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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr.

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Friedrich Vischer.

Wie gemütlich näher tritt uns Schiller in seinen Briefen! und welchen Wert
vollends haben für uns Goethes Jugendbriefe gewonnen! Darum heißen wir
auch eine schöne Reihe Freundesbriefe Wischers, die ihr Empfänger Julius
Ernst von Günthert, ein Landsmann des Verstorbenen, herausgegeben hat, aufs
Wärmste willkommen.*)

Musterhaft kann man die Ausgabe allerdings nicht nennen und das ist
zu bedauern, wenn man auch dem Herausgeber nicht gern einen Vorwurf daraus
mache" wird. Vischer war nicht darnach angethan, mit Männern, die ihm gleich-
giltig waren, schöngeistige Briefe zu wechseln, das Briefeschreiben war ihm viel¬
mehr eine schwere Last bei seiner ohnedies stark von Berufspflichten und litte¬
rarischen Arbeiten in Anspruch genommenen Zeit. Wenn er sich dennoch ein
Jahrzehnt lang (1861--1371) an einen und denselben Mann fleißig in Brief¬
form mitteilte, so mußten es starke Bande sein, die ihn an den Freund fesselten.
Die Bekanntschaft Gnntherts, der als Hauptmann in der Festung Ulm in
Garnison stand, hatte Bischer zufälligerweise im Theater von Ulm, bei einer
Vorstellung des Trauerspiels "Montrose" von Laube, im Frühjahr 1861 ge¬
macht. Sie saßen zusammen in derselben Loge. Im Zwischenakt machte der
Hauptmann eine Bemerkung über das Stück, Vischer fand sich davon so an¬
geregt, daß er in seiner geistreichen Weise sich des weitern über die Dichtung
und die Kunst im allgemeinen erging. Günthert gefiel ihm, er nahm die Ein¬
ladung, ihn zu besuchen an, und seitdem entspann sich ein schriftlicher und
persönlicher Verkehr zwischen Zürich, wo Vischer damals Professor war, und Ulm

Gleich aus dem zweiten Briefe ersehen wir, was beide vereinigte. Am
4. Januar 1862 schreibt Bischer aus Zürich: "Ihre freundlichen Zeilen sind
mir in die winterliche Stube unter die Bücher, zwischen denen ich begraben
sitze, wie ein Blumenblatt hereingefallen; ein Neujahrgruß, woher man ihn
nicht erwartete, von einer Seite, wo uns eine geistige Berührung durch ge¬
schriebenes Wort mehr Liebe gewann, als wir wußten, thut so recht besonders
wohl, und ich erwidere ihn mit herzlichem Dank und Händedruck. Gleich
starkes Gefühl für Kräftigung und Ehre unsers Vaterlandes, von Ihnen in
poetischer, von Thatendrang glühender Form ausgesprochen, hat uns zusammen¬
geführt; ein Band, das aus so starkem Stoffe besteht, ist wohl danach be¬
schaffen, Männer dauernd zu vereinen." Also Politik und Poesie, insbesondre
die still, aber mit Begeisterung gehegte deutsche Einheitsidee führte die beiden
Männer zusammen, die Freunde bis zum Abgang des ältern von ihnen ge¬
blieben sind. Jedenfalls muß Günthert ein ausgezeichneter Mensch gewesen
sein, wenn er Vischer in langen Jahren so fesseln und zu den vertraulichsten
Mitteilungen aller Art veranlassen konnte. Bezeichnend für die Wärme seines



*) Friedrich Theodor Bischer. Ein Charakterbild. Allen Freunden gewidmet
von Julius Ernst von Günthert. Stuttgart, Bonz, 1889.
Friedrich Vischer.

Wie gemütlich näher tritt uns Schiller in seinen Briefen! und welchen Wert
vollends haben für uns Goethes Jugendbriefe gewonnen! Darum heißen wir
auch eine schöne Reihe Freundesbriefe Wischers, die ihr Empfänger Julius
Ernst von Günthert, ein Landsmann des Verstorbenen, herausgegeben hat, aufs
Wärmste willkommen.*)

Musterhaft kann man die Ausgabe allerdings nicht nennen und das ist
zu bedauern, wenn man auch dem Herausgeber nicht gern einen Vorwurf daraus
mache» wird. Vischer war nicht darnach angethan, mit Männern, die ihm gleich-
giltig waren, schöngeistige Briefe zu wechseln, das Briefeschreiben war ihm viel¬
mehr eine schwere Last bei seiner ohnedies stark von Berufspflichten und litte¬
rarischen Arbeiten in Anspruch genommenen Zeit. Wenn er sich dennoch ein
Jahrzehnt lang (1861—1371) an einen und denselben Mann fleißig in Brief¬
form mitteilte, so mußten es starke Bande sein, die ihn an den Freund fesselten.
Die Bekanntschaft Gnntherts, der als Hauptmann in der Festung Ulm in
Garnison stand, hatte Bischer zufälligerweise im Theater von Ulm, bei einer
Vorstellung des Trauerspiels „Montrose" von Laube, im Frühjahr 1861 ge¬
macht. Sie saßen zusammen in derselben Loge. Im Zwischenakt machte der
Hauptmann eine Bemerkung über das Stück, Vischer fand sich davon so an¬
geregt, daß er in seiner geistreichen Weise sich des weitern über die Dichtung
und die Kunst im allgemeinen erging. Günthert gefiel ihm, er nahm die Ein¬
ladung, ihn zu besuchen an, und seitdem entspann sich ein schriftlicher und
persönlicher Verkehr zwischen Zürich, wo Vischer damals Professor war, und Ulm

Gleich aus dem zweiten Briefe ersehen wir, was beide vereinigte. Am
4. Januar 1862 schreibt Bischer aus Zürich: „Ihre freundlichen Zeilen sind
mir in die winterliche Stube unter die Bücher, zwischen denen ich begraben
sitze, wie ein Blumenblatt hereingefallen; ein Neujahrgruß, woher man ihn
nicht erwartete, von einer Seite, wo uns eine geistige Berührung durch ge¬
schriebenes Wort mehr Liebe gewann, als wir wußten, thut so recht besonders
wohl, und ich erwidere ihn mit herzlichem Dank und Händedruck. Gleich
starkes Gefühl für Kräftigung und Ehre unsers Vaterlandes, von Ihnen in
poetischer, von Thatendrang glühender Form ausgesprochen, hat uns zusammen¬
geführt; ein Band, das aus so starkem Stoffe besteht, ist wohl danach be¬
schaffen, Männer dauernd zu vereinen." Also Politik und Poesie, insbesondre
die still, aber mit Begeisterung gehegte deutsche Einheitsidee führte die beiden
Männer zusammen, die Freunde bis zum Abgang des ältern von ihnen ge¬
blieben sind. Jedenfalls muß Günthert ein ausgezeichneter Mensch gewesen
sein, wenn er Vischer in langen Jahren so fesseln und zu den vertraulichsten
Mitteilungen aller Art veranlassen konnte. Bezeichnend für die Wärme seines



*) Friedrich Theodor Bischer. Ein Charakterbild. Allen Freunden gewidmet
von Julius Ernst von Günthert. Stuttgart, Bonz, 1889.
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[0418] Friedrich Vischer. Wie gemütlich näher tritt uns Schiller in seinen Briefen! und welchen Wert vollends haben für uns Goethes Jugendbriefe gewonnen! Darum heißen wir auch eine schöne Reihe Freundesbriefe Wischers, die ihr Empfänger Julius Ernst von Günthert, ein Landsmann des Verstorbenen, herausgegeben hat, aufs Wärmste willkommen.*) Musterhaft kann man die Ausgabe allerdings nicht nennen und das ist zu bedauern, wenn man auch dem Herausgeber nicht gern einen Vorwurf daraus mache» wird. Vischer war nicht darnach angethan, mit Männern, die ihm gleich- giltig waren, schöngeistige Briefe zu wechseln, das Briefeschreiben war ihm viel¬ mehr eine schwere Last bei seiner ohnedies stark von Berufspflichten und litte¬ rarischen Arbeiten in Anspruch genommenen Zeit. Wenn er sich dennoch ein Jahrzehnt lang (1861—1371) an einen und denselben Mann fleißig in Brief¬ form mitteilte, so mußten es starke Bande sein, die ihn an den Freund fesselten. Die Bekanntschaft Gnntherts, der als Hauptmann in der Festung Ulm in Garnison stand, hatte Bischer zufälligerweise im Theater von Ulm, bei einer Vorstellung des Trauerspiels „Montrose" von Laube, im Frühjahr 1861 ge¬ macht. Sie saßen zusammen in derselben Loge. Im Zwischenakt machte der Hauptmann eine Bemerkung über das Stück, Vischer fand sich davon so an¬ geregt, daß er in seiner geistreichen Weise sich des weitern über die Dichtung und die Kunst im allgemeinen erging. Günthert gefiel ihm, er nahm die Ein¬ ladung, ihn zu besuchen an, und seitdem entspann sich ein schriftlicher und persönlicher Verkehr zwischen Zürich, wo Vischer damals Professor war, und Ulm Gleich aus dem zweiten Briefe ersehen wir, was beide vereinigte. Am 4. Januar 1862 schreibt Bischer aus Zürich: „Ihre freundlichen Zeilen sind mir in die winterliche Stube unter die Bücher, zwischen denen ich begraben sitze, wie ein Blumenblatt hereingefallen; ein Neujahrgruß, woher man ihn nicht erwartete, von einer Seite, wo uns eine geistige Berührung durch ge¬ schriebenes Wort mehr Liebe gewann, als wir wußten, thut so recht besonders wohl, und ich erwidere ihn mit herzlichem Dank und Händedruck. Gleich starkes Gefühl für Kräftigung und Ehre unsers Vaterlandes, von Ihnen in poetischer, von Thatendrang glühender Form ausgesprochen, hat uns zusammen¬ geführt; ein Band, das aus so starkem Stoffe besteht, ist wohl danach be¬ schaffen, Männer dauernd zu vereinen." Also Politik und Poesie, insbesondre die still, aber mit Begeisterung gehegte deutsche Einheitsidee führte die beiden Männer zusammen, die Freunde bis zum Abgang des ältern von ihnen ge¬ blieben sind. Jedenfalls muß Günthert ein ausgezeichneter Mensch gewesen sein, wenn er Vischer in langen Jahren so fesseln und zu den vertraulichsten Mitteilungen aller Art veranlassen konnte. Bezeichnend für die Wärme seines *) Friedrich Theodor Bischer. Ein Charakterbild. Allen Freunden gewidmet von Julius Ernst von Günthert. Stuttgart, Bonz, 1889.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_203434/418>, abgerufen am 02.07.2024.