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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr.

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Halbastatisches,

licher Mensch zu sein, gleichwohl in seinem dreißigsten Jahre das sechste Weil)
genommen hat, weil ihm die jüdischen Gesetze beliebige Trauung und Scheidung
gestatten und zur Scheiutrauung eines elfjährigen Judenbuben mit einer funfzig¬
jährigen alten Köchin oder Trödlcrswitwe gefällig die Hand bieten- Auch diesem
Wahnsinn liegt die Furcht vor dem Militärdienst zu grunde, andern wider¬
wärtigen Judenehcn, von denen der Verfasser zu erzählen weiß, die Erwerb¬
gier oder die religiöse Scheu vor einer kinderlosen Ehe. welche dem orthodoxen
Juden eigentümlich ist.

Die Mehrzahl der Bilder, die Franzos entwirft, hinterläßt einen höchst
düstern und peinlichen Eindruck. Die frische, lebensvolle Darstellung allein
kann darüber nicht hinweghelfen, selbst der Humor, den der Verfasser gelegent¬
lich entwickelt, erscheint gepreßt. Die widrigen Erscheinungen halbasiatischcu
Lebens drücken nicht mehr auf den Schriftsteller, aber sie treten als Gespenster
in seine Träume. Wir glauben nicht, daß die Wahrheit feiner Berichte irgend
bestritten werden kann, höchstens könnte man ihn anschuldigen, daß er den
etwaigen günstigen Ausnahmen einen zu geringen Wert beigelegt habe. Doch
wo er der "Ausnahmen" gedenkt, kommt er gleichfalls zu bedenklichen Ergeb¬
nissen. In dem größern Aufsatze über "Frauenleben in Halbasien" kann der
Verfasser dem alten Thema vom Prügeln der Frauen nicht ausweichen. Bei
einem mehrwochentlichen Aufenthalte im Dorfe Berchomet in der Bukowina, er¬
zählt er uns, lernte ich einen jungen reichen Bauern kennen, der an Begabung
und Bildungsstreben turmhoch über seinesgleichen stand. Er sprach etwas
deutsch, las und schrieb fertig seine ruthenische Muttersprache, war auf ein
landwirtschaftliches und ein politisches Wochenblatt abonnirt, hielt seine große
Wirtschaft ausgezeichnet im Stande, förderte die Schule seines Dorfes, kurz,
mein Michelko war ein wahrer Mustermensch. Auch hatte er sein blühendes,
prächtiges Weib in seiner Art gewiß sehr lieb, aber er prügelte es doch recht
häusig und ausgiebig, wenn er einen Grund dazu zu haben glaubte oder auch
ohne denselben, wie es eben kam. Ich machte ihm einmal sanfte Vorwürfe
darüber: Wie kann ein Mensch wie Sie derlei thun? -- Er blickte mich höchst
erstaunt an. Aber es ist mein Weib! rief er. -- Eben darum, erwiederte ich. --
Nun wuchs sein Erstaunen. Mein Weib, wiederholte er. Eine Fremde würde
ich nicht anrühren. Aber wer anders, als ich, soll mein Weib schlagen? --
Muß es denn überhaupt geschehen? fragte ich. -- Es muß! erwiederte er ernst,
im Tone tiefster Überzeugung. Man muß jeder, selbst der besten, zuweilen den
Unterschied fühlbar machen. -- Den Unterschied? Aber ist ein Weib kein mensch-
liches Wesen? -- Ja, aber in andrer Art. Wir sind Männer, und sie sind
Weiber. Das ist doch klar! -- Ich schwieg; ich glaube, ich hätte diesem unge¬
wöhnlich talentirter Menschen eher die Hegelsche Philosophie beibringen können
als die Ansicht, daß man sein Weib nicht schlagen dürfe.

Die wenigen wirklichen Ausnahmen, so will uns der Verfasser andeuten,


Halbastatisches,

licher Mensch zu sein, gleichwohl in seinem dreißigsten Jahre das sechste Weil)
genommen hat, weil ihm die jüdischen Gesetze beliebige Trauung und Scheidung
gestatten und zur Scheiutrauung eines elfjährigen Judenbuben mit einer funfzig¬
jährigen alten Köchin oder Trödlcrswitwe gefällig die Hand bieten- Auch diesem
Wahnsinn liegt die Furcht vor dem Militärdienst zu grunde, andern wider¬
wärtigen Judenehcn, von denen der Verfasser zu erzählen weiß, die Erwerb¬
gier oder die religiöse Scheu vor einer kinderlosen Ehe. welche dem orthodoxen
Juden eigentümlich ist.

Die Mehrzahl der Bilder, die Franzos entwirft, hinterläßt einen höchst
düstern und peinlichen Eindruck. Die frische, lebensvolle Darstellung allein
kann darüber nicht hinweghelfen, selbst der Humor, den der Verfasser gelegent¬
lich entwickelt, erscheint gepreßt. Die widrigen Erscheinungen halbasiatischcu
Lebens drücken nicht mehr auf den Schriftsteller, aber sie treten als Gespenster
in seine Träume. Wir glauben nicht, daß die Wahrheit feiner Berichte irgend
bestritten werden kann, höchstens könnte man ihn anschuldigen, daß er den
etwaigen günstigen Ausnahmen einen zu geringen Wert beigelegt habe. Doch
wo er der „Ausnahmen" gedenkt, kommt er gleichfalls zu bedenklichen Ergeb¬
nissen. In dem größern Aufsatze über „Frauenleben in Halbasien" kann der
Verfasser dem alten Thema vom Prügeln der Frauen nicht ausweichen. Bei
einem mehrwochentlichen Aufenthalte im Dorfe Berchomet in der Bukowina, er¬
zählt er uns, lernte ich einen jungen reichen Bauern kennen, der an Begabung
und Bildungsstreben turmhoch über seinesgleichen stand. Er sprach etwas
deutsch, las und schrieb fertig seine ruthenische Muttersprache, war auf ein
landwirtschaftliches und ein politisches Wochenblatt abonnirt, hielt seine große
Wirtschaft ausgezeichnet im Stande, förderte die Schule seines Dorfes, kurz,
mein Michelko war ein wahrer Mustermensch. Auch hatte er sein blühendes,
prächtiges Weib in seiner Art gewiß sehr lieb, aber er prügelte es doch recht
häusig und ausgiebig, wenn er einen Grund dazu zu haben glaubte oder auch
ohne denselben, wie es eben kam. Ich machte ihm einmal sanfte Vorwürfe
darüber: Wie kann ein Mensch wie Sie derlei thun? — Er blickte mich höchst
erstaunt an. Aber es ist mein Weib! rief er. — Eben darum, erwiederte ich. —
Nun wuchs sein Erstaunen. Mein Weib, wiederholte er. Eine Fremde würde
ich nicht anrühren. Aber wer anders, als ich, soll mein Weib schlagen? —
Muß es denn überhaupt geschehen? fragte ich. — Es muß! erwiederte er ernst,
im Tone tiefster Überzeugung. Man muß jeder, selbst der besten, zuweilen den
Unterschied fühlbar machen. — Den Unterschied? Aber ist ein Weib kein mensch-
liches Wesen? — Ja, aber in andrer Art. Wir sind Männer, und sie sind
Weiber. Das ist doch klar! — Ich schwieg; ich glaube, ich hätte diesem unge¬
wöhnlich talentirter Menschen eher die Hegelsche Philosophie beibringen können
als die Ansicht, daß man sein Weib nicht schlagen dürfe.

Die wenigen wirklichen Ausnahmen, so will uns der Verfasser andeuten,


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[0379] Halbastatisches, licher Mensch zu sein, gleichwohl in seinem dreißigsten Jahre das sechste Weil) genommen hat, weil ihm die jüdischen Gesetze beliebige Trauung und Scheidung gestatten und zur Scheiutrauung eines elfjährigen Judenbuben mit einer funfzig¬ jährigen alten Köchin oder Trödlcrswitwe gefällig die Hand bieten- Auch diesem Wahnsinn liegt die Furcht vor dem Militärdienst zu grunde, andern wider¬ wärtigen Judenehcn, von denen der Verfasser zu erzählen weiß, die Erwerb¬ gier oder die religiöse Scheu vor einer kinderlosen Ehe. welche dem orthodoxen Juden eigentümlich ist. Die Mehrzahl der Bilder, die Franzos entwirft, hinterläßt einen höchst düstern und peinlichen Eindruck. Die frische, lebensvolle Darstellung allein kann darüber nicht hinweghelfen, selbst der Humor, den der Verfasser gelegent¬ lich entwickelt, erscheint gepreßt. Die widrigen Erscheinungen halbasiatischcu Lebens drücken nicht mehr auf den Schriftsteller, aber sie treten als Gespenster in seine Träume. Wir glauben nicht, daß die Wahrheit feiner Berichte irgend bestritten werden kann, höchstens könnte man ihn anschuldigen, daß er den etwaigen günstigen Ausnahmen einen zu geringen Wert beigelegt habe. Doch wo er der „Ausnahmen" gedenkt, kommt er gleichfalls zu bedenklichen Ergeb¬ nissen. In dem größern Aufsatze über „Frauenleben in Halbasien" kann der Verfasser dem alten Thema vom Prügeln der Frauen nicht ausweichen. Bei einem mehrwochentlichen Aufenthalte im Dorfe Berchomet in der Bukowina, er¬ zählt er uns, lernte ich einen jungen reichen Bauern kennen, der an Begabung und Bildungsstreben turmhoch über seinesgleichen stand. Er sprach etwas deutsch, las und schrieb fertig seine ruthenische Muttersprache, war auf ein landwirtschaftliches und ein politisches Wochenblatt abonnirt, hielt seine große Wirtschaft ausgezeichnet im Stande, förderte die Schule seines Dorfes, kurz, mein Michelko war ein wahrer Mustermensch. Auch hatte er sein blühendes, prächtiges Weib in seiner Art gewiß sehr lieb, aber er prügelte es doch recht häusig und ausgiebig, wenn er einen Grund dazu zu haben glaubte oder auch ohne denselben, wie es eben kam. Ich machte ihm einmal sanfte Vorwürfe darüber: Wie kann ein Mensch wie Sie derlei thun? — Er blickte mich höchst erstaunt an. Aber es ist mein Weib! rief er. — Eben darum, erwiederte ich. — Nun wuchs sein Erstaunen. Mein Weib, wiederholte er. Eine Fremde würde ich nicht anrühren. Aber wer anders, als ich, soll mein Weib schlagen? — Muß es denn überhaupt geschehen? fragte ich. — Es muß! erwiederte er ernst, im Tone tiefster Überzeugung. Man muß jeder, selbst der besten, zuweilen den Unterschied fühlbar machen. — Den Unterschied? Aber ist ein Weib kein mensch- liches Wesen? — Ja, aber in andrer Art. Wir sind Männer, und sie sind Weiber. Das ist doch klar! — Ich schwieg; ich glaube, ich hätte diesem unge¬ wöhnlich talentirter Menschen eher die Hegelsche Philosophie beibringen können als die Ansicht, daß man sein Weib nicht schlagen dürfe. Die wenigen wirklichen Ausnahmen, so will uns der Verfasser andeuten,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_203434/379>, abgerufen am 30.06.2024.