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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr.

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Die Entwicklung des Gesellschaftsrechts für wirtschaftliche Zwecks.

schlechterdings nicht paßt, dennoch diese Form haben wählen müssen, weil keine
andere Form zu Gebote stand. Es erscheint fast komisch, daß, um für ein
Studentenkorps in Bonn ein Gesellschaftshaus einzurichten, die Form der
Aktiengesellschaft gewählt wird. Eine Gesellschaft, die einen ganz ominösen
Namen führt, die "Räuberhöhle" in Mannheim, hat sich mit einem Kapital
von 4000 Mark als Aktiengesellschaft gegründet. Katholische und andre
religiöse Vereine, die lediglich Krankenpflege oder Verbreitung von Flugschriften
zum Zweck haben, stecken sich in die Jacke der Aktiengesellschaftsform. Ebenso
sieht man, daß für Unternehmungen anstatt der Form der Aktiengesellschaft die
der Gewerkschaft angenommen wird, weil man den Fnßcingelboden der Aktien¬
gesellschaft und den verwickelten Apparat unpassend findet und nicht will. Man
hat dies gethan, obschon die bergrechtliche Gewerkschaft nur für den Bergbau
gesetzlich eingeführt ist. So besteht in Gelsenkirchen eine "Gewerkschaft Orange,"
welche die Herstellung von Dampfkesseln zum Zweck hat. Die Personen, welche
vor etwa 15 Jahren diese Gesellschaft begründeten, haben nicht die Form der
Aktiengesellschaft gewollt; sie wählten das Auskunftsmittel, daß sie irgend eine
beliebige Eisensteingrube ankauften, auf der Basis dieses Bergwerksbesitzes eine
Gewerkschaft gründeten und ein Statut vereinbarten, auf Grund dessen die
Verarbeitung aus Eisenstein hergestellter Metalle zulässig war. So erlangten
sie Korporationsrechte und erbauten eine Kesselfabrik. Ebenso besteht an
demselben Ort der Schalter Gruben- und Hüttenvereiu, eine Gesellschaft,
die Roheisenerzeugung betreibt. Formell ist sie eine Gewerkschaft, und ihre
gewerkschaftliche Existenz beruht auf dem Besitz irgend einer Eisenstein¬
grube. Neuerdings hat sich noch das Walzwerks-Etablissement von Schulz,
Kraute Ä Komp. in Essen in eine Gewerkschaft umgewandelt. Dies ist auf
demselben Wege wie in den andern erwähnten Fällen ermöglicht worden. Selbst
im Auslande haben deutsche Gesellschaften von der in Dentschland bestehenden
gewerkschaftlichen Form Gebrauch gemacht. Solche Auskunftsmittel sind mit
dem strengen Rechte kaum verträglich. Die Bedürfnisse des wirtschaftlichen
Lebens drängen aber bei der ungenügenden Entwicklung unsers Rechts darauf,
derartige Mittel anzuwenden, und die angedeuteten Erfahrungen beweisen, daß
ein wirkliches Bedürfnis nach neuen Gesellschaftsformen vorliegt. Der Schwer¬
punkt liegt darin, daß es ermöglicht werden muß, die Einschränkung der Haft¬
barkeit der Mitglieder in einfacherer Form anzuwenden. Darauf weisen auch
die Vorgänge in England hin. In England ist bekanntlich auf Grund der
Gesetze von 1862 und 1867 die Bildung von Aktiengesellschaften mit beschränkter
Haftbarkeit unter Beobachtung gewisser bequemer Vorschriften zugelassen. Sieben
Personen treten zusammen und bilden eine Gesellschaft mit beschränkter Haft¬
barkeit. Eine Minimalhöhe des Kapitals ist gesetzlich nicht vorgeschrieben, ebenso
wenig die Höhe der Einlagen oder Aktien. Man kann also Aktiengesellschaften
mit Nominalwert von 1 Lstrl. für die Aktie begründen. Und es giebt Hunderte,


Die Entwicklung des Gesellschaftsrechts für wirtschaftliche Zwecks.

schlechterdings nicht paßt, dennoch diese Form haben wählen müssen, weil keine
andere Form zu Gebote stand. Es erscheint fast komisch, daß, um für ein
Studentenkorps in Bonn ein Gesellschaftshaus einzurichten, die Form der
Aktiengesellschaft gewählt wird. Eine Gesellschaft, die einen ganz ominösen
Namen führt, die „Räuberhöhle" in Mannheim, hat sich mit einem Kapital
von 4000 Mark als Aktiengesellschaft gegründet. Katholische und andre
religiöse Vereine, die lediglich Krankenpflege oder Verbreitung von Flugschriften
zum Zweck haben, stecken sich in die Jacke der Aktiengesellschaftsform. Ebenso
sieht man, daß für Unternehmungen anstatt der Form der Aktiengesellschaft die
der Gewerkschaft angenommen wird, weil man den Fnßcingelboden der Aktien¬
gesellschaft und den verwickelten Apparat unpassend findet und nicht will. Man
hat dies gethan, obschon die bergrechtliche Gewerkschaft nur für den Bergbau
gesetzlich eingeführt ist. So besteht in Gelsenkirchen eine „Gewerkschaft Orange,"
welche die Herstellung von Dampfkesseln zum Zweck hat. Die Personen, welche
vor etwa 15 Jahren diese Gesellschaft begründeten, haben nicht die Form der
Aktiengesellschaft gewollt; sie wählten das Auskunftsmittel, daß sie irgend eine
beliebige Eisensteingrube ankauften, auf der Basis dieses Bergwerksbesitzes eine
Gewerkschaft gründeten und ein Statut vereinbarten, auf Grund dessen die
Verarbeitung aus Eisenstein hergestellter Metalle zulässig war. So erlangten
sie Korporationsrechte und erbauten eine Kesselfabrik. Ebenso besteht an
demselben Ort der Schalter Gruben- und Hüttenvereiu, eine Gesellschaft,
die Roheisenerzeugung betreibt. Formell ist sie eine Gewerkschaft, und ihre
gewerkschaftliche Existenz beruht auf dem Besitz irgend einer Eisenstein¬
grube. Neuerdings hat sich noch das Walzwerks-Etablissement von Schulz,
Kraute Ä Komp. in Essen in eine Gewerkschaft umgewandelt. Dies ist auf
demselben Wege wie in den andern erwähnten Fällen ermöglicht worden. Selbst
im Auslande haben deutsche Gesellschaften von der in Dentschland bestehenden
gewerkschaftlichen Form Gebrauch gemacht. Solche Auskunftsmittel sind mit
dem strengen Rechte kaum verträglich. Die Bedürfnisse des wirtschaftlichen
Lebens drängen aber bei der ungenügenden Entwicklung unsers Rechts darauf,
derartige Mittel anzuwenden, und die angedeuteten Erfahrungen beweisen, daß
ein wirkliches Bedürfnis nach neuen Gesellschaftsformen vorliegt. Der Schwer¬
punkt liegt darin, daß es ermöglicht werden muß, die Einschränkung der Haft¬
barkeit der Mitglieder in einfacherer Form anzuwenden. Darauf weisen auch
die Vorgänge in England hin. In England ist bekanntlich auf Grund der
Gesetze von 1862 und 1867 die Bildung von Aktiengesellschaften mit beschränkter
Haftbarkeit unter Beobachtung gewisser bequemer Vorschriften zugelassen. Sieben
Personen treten zusammen und bilden eine Gesellschaft mit beschränkter Haft¬
barkeit. Eine Minimalhöhe des Kapitals ist gesetzlich nicht vorgeschrieben, ebenso
wenig die Höhe der Einlagen oder Aktien. Man kann also Aktiengesellschaften
mit Nominalwert von 1 Lstrl. für die Aktie begründen. Und es giebt Hunderte,


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[0351] Die Entwicklung des Gesellschaftsrechts für wirtschaftliche Zwecks. schlechterdings nicht paßt, dennoch diese Form haben wählen müssen, weil keine andere Form zu Gebote stand. Es erscheint fast komisch, daß, um für ein Studentenkorps in Bonn ein Gesellschaftshaus einzurichten, die Form der Aktiengesellschaft gewählt wird. Eine Gesellschaft, die einen ganz ominösen Namen führt, die „Räuberhöhle" in Mannheim, hat sich mit einem Kapital von 4000 Mark als Aktiengesellschaft gegründet. Katholische und andre religiöse Vereine, die lediglich Krankenpflege oder Verbreitung von Flugschriften zum Zweck haben, stecken sich in die Jacke der Aktiengesellschaftsform. Ebenso sieht man, daß für Unternehmungen anstatt der Form der Aktiengesellschaft die der Gewerkschaft angenommen wird, weil man den Fnßcingelboden der Aktien¬ gesellschaft und den verwickelten Apparat unpassend findet und nicht will. Man hat dies gethan, obschon die bergrechtliche Gewerkschaft nur für den Bergbau gesetzlich eingeführt ist. So besteht in Gelsenkirchen eine „Gewerkschaft Orange," welche die Herstellung von Dampfkesseln zum Zweck hat. Die Personen, welche vor etwa 15 Jahren diese Gesellschaft begründeten, haben nicht die Form der Aktiengesellschaft gewollt; sie wählten das Auskunftsmittel, daß sie irgend eine beliebige Eisensteingrube ankauften, auf der Basis dieses Bergwerksbesitzes eine Gewerkschaft gründeten und ein Statut vereinbarten, auf Grund dessen die Verarbeitung aus Eisenstein hergestellter Metalle zulässig war. So erlangten sie Korporationsrechte und erbauten eine Kesselfabrik. Ebenso besteht an demselben Ort der Schalter Gruben- und Hüttenvereiu, eine Gesellschaft, die Roheisenerzeugung betreibt. Formell ist sie eine Gewerkschaft, und ihre gewerkschaftliche Existenz beruht auf dem Besitz irgend einer Eisenstein¬ grube. Neuerdings hat sich noch das Walzwerks-Etablissement von Schulz, Kraute Ä Komp. in Essen in eine Gewerkschaft umgewandelt. Dies ist auf demselben Wege wie in den andern erwähnten Fällen ermöglicht worden. Selbst im Auslande haben deutsche Gesellschaften von der in Dentschland bestehenden gewerkschaftlichen Form Gebrauch gemacht. Solche Auskunftsmittel sind mit dem strengen Rechte kaum verträglich. Die Bedürfnisse des wirtschaftlichen Lebens drängen aber bei der ungenügenden Entwicklung unsers Rechts darauf, derartige Mittel anzuwenden, und die angedeuteten Erfahrungen beweisen, daß ein wirkliches Bedürfnis nach neuen Gesellschaftsformen vorliegt. Der Schwer¬ punkt liegt darin, daß es ermöglicht werden muß, die Einschränkung der Haft¬ barkeit der Mitglieder in einfacherer Form anzuwenden. Darauf weisen auch die Vorgänge in England hin. In England ist bekanntlich auf Grund der Gesetze von 1862 und 1867 die Bildung von Aktiengesellschaften mit beschränkter Haftbarkeit unter Beobachtung gewisser bequemer Vorschriften zugelassen. Sieben Personen treten zusammen und bilden eine Gesellschaft mit beschränkter Haft¬ barkeit. Eine Minimalhöhe des Kapitals ist gesetzlich nicht vorgeschrieben, ebenso wenig die Höhe der Einlagen oder Aktien. Man kann also Aktiengesellschaften mit Nominalwert von 1 Lstrl. für die Aktie begründen. Und es giebt Hunderte,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_203434/351>, abgerufen am 22.07.2024.