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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr.

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Die preußische Landtagswahl und die römische Frage.

rechten Ausgangspunkte zu gewinnen. Hierfür bot die nun einmal unver¬
meidliche Landtagsneuwahl andrerseits doch gewisse Voraussetzungen.

Die abgelaufene Legislaturperiode hatte den Kirchcnfrieden mit Rom zu
Stande gebracht. Man durfte somit erwarten, wenigstens nach dieser Richtung
hin ein Element langjähriger Zwietracht aus dem Wahlkampfe ausgeschieden
und die Zentrumspartei eine Haltung einnehmen zu sehen, die dem eingetretenen
Friedenszustande, den guten Beziehungen zwischen Berlin und Rom, der bevor¬
stehenden Begegnung des Kaisers mit dem Papste entsprechen wurde. Das
Verhalten der Führer in dem seit dem Friedensgesetze vom 29. April 1887
abgelaufenen Jahre hatte freilich wenig dazu beigetragen, solche Erwartungen
zu rechtfertigen -- die Erinnerung an den Windthorstschcn Schulantrag, an
seine Sprache bei der Beratung des Kultusetats, an die Trierer Generalversamm¬
lung lag nahe genug --; dennoch war die Annahme nicht unbegründet, daß
die neue Lage dem Zentrum, einer preußischen Partei, zunächst ein ruhiges
Abwarten als ein Gebot ebenso der politischen Klugheit wie des politischen
Auslandes auferlegen würde. Zumal nach der Huldigungsadresfe ber Bischöfe
vom 29. August durfte vorausgesetzt werden, daß diese ihren Einfluß im Sinne
patriotischer Mäßigung geltend machen würden.

Die Wiederherstellung des Kirchenfriedens im Nahmen des Möglichen war
einer der letzten Wünsche und eine der letzten Thaten unsers ersten Kaisers.
Nachdem es ihm beschieden gewesen war, die höchsten patriotischen Ziele der
Nation im Einklang mit dem monarchischen Prinzip seines Hauses zu ver¬
wirklichen, hatte es ihn umsomehr bekümmert, daß den Deutschen diese hei߬
ersehnte und heißcrrungene Frucht durch die schwersten innern Kämpfe vergällt
wurde. Der Individualismus im deutschen Volke brauchte Zeit und mußte
austoben, ehe er sich den neuen Ordnungen der Reichsgemeinschaft einpaßte;
die neue Zeit brachte neue Strömungen, für die das sichere Bett erst geschaffen
werden mußte, neue Ansprüche, für deren Befriedigung erst die Form zu finden
war. So blieb die 27jährige Regierungszeit Kaiser Wilhelms I. von den
schwersten Aufgaben, die in unsern Tagen einem Herrscher zufallen konnten, er¬
füllt, Aufgaben, wie sie in solchem Alter noch nie ein Monarch gelöst hat. Er
unterzog sich ihnen mit der Hoffnung auf eine um so gesichertere Zukunft, für
die seinem Sohne und Nachfolger ein nach außen geachtetes, gut bewehrtes
und in sichern Bündnissen stehendes Reich, nach innen ein einiges und befrie¬
digtes Volk zu hinterlassen sein Streben war. Diesem Ziele hat er manches
Opfer seiner Überzeugung gebracht, wie denn überhaupt die erhabensten Seiten
seiner Herrschergröße in der Selbstbescheidung und Unterordnung der eignen
Anschauung unter Staatszweck und Königspflicht beruhen.

Diesem schlichten Heldentum des großen Königs und Kaisers verdankt das
Kirchengesetz vom 29. April 1887 die Unterschrift. In Rom nahm man es
mit lautem Danke, in den Zentrumskreisen des eignen Landes zum Teil mit


Die preußische Landtagswahl und die römische Frage.

rechten Ausgangspunkte zu gewinnen. Hierfür bot die nun einmal unver¬
meidliche Landtagsneuwahl andrerseits doch gewisse Voraussetzungen.

Die abgelaufene Legislaturperiode hatte den Kirchcnfrieden mit Rom zu
Stande gebracht. Man durfte somit erwarten, wenigstens nach dieser Richtung
hin ein Element langjähriger Zwietracht aus dem Wahlkampfe ausgeschieden
und die Zentrumspartei eine Haltung einnehmen zu sehen, die dem eingetretenen
Friedenszustande, den guten Beziehungen zwischen Berlin und Rom, der bevor¬
stehenden Begegnung des Kaisers mit dem Papste entsprechen wurde. Das
Verhalten der Führer in dem seit dem Friedensgesetze vom 29. April 1887
abgelaufenen Jahre hatte freilich wenig dazu beigetragen, solche Erwartungen
zu rechtfertigen — die Erinnerung an den Windthorstschcn Schulantrag, an
seine Sprache bei der Beratung des Kultusetats, an die Trierer Generalversamm¬
lung lag nahe genug —; dennoch war die Annahme nicht unbegründet, daß
die neue Lage dem Zentrum, einer preußischen Partei, zunächst ein ruhiges
Abwarten als ein Gebot ebenso der politischen Klugheit wie des politischen
Auslandes auferlegen würde. Zumal nach der Huldigungsadresfe ber Bischöfe
vom 29. August durfte vorausgesetzt werden, daß diese ihren Einfluß im Sinne
patriotischer Mäßigung geltend machen würden.

Die Wiederherstellung des Kirchenfriedens im Nahmen des Möglichen war
einer der letzten Wünsche und eine der letzten Thaten unsers ersten Kaisers.
Nachdem es ihm beschieden gewesen war, die höchsten patriotischen Ziele der
Nation im Einklang mit dem monarchischen Prinzip seines Hauses zu ver¬
wirklichen, hatte es ihn umsomehr bekümmert, daß den Deutschen diese hei߬
ersehnte und heißcrrungene Frucht durch die schwersten innern Kämpfe vergällt
wurde. Der Individualismus im deutschen Volke brauchte Zeit und mußte
austoben, ehe er sich den neuen Ordnungen der Reichsgemeinschaft einpaßte;
die neue Zeit brachte neue Strömungen, für die das sichere Bett erst geschaffen
werden mußte, neue Ansprüche, für deren Befriedigung erst die Form zu finden
war. So blieb die 27jährige Regierungszeit Kaiser Wilhelms I. von den
schwersten Aufgaben, die in unsern Tagen einem Herrscher zufallen konnten, er¬
füllt, Aufgaben, wie sie in solchem Alter noch nie ein Monarch gelöst hat. Er
unterzog sich ihnen mit der Hoffnung auf eine um so gesichertere Zukunft, für
die seinem Sohne und Nachfolger ein nach außen geachtetes, gut bewehrtes
und in sichern Bündnissen stehendes Reich, nach innen ein einiges und befrie¬
digtes Volk zu hinterlassen sein Streben war. Diesem Ziele hat er manches
Opfer seiner Überzeugung gebracht, wie denn überhaupt die erhabensten Seiten
seiner Herrschergröße in der Selbstbescheidung und Unterordnung der eignen
Anschauung unter Staatszweck und Königspflicht beruhen.

Diesem schlichten Heldentum des großen Königs und Kaisers verdankt das
Kirchengesetz vom 29. April 1887 die Unterschrift. In Rom nahm man es
mit lautem Danke, in den Zentrumskreisen des eignen Landes zum Teil mit


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[0381] Die preußische Landtagswahl und die römische Frage. rechten Ausgangspunkte zu gewinnen. Hierfür bot die nun einmal unver¬ meidliche Landtagsneuwahl andrerseits doch gewisse Voraussetzungen. Die abgelaufene Legislaturperiode hatte den Kirchcnfrieden mit Rom zu Stande gebracht. Man durfte somit erwarten, wenigstens nach dieser Richtung hin ein Element langjähriger Zwietracht aus dem Wahlkampfe ausgeschieden und die Zentrumspartei eine Haltung einnehmen zu sehen, die dem eingetretenen Friedenszustande, den guten Beziehungen zwischen Berlin und Rom, der bevor¬ stehenden Begegnung des Kaisers mit dem Papste entsprechen wurde. Das Verhalten der Führer in dem seit dem Friedensgesetze vom 29. April 1887 abgelaufenen Jahre hatte freilich wenig dazu beigetragen, solche Erwartungen zu rechtfertigen — die Erinnerung an den Windthorstschcn Schulantrag, an seine Sprache bei der Beratung des Kultusetats, an die Trierer Generalversamm¬ lung lag nahe genug —; dennoch war die Annahme nicht unbegründet, daß die neue Lage dem Zentrum, einer preußischen Partei, zunächst ein ruhiges Abwarten als ein Gebot ebenso der politischen Klugheit wie des politischen Auslandes auferlegen würde. Zumal nach der Huldigungsadresfe ber Bischöfe vom 29. August durfte vorausgesetzt werden, daß diese ihren Einfluß im Sinne patriotischer Mäßigung geltend machen würden. Die Wiederherstellung des Kirchenfriedens im Nahmen des Möglichen war einer der letzten Wünsche und eine der letzten Thaten unsers ersten Kaisers. Nachdem es ihm beschieden gewesen war, die höchsten patriotischen Ziele der Nation im Einklang mit dem monarchischen Prinzip seines Hauses zu ver¬ wirklichen, hatte es ihn umsomehr bekümmert, daß den Deutschen diese hei߬ ersehnte und heißcrrungene Frucht durch die schwersten innern Kämpfe vergällt wurde. Der Individualismus im deutschen Volke brauchte Zeit und mußte austoben, ehe er sich den neuen Ordnungen der Reichsgemeinschaft einpaßte; die neue Zeit brachte neue Strömungen, für die das sichere Bett erst geschaffen werden mußte, neue Ansprüche, für deren Befriedigung erst die Form zu finden war. So blieb die 27jährige Regierungszeit Kaiser Wilhelms I. von den schwersten Aufgaben, die in unsern Tagen einem Herrscher zufallen konnten, er¬ füllt, Aufgaben, wie sie in solchem Alter noch nie ein Monarch gelöst hat. Er unterzog sich ihnen mit der Hoffnung auf eine um so gesichertere Zukunft, für die seinem Sohne und Nachfolger ein nach außen geachtetes, gut bewehrtes und in sichern Bündnissen stehendes Reich, nach innen ein einiges und befrie¬ digtes Volk zu hinterlassen sein Streben war. Diesem Ziele hat er manches Opfer seiner Überzeugung gebracht, wie denn überhaupt die erhabensten Seiten seiner Herrschergröße in der Selbstbescheidung und Unterordnung der eignen Anschauung unter Staatszweck und Königspflicht beruhen. Diesem schlichten Heldentum des großen Königs und Kaisers verdankt das Kirchengesetz vom 29. April 1887 die Unterschrift. In Rom nahm man es mit lautem Danke, in den Zentrumskreisen des eignen Landes zum Teil mit

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_203434/381>, abgerufen am 30.06.2024.