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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr.

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Das neue Burgtheater.

Hamburger Theater schlug in kurzer Zeit in das Gegenteil von dem um, was
es zwei Geschlechter hindurch gewesen war. Daß auch das neue Wiener Burg¬
theater zu groß sei, als daß die bisherige Spielweise sich darin erhalten könnte,
hat in der That vor ein paar Monaten Lcwinsky in einem Vortrage im öster¬
reichischen Museum (Die Stätte der Schauspielkunst) behauptet: war im alten
Hause der letzte Zuschauer 26 Meter von der Bühne entfernt, so wird er es
im neuen Hause 31 Meter sein. Es war vielleicht nicht ganz taktvoll für ein
Mitglied des Hoftheaters, ein halbes Jahr vor der Eröffnung solche Bedenken
ins Publikum zu werfen, auch soll Herr Lewinsky dafür eine Rüge von Seiten
des Oberhofmeisteramtes erhalten haben; dennoch ist seine Äußerung bezeichnend
für die Stimmung, mit der man in Schauspielerkreisen der Übersiedlung ent¬
gegensah. Der Tragweite einer solchen Veränderung war man sich auch dort
vollkommen bewußt.

Was ist es nun aber für ein Besitztum, das es zu erhalten gilt? Und
welches sind die Kräfte, mit denen das Burgtheater in einen neuen Abschnitt
seiner Geschichte eintritt?

Jede Kunst hat ein gewisses Maß von Überlieferungen, an die immer
wieder angeknüpft wird, die sich nur sehr langsam, nur ganz unmerklich ver¬
ändern. Auch in der Schauspielkunst hängt nicht alles von Einzelnen ab; wieviel
auch immer der Künstler aus der eignen Kunst schöpfen, wie eifrig er auch
bedacht fein mag, jede Geberde und jeden Blick der Natur abzulauschen, er
wird doch in vielen Dingen, bewußt oder unbewußt, dem Hergebrachten folgen
und gesehene Muster nachahmen; dem Gesetz der historischen Entwicklung läßt
sich auch hier nicht entfliehen.

Im Burgtheater, so nimmt man wohl mit Recht an, war die Überliefe¬
rung immer besonders fest, hier hatte der Schauspieler von seiner Eigenart
um des harnionischen Gesamteindrucks willen am meisten aufzugeben. Dies
gilt namentlich in Beziehung auf das Lustspiel und das bürgerliche Schauspiel.
Die Grundsätze der Hamburger Schule waren frühzeitig nach Wien verpflanzt
worden, entwickelten sich aber hier vornehmlich im zweiten und dritten Jahr¬
zehnt unsers Jahrhunderts eigenartig weiter. Denn gerade in der Zeit
zwischen dem Wiener Kongreß und der Julirevolution war in den Salons
der österreichischen Aristokratie sowohl, als in einigen Häusern der höhern
Finanz- und Beamtenwelt eine vornehme Geselligkeit emporgeblüht, die in
den Denkwürdigkeiten und Briefen jener Zeit oft genug gerühmt worden ist:
diese wird gewiß nicht ohne Einfluß auf die Bühne geblieben sein, der
überdies gerade damals in Bauernfeld ein echt österreichischer Lustspiel¬
dichter erstand, vom Burgtheater freilich angeregt, aber doch auch in der
Folge wieder fördernd auf dieses zurückwirkend. Zu derselben Zeit fand
in der Tragödie die Weimarische Schule Eingang, gegen die sich das Burg¬
theater lange verschlossen hatte. Wohl wurde die allzugroße Gemessenheit und


Das neue Burgtheater.

Hamburger Theater schlug in kurzer Zeit in das Gegenteil von dem um, was
es zwei Geschlechter hindurch gewesen war. Daß auch das neue Wiener Burg¬
theater zu groß sei, als daß die bisherige Spielweise sich darin erhalten könnte,
hat in der That vor ein paar Monaten Lcwinsky in einem Vortrage im öster¬
reichischen Museum (Die Stätte der Schauspielkunst) behauptet: war im alten
Hause der letzte Zuschauer 26 Meter von der Bühne entfernt, so wird er es
im neuen Hause 31 Meter sein. Es war vielleicht nicht ganz taktvoll für ein
Mitglied des Hoftheaters, ein halbes Jahr vor der Eröffnung solche Bedenken
ins Publikum zu werfen, auch soll Herr Lewinsky dafür eine Rüge von Seiten
des Oberhofmeisteramtes erhalten haben; dennoch ist seine Äußerung bezeichnend
für die Stimmung, mit der man in Schauspielerkreisen der Übersiedlung ent¬
gegensah. Der Tragweite einer solchen Veränderung war man sich auch dort
vollkommen bewußt.

Was ist es nun aber für ein Besitztum, das es zu erhalten gilt? Und
welches sind die Kräfte, mit denen das Burgtheater in einen neuen Abschnitt
seiner Geschichte eintritt?

Jede Kunst hat ein gewisses Maß von Überlieferungen, an die immer
wieder angeknüpft wird, die sich nur sehr langsam, nur ganz unmerklich ver¬
ändern. Auch in der Schauspielkunst hängt nicht alles von Einzelnen ab; wieviel
auch immer der Künstler aus der eignen Kunst schöpfen, wie eifrig er auch
bedacht fein mag, jede Geberde und jeden Blick der Natur abzulauschen, er
wird doch in vielen Dingen, bewußt oder unbewußt, dem Hergebrachten folgen
und gesehene Muster nachahmen; dem Gesetz der historischen Entwicklung läßt
sich auch hier nicht entfliehen.

Im Burgtheater, so nimmt man wohl mit Recht an, war die Überliefe¬
rung immer besonders fest, hier hatte der Schauspieler von seiner Eigenart
um des harnionischen Gesamteindrucks willen am meisten aufzugeben. Dies
gilt namentlich in Beziehung auf das Lustspiel und das bürgerliche Schauspiel.
Die Grundsätze der Hamburger Schule waren frühzeitig nach Wien verpflanzt
worden, entwickelten sich aber hier vornehmlich im zweiten und dritten Jahr¬
zehnt unsers Jahrhunderts eigenartig weiter. Denn gerade in der Zeit
zwischen dem Wiener Kongreß und der Julirevolution war in den Salons
der österreichischen Aristokratie sowohl, als in einigen Häusern der höhern
Finanz- und Beamtenwelt eine vornehme Geselligkeit emporgeblüht, die in
den Denkwürdigkeiten und Briefen jener Zeit oft genug gerühmt worden ist:
diese wird gewiß nicht ohne Einfluß auf die Bühne geblieben sein, der
überdies gerade damals in Bauernfeld ein echt österreichischer Lustspiel¬
dichter erstand, vom Burgtheater freilich angeregt, aber doch auch in der
Folge wieder fördernd auf dieses zurückwirkend. Zu derselben Zeit fand
in der Tragödie die Weimarische Schule Eingang, gegen die sich das Burg¬
theater lange verschlossen hatte. Wohl wurde die allzugroße Gemessenheit und


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[0328] Das neue Burgtheater. Hamburger Theater schlug in kurzer Zeit in das Gegenteil von dem um, was es zwei Geschlechter hindurch gewesen war. Daß auch das neue Wiener Burg¬ theater zu groß sei, als daß die bisherige Spielweise sich darin erhalten könnte, hat in der That vor ein paar Monaten Lcwinsky in einem Vortrage im öster¬ reichischen Museum (Die Stätte der Schauspielkunst) behauptet: war im alten Hause der letzte Zuschauer 26 Meter von der Bühne entfernt, so wird er es im neuen Hause 31 Meter sein. Es war vielleicht nicht ganz taktvoll für ein Mitglied des Hoftheaters, ein halbes Jahr vor der Eröffnung solche Bedenken ins Publikum zu werfen, auch soll Herr Lewinsky dafür eine Rüge von Seiten des Oberhofmeisteramtes erhalten haben; dennoch ist seine Äußerung bezeichnend für die Stimmung, mit der man in Schauspielerkreisen der Übersiedlung ent¬ gegensah. Der Tragweite einer solchen Veränderung war man sich auch dort vollkommen bewußt. Was ist es nun aber für ein Besitztum, das es zu erhalten gilt? Und welches sind die Kräfte, mit denen das Burgtheater in einen neuen Abschnitt seiner Geschichte eintritt? Jede Kunst hat ein gewisses Maß von Überlieferungen, an die immer wieder angeknüpft wird, die sich nur sehr langsam, nur ganz unmerklich ver¬ ändern. Auch in der Schauspielkunst hängt nicht alles von Einzelnen ab; wieviel auch immer der Künstler aus der eignen Kunst schöpfen, wie eifrig er auch bedacht fein mag, jede Geberde und jeden Blick der Natur abzulauschen, er wird doch in vielen Dingen, bewußt oder unbewußt, dem Hergebrachten folgen und gesehene Muster nachahmen; dem Gesetz der historischen Entwicklung läßt sich auch hier nicht entfliehen. Im Burgtheater, so nimmt man wohl mit Recht an, war die Überliefe¬ rung immer besonders fest, hier hatte der Schauspieler von seiner Eigenart um des harnionischen Gesamteindrucks willen am meisten aufzugeben. Dies gilt namentlich in Beziehung auf das Lustspiel und das bürgerliche Schauspiel. Die Grundsätze der Hamburger Schule waren frühzeitig nach Wien verpflanzt worden, entwickelten sich aber hier vornehmlich im zweiten und dritten Jahr¬ zehnt unsers Jahrhunderts eigenartig weiter. Denn gerade in der Zeit zwischen dem Wiener Kongreß und der Julirevolution war in den Salons der österreichischen Aristokratie sowohl, als in einigen Häusern der höhern Finanz- und Beamtenwelt eine vornehme Geselligkeit emporgeblüht, die in den Denkwürdigkeiten und Briefen jener Zeit oft genug gerühmt worden ist: diese wird gewiß nicht ohne Einfluß auf die Bühne geblieben sein, der überdies gerade damals in Bauernfeld ein echt österreichischer Lustspiel¬ dichter erstand, vom Burgtheater freilich angeregt, aber doch auch in der Folge wieder fördernd auf dieses zurückwirkend. Zu derselben Zeit fand in der Tragödie die Weimarische Schule Eingang, gegen die sich das Burg¬ theater lange verschlossen hatte. Wohl wurde die allzugroße Gemessenheit und

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_203434/328>, abgerufen am 05.07.2024.