr die Überzeugung, daß sich die Technik unablässig
vervollkommnet, soweit es innerhalb der einmal gesteckten Grenzen möglich ist.
Die mißliche Lage des Kupferstichs ist demnach mehr auf rein wirtschaftliche
und auf Gründe der Konkurrenz zurückzuführen, von denen wir einige hervor¬
gehoben haben. Ob diese Notlage durch äußre Umstände, etwa durch Staats¬
hilfe oder durch das Eingreifen von Gesellschaften und Vereinen zu beseitigen
ist, oder ob nicht vielmehr die Kupferstecher selbst darauf werden bedacht sein
müssen, durch größere Beweglichkeit ihrer Technik oder durch andre Reformen
der Konkurrenz zu begegnen, das sind Fragen, die sich unsrer Meinung nach
nicht auf dem Wege theoretischer Auseinandersetzungen lösen lassen. In kriti¬
schen Zeiten hat stets die That mehr gegolten, als die kluge Meinung oder der
gute Rat. Wenn der Kupferstich noch die Lebenskraft besitzt, die er nunmehr
vierhundertuudfünfzig Jahre hindurch bewährt hat, so wird er sich auch ohne
fremde Hilfe im Kampfe mit Mächten behaupten, die selbst aus sehr unsichern
Füßen stehen und zum Teil mehr den Charakter von vorübergehenden Er¬
scheinungen haben.




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[0437] soweit sie nicht der venezianischen Koloristcnschule angehören, übertragen worden sind, während den Nadirern die Wiedergabe der Kolvristcn, also der spätern Niederländer, der Venezianer des 16. und der Spanier des 17. Jahrhunderts zugefallen ist. In dieser Scheidung liegt ein Fingerzeig, wie etwa das Arbeitsgebiet des Kupferstichs begrenzt werden könnte, um ihm wieder zu dem alten Ansehen zu verhelfen, das zum Teil vielleicht nur dadurch gelitten hat, daß der Kupferstich sich an Aufgaben gemacht hatte, zu deren Lösung seine beschränkten Mittel nicht ausreichten. Es wäre auch in Hinblick auf die oben erwähnten Versuche Dürers den Kupferstechern anzuraten, auf eine Erweiterung ihrer Darstellungs- mittel zu denken und, statt in der starren Abgeschlossenheit des reinen Linien¬ stiches zu verharren, die Radirnadcl noch mehr zur Mitarbeiterschaft heran¬ zuziehen, als es bisher der Fall gewesen ist. Doch damit geraten wir ans ein Gebiet, das wir nicht betreten wollten. Es lag uns nur daran, in Form eines geschichtlichen Überblicks ans einige der Ursachen hinzuweisen, die mitgewirkt haben, den Kupferstich ans seiner frühern Stellung zu verdrängen und den Um¬ fang seiner Thätigkeit wesentlich zu beschränken. Einen wirklichen Verfall der Knpferstechcrkttnst, d. h. ein Herabsinken von einer zu irgend einer frühern Zeit erreichten Stufe vermögen wir nicht zu entdecken. Wenn man Blätter wie Mantels „Sixtinische Madonna", Johann Burgers „Aurora" uach Guido Reni und Rudolf Stangs „Abendmahl" nach Leonardo da Vinci ins Auge faßt, gewinnt man vielmehr die Überzeugung, daß sich die Technik unablässig vervollkommnet, soweit es innerhalb der einmal gesteckten Grenzen möglich ist. Die mißliche Lage des Kupferstichs ist demnach mehr auf rein wirtschaftliche und auf Gründe der Konkurrenz zurückzuführen, von denen wir einige hervor¬ gehoben haben. Ob diese Notlage durch äußre Umstände, etwa durch Staats¬ hilfe oder durch das Eingreifen von Gesellschaften und Vereinen zu beseitigen ist, oder ob nicht vielmehr die Kupferstecher selbst darauf werden bedacht sein müssen, durch größere Beweglichkeit ihrer Technik oder durch andre Reformen der Konkurrenz zu begegnen, das sind Fragen, die sich unsrer Meinung nach nicht auf dem Wege theoretischer Auseinandersetzungen lösen lassen. In kriti¬ schen Zeiten hat stets die That mehr gegolten, als die kluge Meinung oder der gute Rat. Wenn der Kupferstich noch die Lebenskraft besitzt, die er nunmehr vierhundertuudfünfzig Jahre hindurch bewährt hat, so wird er sich auch ohne fremde Hilfe im Kampfe mit Mächten behaupten, die selbst aus sehr unsichern Füßen stehen und zum Teil mehr den Charakter von vorübergehenden Er¬ scheinungen haben.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_203434/437>, abgerufen am 30.06.2024.