Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Die Stellung Bismarcks und des Kronprinzen zu Baiern im Mintor ^8?0.

sind leicht zu widerlegen. Schon als Göttinger Student sehnte er sich nach
der deutschen Einheit so warm und lebhaft wie die Burschenschaft, der er "nur
wegen ihrer Mensur- und Bierschen nicht beitrat." Wie diese Sehnsucht ihn
als Abgeordneten und später als Bundestagsgesandter erfüllte -- jetzt freilich
die Sehnsucht nach einer erreichbaren und haltbaren Einheit der Deutschen --,
ist sattsam bekannt, und mit vollem Rechte konnte er am 9. Juli 1879 im
Reichstage von sich sagen: "Ich habe von Anfang meiner Karriere an nur
den einen Leitstern gehabt: durch welche Mittel und auf welchem Wege kann
ich Deutschland zur Einigung bringen, und wie kaun ich, wenn das erreicht ist,
es befestigen, fördern und so gestalten, daß es aus freiem Willen aller Mit¬
wirkenden dauernd erhalten wird." Am 24. Februar 1881 erklärte er ebenda:
"Alle Systeme, durch welche sich die Parteien getrennt und gebunden fühlen,
stehen für mich erst in zweiter Linie; in erster steht die Nation, ihre Stellung
nach außen, ihre Selbständigkeit, unsre Organisation in der Weise, daß wir
als großes Volk in der Welt frei atmen können ... Es giebt Zeiten, wo man
liberal, und solche, wo man diktatorisch regieren muß, es wechselt alles, hier
giebt es keine Ewigkeit; aber von dem Bau des Reiches, von der Einigkeit der
Nation verlange ich, daß sie sturmfrei dastehen, nicht blos eine passagere Fcld-
befestigung zur Seite haben."

Kein Zweifel also, daß Bismarck und der Verfasser des Kriegstagebuchs,
das Professor Geffcken auszugsweise veröffentlicht hat, 1870 zu Versailles im
wesentlichen dasselbe Ziel vor Augen hatten. Dagegen unterschieden sie sich
in ihrer Stellung zu den süddeutschen Staaten, namentlich zu Baiern, und
in den Mitteln und Maßen, mit denen vorgegangen werden sollte, sehr erheblich
und, durchaus nicht blos staatsmännisch betrachtet und gewogen, nicht zum Vor¬
teile des Kronprinzen, der als der leidenschaftliche, rücksichtslose, ungeduldige
und darum unbillige Gemütsmensch erscheint, während der Kanzler ihm als das
Bild des nüchternen, kühlen, sich den Umständen fügenden und sich mit Er¬
strebung und Erlangung des Wesentlichen begnügenden Politikers, zugleich aber
als das des gerechten und billigen Mannes gegenübersteht. Der Kronprinz
dachte an Wege, die ihn an Markgraf Gero und die Wendcnfürsten sowie an
die Schlacht bei Sendling erinnern ließen, was thatsächlich schon einige Wochen
vor dem Auftritte in Versailles geschah. Der Kanzler zog den Weg der Treue,
der Mcißignng, der Einigung in Güte vor, der zugleich der Weg der Klug¬
heit war.

In den Zeitungen fand man damals eine Schilderung der Stimmung in
Baiern, die nach dem Berichte eines süddeutschen Gesandten abgefaßt war und
zuverlässig zu sein schien, aber wenig zu der betreffenden Stelle im Tagebuche
stimmt. Es heißt darin u. a.:

Die hier mitgeteilten Nachrichten sind großenteils gut, nur einige davon
könnte man sich besser wünschen. Der deutsche Gedanke hat durch den Krieg ungen-


Die Stellung Bismarcks und des Kronprinzen zu Baiern im Mintor ^8?0.

sind leicht zu widerlegen. Schon als Göttinger Student sehnte er sich nach
der deutschen Einheit so warm und lebhaft wie die Burschenschaft, der er „nur
wegen ihrer Mensur- und Bierschen nicht beitrat." Wie diese Sehnsucht ihn
als Abgeordneten und später als Bundestagsgesandter erfüllte — jetzt freilich
die Sehnsucht nach einer erreichbaren und haltbaren Einheit der Deutschen —,
ist sattsam bekannt, und mit vollem Rechte konnte er am 9. Juli 1879 im
Reichstage von sich sagen: „Ich habe von Anfang meiner Karriere an nur
den einen Leitstern gehabt: durch welche Mittel und auf welchem Wege kann
ich Deutschland zur Einigung bringen, und wie kaun ich, wenn das erreicht ist,
es befestigen, fördern und so gestalten, daß es aus freiem Willen aller Mit¬
wirkenden dauernd erhalten wird." Am 24. Februar 1881 erklärte er ebenda:
„Alle Systeme, durch welche sich die Parteien getrennt und gebunden fühlen,
stehen für mich erst in zweiter Linie; in erster steht die Nation, ihre Stellung
nach außen, ihre Selbständigkeit, unsre Organisation in der Weise, daß wir
als großes Volk in der Welt frei atmen können ... Es giebt Zeiten, wo man
liberal, und solche, wo man diktatorisch regieren muß, es wechselt alles, hier
giebt es keine Ewigkeit; aber von dem Bau des Reiches, von der Einigkeit der
Nation verlange ich, daß sie sturmfrei dastehen, nicht blos eine passagere Fcld-
befestigung zur Seite haben."

Kein Zweifel also, daß Bismarck und der Verfasser des Kriegstagebuchs,
das Professor Geffcken auszugsweise veröffentlicht hat, 1870 zu Versailles im
wesentlichen dasselbe Ziel vor Augen hatten. Dagegen unterschieden sie sich
in ihrer Stellung zu den süddeutschen Staaten, namentlich zu Baiern, und
in den Mitteln und Maßen, mit denen vorgegangen werden sollte, sehr erheblich
und, durchaus nicht blos staatsmännisch betrachtet und gewogen, nicht zum Vor¬
teile des Kronprinzen, der als der leidenschaftliche, rücksichtslose, ungeduldige
und darum unbillige Gemütsmensch erscheint, während der Kanzler ihm als das
Bild des nüchternen, kühlen, sich den Umständen fügenden und sich mit Er¬
strebung und Erlangung des Wesentlichen begnügenden Politikers, zugleich aber
als das des gerechten und billigen Mannes gegenübersteht. Der Kronprinz
dachte an Wege, die ihn an Markgraf Gero und die Wendcnfürsten sowie an
die Schlacht bei Sendling erinnern ließen, was thatsächlich schon einige Wochen
vor dem Auftritte in Versailles geschah. Der Kanzler zog den Weg der Treue,
der Mcißignng, der Einigung in Güte vor, der zugleich der Weg der Klug¬
heit war.

In den Zeitungen fand man damals eine Schilderung der Stimmung in
Baiern, die nach dem Berichte eines süddeutschen Gesandten abgefaßt war und
zuverlässig zu sein schien, aber wenig zu der betreffenden Stelle im Tagebuche
stimmt. Es heißt darin u. a.:

Die hier mitgeteilten Nachrichten sind großenteils gut, nur einige davon
könnte man sich besser wünschen. Der deutsche Gedanke hat durch den Krieg ungen-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0358" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/203793"/>
          <fw type="header" place="top"> Die Stellung Bismarcks und des Kronprinzen zu Baiern im Mintor ^8?0.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_900" prev="#ID_899"> sind leicht zu widerlegen. Schon als Göttinger Student sehnte er sich nach<lb/>
der deutschen Einheit so warm und lebhaft wie die Burschenschaft, der er &#x201E;nur<lb/>
wegen ihrer Mensur- und Bierschen nicht beitrat." Wie diese Sehnsucht ihn<lb/>
als Abgeordneten und später als Bundestagsgesandter erfüllte &#x2014; jetzt freilich<lb/>
die Sehnsucht nach einer erreichbaren und haltbaren Einheit der Deutschen &#x2014;,<lb/>
ist sattsam bekannt, und mit vollem Rechte konnte er am 9. Juli 1879 im<lb/>
Reichstage von sich sagen: &#x201E;Ich habe von Anfang meiner Karriere an nur<lb/>
den einen Leitstern gehabt: durch welche Mittel und auf welchem Wege kann<lb/>
ich Deutschland zur Einigung bringen, und wie kaun ich, wenn das erreicht ist,<lb/>
es befestigen, fördern und so gestalten, daß es aus freiem Willen aller Mit¬<lb/>
wirkenden dauernd erhalten wird." Am 24. Februar 1881 erklärte er ebenda:<lb/>
&#x201E;Alle Systeme, durch welche sich die Parteien getrennt und gebunden fühlen,<lb/>
stehen für mich erst in zweiter Linie; in erster steht die Nation, ihre Stellung<lb/>
nach außen, ihre Selbständigkeit, unsre Organisation in der Weise, daß wir<lb/>
als großes Volk in der Welt frei atmen können ... Es giebt Zeiten, wo man<lb/>
liberal, und solche, wo man diktatorisch regieren muß, es wechselt alles, hier<lb/>
giebt es keine Ewigkeit; aber von dem Bau des Reiches, von der Einigkeit der<lb/>
Nation verlange ich, daß sie sturmfrei dastehen, nicht blos eine passagere Fcld-<lb/>
befestigung zur Seite haben."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_901"> Kein Zweifel also, daß Bismarck und der Verfasser des Kriegstagebuchs,<lb/>
das Professor Geffcken auszugsweise veröffentlicht hat, 1870 zu Versailles im<lb/>
wesentlichen dasselbe Ziel vor Augen hatten. Dagegen unterschieden sie sich<lb/>
in ihrer Stellung zu den süddeutschen Staaten, namentlich zu Baiern, und<lb/>
in den Mitteln und Maßen, mit denen vorgegangen werden sollte, sehr erheblich<lb/>
und, durchaus nicht blos staatsmännisch betrachtet und gewogen, nicht zum Vor¬<lb/>
teile des Kronprinzen, der als der leidenschaftliche, rücksichtslose, ungeduldige<lb/>
und darum unbillige Gemütsmensch erscheint, während der Kanzler ihm als das<lb/>
Bild des nüchternen, kühlen, sich den Umständen fügenden und sich mit Er¬<lb/>
strebung und Erlangung des Wesentlichen begnügenden Politikers, zugleich aber<lb/>
als das des gerechten und billigen Mannes gegenübersteht. Der Kronprinz<lb/>
dachte an Wege, die ihn an Markgraf Gero und die Wendcnfürsten sowie an<lb/>
die Schlacht bei Sendling erinnern ließen, was thatsächlich schon einige Wochen<lb/>
vor dem Auftritte in Versailles geschah. Der Kanzler zog den Weg der Treue,<lb/>
der Mcißignng, der Einigung in Güte vor, der zugleich der Weg der Klug¬<lb/>
heit war.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_902"> In den Zeitungen fand man damals eine Schilderung der Stimmung in<lb/>
Baiern, die nach dem Berichte eines süddeutschen Gesandten abgefaßt war und<lb/>
zuverlässig zu sein schien, aber wenig zu der betreffenden Stelle im Tagebuche<lb/>
stimmt. Es heißt darin u. a.:</p><lb/>
          <p xml:id="ID_903" next="#ID_904"> Die hier mitgeteilten Nachrichten sind großenteils gut, nur einige davon<lb/>
könnte man sich besser wünschen. Der deutsche Gedanke hat durch den Krieg ungen-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0358] Die Stellung Bismarcks und des Kronprinzen zu Baiern im Mintor ^8?0. sind leicht zu widerlegen. Schon als Göttinger Student sehnte er sich nach der deutschen Einheit so warm und lebhaft wie die Burschenschaft, der er „nur wegen ihrer Mensur- und Bierschen nicht beitrat." Wie diese Sehnsucht ihn als Abgeordneten und später als Bundestagsgesandter erfüllte — jetzt freilich die Sehnsucht nach einer erreichbaren und haltbaren Einheit der Deutschen —, ist sattsam bekannt, und mit vollem Rechte konnte er am 9. Juli 1879 im Reichstage von sich sagen: „Ich habe von Anfang meiner Karriere an nur den einen Leitstern gehabt: durch welche Mittel und auf welchem Wege kann ich Deutschland zur Einigung bringen, und wie kaun ich, wenn das erreicht ist, es befestigen, fördern und so gestalten, daß es aus freiem Willen aller Mit¬ wirkenden dauernd erhalten wird." Am 24. Februar 1881 erklärte er ebenda: „Alle Systeme, durch welche sich die Parteien getrennt und gebunden fühlen, stehen für mich erst in zweiter Linie; in erster steht die Nation, ihre Stellung nach außen, ihre Selbständigkeit, unsre Organisation in der Weise, daß wir als großes Volk in der Welt frei atmen können ... Es giebt Zeiten, wo man liberal, und solche, wo man diktatorisch regieren muß, es wechselt alles, hier giebt es keine Ewigkeit; aber von dem Bau des Reiches, von der Einigkeit der Nation verlange ich, daß sie sturmfrei dastehen, nicht blos eine passagere Fcld- befestigung zur Seite haben." Kein Zweifel also, daß Bismarck und der Verfasser des Kriegstagebuchs, das Professor Geffcken auszugsweise veröffentlicht hat, 1870 zu Versailles im wesentlichen dasselbe Ziel vor Augen hatten. Dagegen unterschieden sie sich in ihrer Stellung zu den süddeutschen Staaten, namentlich zu Baiern, und in den Mitteln und Maßen, mit denen vorgegangen werden sollte, sehr erheblich und, durchaus nicht blos staatsmännisch betrachtet und gewogen, nicht zum Vor¬ teile des Kronprinzen, der als der leidenschaftliche, rücksichtslose, ungeduldige und darum unbillige Gemütsmensch erscheint, während der Kanzler ihm als das Bild des nüchternen, kühlen, sich den Umständen fügenden und sich mit Er¬ strebung und Erlangung des Wesentlichen begnügenden Politikers, zugleich aber als das des gerechten und billigen Mannes gegenübersteht. Der Kronprinz dachte an Wege, die ihn an Markgraf Gero und die Wendcnfürsten sowie an die Schlacht bei Sendling erinnern ließen, was thatsächlich schon einige Wochen vor dem Auftritte in Versailles geschah. Der Kanzler zog den Weg der Treue, der Mcißignng, der Einigung in Güte vor, der zugleich der Weg der Klug¬ heit war. In den Zeitungen fand man damals eine Schilderung der Stimmung in Baiern, die nach dem Berichte eines süddeutschen Gesandten abgefaßt war und zuverlässig zu sein schien, aber wenig zu der betreffenden Stelle im Tagebuche stimmt. Es heißt darin u. a.: Die hier mitgeteilten Nachrichten sind großenteils gut, nur einige davon könnte man sich besser wünschen. Der deutsche Gedanke hat durch den Krieg ungen-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_203434
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_203434/358
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_203434/358>, abgerufen am 24.08.2024.