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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr.

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Vor 'Kupferstich und die vervielfältigenden Künste der Neuzeit.

harten für wissenschaftliche Zwecke zu prüfen, und das Ergebnis dieser Prü¬
fungen war häufig so enttäuschend nud entmutigend, daß sich der Wunsch nach
einem zuverlässigeren Ncproduktionsmittel immer lebhafter rege machte. Die
Photographie selbst vermochte diesen Ersatz anfangs nicht zu bieten, weil sie
den schweren, undurchsichtigen Schatten der alten niederländischen Gemälde nicht
beizukommen vermochte, welche die Nadirnadcl so geschickt aufzuhellen verstand.
Überdies war das alte Kopirverfahren so umständlich und ungleichmäßig, daß
die Bedingung eines wohlfeilen Preises, die bei vergleichenden weit ausge¬
dehnten Studien unumgänglich ist, nicht erfüllt werden konnte. Erst nach der
Erfindung des photographischen Druckverfahrens wurde auch dieser Übelstand
beseitigt, und im Laufe weniger Jahre ist jenes Verfahren durch Franzosen
und Deutsche so leistungsfähig gemacht worden, daß es nach der Seite der
Massenerzeugung der Nadirung vollständig den Boden untergraben hat. Bei
der Herstellung der Galeriewerke vermag jetzt die Nadirung nicht mehr mit der
Hello- und Photogravüre zu wetteifern, welche die Eigenschaft eines gefälligen,
bestechenden Aussehens mit dem Vorzuge wissenschaftlicher Genauigkeit verbindet,
den unser kritisches Zeitalter von Veröffentlichungen dieser Art fordert. Durch
die schnelle Verbreitung des photographischen Lichtdrucks und seiner Abarten,
die zum Teil für die Buchdruckerpresse verwendbar sind und dadurch den vor¬
nehmeren Gattungen der graphischen Künste noch mehr Abbruch thun, ist jetzt
auch bereits die reproduzirende Nadirung in eine Notlage geraten, und Grab¬
stichel und Radirnadel singen ein gemeinsames Klagelied.

Einsichtigen Beurteilern kann es freilich nicht verborgen bleiben, daß auch
die Heliogravüre, der mechanische Lichtknpferdruck, trotz gewisser Nachhilfen ans
der Platte mit Nadel und andern Werkzeugen, in ihrer Leistungsfähigkeit be¬
grenzt ist. Sie giebt den nachgebildeten Gemälden einen weichen, matten Glanz,
der nicht immer dem koloristischen Charakter der Originale angemessen ist.
Man kann ihre Wirkung auf das Auge am ehesten mit der der Schabkunstblntter
vergleichen, die sich im vorigen Jahrhundert einer großen Beliebtheit erfreuten,
und wie diese sich besonders brauchbar in der Nachbildung gewisser Meister erwiesen,
die nach starken Helldunkeleffekten strebten, wie z. B. F. Hals, Rembrandt, Don,
Rubens, Honthorst, Schakalen u. a., so wird man anch, sofern man den Schwer¬
punkt auf vollkommen treue, charakteristische Wiedergabe der koloristischen Haltung
der Originale legt, den Wirkungskreis der Heliogravüre beschränken müsse".
Einen Versuch, verschiedene reproduzirende Künste, insbesondere den Kupferstich,
die Radiruug und die Heliogravüre, nach dem Maßstabe ihrer Leistungsfähigkeit
zu beschäftigen und danach die Aufgaben zu stellen, hat kürzlich die Verwaltung
der Berliner Gemäldegalerie gemacht. Zu den beiden ersten Lieferungen eines
in großem Maßstabe angelegten Galeriewerkes sind Stecher und Nadirer heran¬
gezogen worden, deren Beteiligung im großen und ganzen so abgegrenzt
worden ist, daß den erstem die Italiener des 15. und des 16. Jahrhunderts,


Vor 'Kupferstich und die vervielfältigenden Künste der Neuzeit.

harten für wissenschaftliche Zwecke zu prüfen, und das Ergebnis dieser Prü¬
fungen war häufig so enttäuschend nud entmutigend, daß sich der Wunsch nach
einem zuverlässigeren Ncproduktionsmittel immer lebhafter rege machte. Die
Photographie selbst vermochte diesen Ersatz anfangs nicht zu bieten, weil sie
den schweren, undurchsichtigen Schatten der alten niederländischen Gemälde nicht
beizukommen vermochte, welche die Nadirnadcl so geschickt aufzuhellen verstand.
Überdies war das alte Kopirverfahren so umständlich und ungleichmäßig, daß
die Bedingung eines wohlfeilen Preises, die bei vergleichenden weit ausge¬
dehnten Studien unumgänglich ist, nicht erfüllt werden konnte. Erst nach der
Erfindung des photographischen Druckverfahrens wurde auch dieser Übelstand
beseitigt, und im Laufe weniger Jahre ist jenes Verfahren durch Franzosen
und Deutsche so leistungsfähig gemacht worden, daß es nach der Seite der
Massenerzeugung der Nadirung vollständig den Boden untergraben hat. Bei
der Herstellung der Galeriewerke vermag jetzt die Nadirung nicht mehr mit der
Hello- und Photogravüre zu wetteifern, welche die Eigenschaft eines gefälligen,
bestechenden Aussehens mit dem Vorzuge wissenschaftlicher Genauigkeit verbindet,
den unser kritisches Zeitalter von Veröffentlichungen dieser Art fordert. Durch
die schnelle Verbreitung des photographischen Lichtdrucks und seiner Abarten,
die zum Teil für die Buchdruckerpresse verwendbar sind und dadurch den vor¬
nehmeren Gattungen der graphischen Künste noch mehr Abbruch thun, ist jetzt
auch bereits die reproduzirende Nadirung in eine Notlage geraten, und Grab¬
stichel und Radirnadel singen ein gemeinsames Klagelied.

Einsichtigen Beurteilern kann es freilich nicht verborgen bleiben, daß auch
die Heliogravüre, der mechanische Lichtknpferdruck, trotz gewisser Nachhilfen ans
der Platte mit Nadel und andern Werkzeugen, in ihrer Leistungsfähigkeit be¬
grenzt ist. Sie giebt den nachgebildeten Gemälden einen weichen, matten Glanz,
der nicht immer dem koloristischen Charakter der Originale angemessen ist.
Man kann ihre Wirkung auf das Auge am ehesten mit der der Schabkunstblntter
vergleichen, die sich im vorigen Jahrhundert einer großen Beliebtheit erfreuten,
und wie diese sich besonders brauchbar in der Nachbildung gewisser Meister erwiesen,
die nach starken Helldunkeleffekten strebten, wie z. B. F. Hals, Rembrandt, Don,
Rubens, Honthorst, Schakalen u. a., so wird man anch, sofern man den Schwer¬
punkt auf vollkommen treue, charakteristische Wiedergabe der koloristischen Haltung
der Originale legt, den Wirkungskreis der Heliogravüre beschränken müsse».
Einen Versuch, verschiedene reproduzirende Künste, insbesondere den Kupferstich,
die Radiruug und die Heliogravüre, nach dem Maßstabe ihrer Leistungsfähigkeit
zu beschäftigen und danach die Aufgaben zu stellen, hat kürzlich die Verwaltung
der Berliner Gemäldegalerie gemacht. Zu den beiden ersten Lieferungen eines
in großem Maßstabe angelegten Galeriewerkes sind Stecher und Nadirer heran¬
gezogen worden, deren Beteiligung im großen und ganzen so abgegrenzt
worden ist, daß den erstem die Italiener des 15. und des 16. Jahrhunderts,


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[0436] Vor 'Kupferstich und die vervielfältigenden Künste der Neuzeit. harten für wissenschaftliche Zwecke zu prüfen, und das Ergebnis dieser Prü¬ fungen war häufig so enttäuschend nud entmutigend, daß sich der Wunsch nach einem zuverlässigeren Ncproduktionsmittel immer lebhafter rege machte. Die Photographie selbst vermochte diesen Ersatz anfangs nicht zu bieten, weil sie den schweren, undurchsichtigen Schatten der alten niederländischen Gemälde nicht beizukommen vermochte, welche die Nadirnadcl so geschickt aufzuhellen verstand. Überdies war das alte Kopirverfahren so umständlich und ungleichmäßig, daß die Bedingung eines wohlfeilen Preises, die bei vergleichenden weit ausge¬ dehnten Studien unumgänglich ist, nicht erfüllt werden konnte. Erst nach der Erfindung des photographischen Druckverfahrens wurde auch dieser Übelstand beseitigt, und im Laufe weniger Jahre ist jenes Verfahren durch Franzosen und Deutsche so leistungsfähig gemacht worden, daß es nach der Seite der Massenerzeugung der Nadirung vollständig den Boden untergraben hat. Bei der Herstellung der Galeriewerke vermag jetzt die Nadirung nicht mehr mit der Hello- und Photogravüre zu wetteifern, welche die Eigenschaft eines gefälligen, bestechenden Aussehens mit dem Vorzuge wissenschaftlicher Genauigkeit verbindet, den unser kritisches Zeitalter von Veröffentlichungen dieser Art fordert. Durch die schnelle Verbreitung des photographischen Lichtdrucks und seiner Abarten, die zum Teil für die Buchdruckerpresse verwendbar sind und dadurch den vor¬ nehmeren Gattungen der graphischen Künste noch mehr Abbruch thun, ist jetzt auch bereits die reproduzirende Nadirung in eine Notlage geraten, und Grab¬ stichel und Radirnadel singen ein gemeinsames Klagelied. Einsichtigen Beurteilern kann es freilich nicht verborgen bleiben, daß auch die Heliogravüre, der mechanische Lichtknpferdruck, trotz gewisser Nachhilfen ans der Platte mit Nadel und andern Werkzeugen, in ihrer Leistungsfähigkeit be¬ grenzt ist. Sie giebt den nachgebildeten Gemälden einen weichen, matten Glanz, der nicht immer dem koloristischen Charakter der Originale angemessen ist. Man kann ihre Wirkung auf das Auge am ehesten mit der der Schabkunstblntter vergleichen, die sich im vorigen Jahrhundert einer großen Beliebtheit erfreuten, und wie diese sich besonders brauchbar in der Nachbildung gewisser Meister erwiesen, die nach starken Helldunkeleffekten strebten, wie z. B. F. Hals, Rembrandt, Don, Rubens, Honthorst, Schakalen u. a., so wird man anch, sofern man den Schwer¬ punkt auf vollkommen treue, charakteristische Wiedergabe der koloristischen Haltung der Originale legt, den Wirkungskreis der Heliogravüre beschränken müsse». Einen Versuch, verschiedene reproduzirende Künste, insbesondere den Kupferstich, die Radiruug und die Heliogravüre, nach dem Maßstabe ihrer Leistungsfähigkeit zu beschäftigen und danach die Aufgaben zu stellen, hat kürzlich die Verwaltung der Berliner Gemäldegalerie gemacht. Zu den beiden ersten Lieferungen eines in großem Maßstabe angelegten Galeriewerkes sind Stecher und Nadirer heran¬ gezogen worden, deren Beteiligung im großen und ganzen so abgegrenzt worden ist, daß den erstem die Italiener des 15. und des 16. Jahrhunderts,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_203434/436>, abgerufen am 02.07.2024.